Der Stromnetzausbau ist nicht immer gewollt
Neue Stromleitungen bewegen die Gemüter, denn sie verändern die Landschaft – je nach Höhe und Bauweise der Masten, ob als Freileitung oder Erdkabel. Über Erdkabeln die im Boden verschwinden, müssen in Wäldern circa dreißig Meter breite, baumlose Schneisen freigehalten werden. Diese Trassen sind in hügeligen Landschaften auch über weite Entfernungen sichtbar – ähnlich wie Freileitungen. Für die Anwohner ändern sich eventuell Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten und auch das Wohlbefinden.
Energiewende ja, aber bitte „Not in my Backyard”
Alle wollen erneuerbare Energien – zum Glück! Die Stromerzeugung aus Solar- und Windenergie unterliegt zeitlichen Schwankungen, doch das lässt sich ausgleichen. Durch den räumlichen Ausgleich über das Stromnetz oder mit Hilfe von Speichern wird die kontinuierliche Energieversorgung abgesichert.
Immer mehr Windräder und die dafür nötigen neuen Stromnetze treffen allerdings auf Widerstand, vor allem desto konkreter solche Bauvorhaben in einer Region werden. Das ist auch verständlich. Ich als Stadtbewohnerin habe weder Windräder noch Freileitungen in Sichtweite, aber rege mich über den Neubau von Wohnungen auf der letzten Brache in meinem Viertel auf. Die dort im Frühling singenden Nachtigallen waren mir seit Jahren vertraut, also habe ich mich nur schweren Herzens von dieser letzten Wildnis-Ecke verabschiedet, als die Bagger anrückten. Auch das Straßenbild hat sich seitdem verändert. Moderne Architektur fügt sich nicht immer harmonisch in die historisch gewachsenen Strukturen ein.
Aus den Augen, aus dem Sinn – bei Leitungen möglich
Neue Leitungen haben ebenfalls Auswirkungen auf die Landschaft. Dabei spielen Höhe und Bauweise der Masten und die Einbettung in das Landschaftsbild eine Rolle. Freileitungen, aber auch Erdkabel können ihr Umfeld sichtbar verändern. Zum Beispiel sind Pflanzen mit tiefen Wurzeln über Erdkabeln tabu – daher entstehen in Wäldern circa dreißig Meter breite, baumlose Schneisen. Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten im unmittelbaren Wohnumfeld und auch das Wohlbefinden der Anwohner können betroffen sein.
Die Bundesregierung hat 2015 ein Gesetz auf den Weg gebracht, das künftig mehr Stromleitungen unter der Erde verschwinden lässt. Das soll die Akzeptanz für den Netzausbau in der Bevölkerung stärken. Erdkabel sind für die Anwohner oft das kleinere Übel und stellen die konfliktärmste Stromübertragung auch für Vögel dar. Da die unterirdischen Kabel keine räumlichen Hindernisse darstellen, kollidieren Vögel auch nicht an ihnen. Wegen der langen Bauzeiten und der schweren Eingriffe in den Boden gibt es aus Naturschutz-Sicht aber auch bei Erdkabeln kein Schwarz-Weiß-Denken. Sie können am falschen Standort Umweltschäden mit sich bringen, etwa in unzerschnittenen Wäldern oder in Gebieten mit hoch anstehendem Grundwasser.
Ohne Stromnetzausbau drohen andere Konflikte
Mit einer stark dezentral ausgerichteten Energiewende könnte es wahrscheinlich möglich sein, auf einzelne Leitungsbauvorhaben zu verzichten. Doch solch ein Szenario erfordert gleichzeitig einen starken Ausbau der Windenergie im Süden Deutschlands. Im Vergleich zu derzeitigen Planungen müssten zwei- bis viermal so viele Windparks in Bayern und Baden-Württemberg entstehen. Die gesellschaftliche Akzeptanz scheint mir dafür nicht gegeben zu sein. Dezentralität ist ein wichtiges Thema für eine moderne Stromversorgung. Aber in der Diskussion kommen wichtige Aspekte wie die begrenzte Flächenverfügbarkeit oft zu kurz. Gerade bei den regionalen Ausbaupotenzialen für Windenergie besteht noch großer Klärungsbedarf, auch aus Naturschutzsicht. Das Öko-Institut hat in seinem Projekt Transparenz Stromnetze unter Mitwirkung des NABU die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Energiewende-Optionen mit mehr oder weniger Dezentralität und den passenden Stromnetz-Bedarfen geprüft.
Transparenz kann Misstrauen abbauen
Beim Stromnetzausbau wird inzwischen viel Wert auf Beteiligung gelegt und Hinweise der Verbände werden stärker berücksichtigt. Diese Chance sollte von Naturschützern intensiv genutzt werden. Entscheidend ist, ob es Stromnetzbetreibern, Bundesnetzagentur, Landesbehörden etc. gelingt, Fragen zu den Vorhaben zufriedenstellend zu beantworten. Und ob ergebnisoffen diskutiert werden kann und Anmerkungen der Beteiligten in transparenter Weise für die Planung aufgegriffen werden. Wird mit Naturschutzthemen eher defensiv und zurückhaltend umgegangen, fühlen sich Naturschützer nicht beteiligt. Diskussionsbedarf gibt es oft über die Größe der Korridor-Suchräume, die Anzahl der Korridoralternativen bzw. Erdkabelabschnitte oder den Einsatz von bestimmten Masttypen.
„Und Basta!“ führt zu Widerstand
Wenn Stromnetz-Planungen inklusive des Trassenverlaufs als alternativlos verkauft werden, sind Konflikte vorprogrammiert. Bei Neubauvorhaben zum Ersatz oder zur Verstärkung alter Leitungen führten Planungen zu Konflikten, die starr an den jeweiligen Bestandstrassen orientiert blieben, obwohl es Bedenken und entsprechenden Anpassungsbedarf unter anderem aus Naturschutzsicht gab. Eine gute Planung kann helfen, Konflikte aus der Vergangenheit aufzulösen. Das wird möglich, wenn konfliktreiche Gebiete im Bestandstrassen-Bereich umgangen und die betroffenen Altleitungen zurückgebaut werden.
Durch eine frühzeitige Beteiligung und eine sachlich begründete und nachvollziehbar dargestellte Abwägung aller Interessen fühlen sich Betroffene von Netzausbau-Vorhaben ernst genommen. Hierdurch können mögliche spätere Klageverfahren von vorneherein vermieden werden. Und die Energiewende kann weiter gehen.
Hinweise für Naturschützer, die sich in Stromnetz-Vorhaben einbringen wollen: https://www.nabu-netz.de/verbandsleben/naturschutz-und-fachinformationen/energie/stromnetze-naturvertraeglich-ausbauen.html
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