Von Honolulu bis Berlin – Eine Positionsbestimmung
Den vorhandenen Plastikmüll aus dem Meer zu holen, ist die eine Aufgabe. Dafür zu sorgen, dass er dort gar nicht erst hin gelangt, die andere und noch viel wichtigere. Denn eins ist nach unzähligen Küstenputzaktionen, Berichten und Veranstaltungen klar: Die Lösungen für das Plastikproblem im Meer liegen an Land, in der Abfall- und Kreislaufwirtschaft, im Produktdesign, dem eigenen Konsumverhalten und – vielleicht – der Bundestagswahl im September.
Ich erinnere mich an ein Gespräch aus dem Jahr 1998: eine Freundin arbeitete als Vogelwartin im Wattenmeer und beklagte sich, dass sie auf Ihrem Eiland gerade große Mengen Müll aufsammeln müsste, die täglich angeschwemmt werden würden. Damals hielt ich diesen Bericht für eine Eintagsfliege, ein einmaliges Problem. Gut – die PALLAS war gerade gestrandet – neben der Katastrophe ausgelaufenen Öls hatte sie ihre Fracht Holz an der Küste verteilt – ich konnte mir den noch größeren Rahmen kaum vorstellen. Deshalb hatte ich auch (scheinbar) gleich die Lösung parat: „Frag doch mal die Bundesmarine, ob sie Euch Personal und ein Boot zum Aufräumen und Abtransportieren leihen!“ Insgesamt konnte das Thema Abfall an der Nordseeküste, aus meiner damaligen Sicht, sicher nicht „das“ Problem sein, Deutschland war doch der gefeierte Mülltrenn- und Recycling-Weltmeister – oder? Kurze Zeit später machten dann die Berichte von Charles Moore und seiner Entdeckung des Großen Pazifischen Müllstrudels die Runde in den Medien.
Also wohl doch kein lokales Einzelproblem.
Die Bundestagswahl nutzen
Eine Bundestagswahl steht vor der Tür und die Politik muss weitergehend handeln als bisher, Natur und Klima schützen und auch die Maßnahmen gegen die Müllflut in unseren Meeren ohne Ausnahmen umsetzen. Doch erscheint ‚Müll im Meer‘ in den aktuell vorliegenden Programmen?
Für die SPD ist Müll im Meer ein Schlagwort in einer Liste, sie adressiert aber die Verantwortung der Hersteller und des Produktdesigns. Die FDP erkennt das Problem der Abfallbehandlung an, sieht aber eher die Zukunft im Werkstoff Plastik. Allein die Grünen adressieren die Problematik Müll im Meer detaillierter und mit konkreten Zielen z.B. hinsichtlich des Problems verlorengegangener Fischernetze. Die übrigen Parteien behandeln das Thema nicht oder durch die Hintertür und sie setzen es in einen eher abfallwirtschaftlichen Kontext oder das Programm lässt noch immer auf sich warten. Dabei brauchen die Meere unsere Aufmerksamkeit, haben wir sie durch Müll, aber auch Überfischung, Rohstoffabbau und als Verkehrswege überstrapaziert.
Wie die einzelnen Parteien zu den Themen Müll im Meer, Recycling und Kreislaufwirtschaft stehen:
- SPD (ab Seite 49 f.)
- FDP (Seiten 22 & 51 f.)
- Grüne/B90 (Seiten 23 f.)
- Die Linke (Seiten 73 f.)
- CDU/CSU: Programm noch nicht veröffentlicht
Erste Schritte und Mainstreaming
Vor zehn Jahren hat der NABU das Projekt „Meere ohne Plastik“ ins Leben gerufen und nahm sich damit als einer der ersten großen Umweltverbände in Deutschland mit einem eigenen Programm der zunehmenden Vermüllung unserer Meere an. Heute sind wir Teil einer Bewegung, welche die Gefahren der Meeresumwelt durch insbesondere Plastikmüll in eine gesellschaftspolitische Debatte gebracht hat, die nach effektiven Lösungen sucht.
Auf die politische Agenda kam Müll im Meer in Europa durch den Beschluss der EU aus dem Jahr 2008: Die Meeresstrategie-Rahmerichtlinie (MSRL) wurde beschlossen, mit dem Ziel, bis 2020 einen guten ökologischen Zustand der europäischen Meere herbeizuführen und Müll im Meer soweit zu reduzieren, dass es keinen Schaden mehr auf die Küsten und Meeresumwelt hat. Deutschland hat die Ziele der MSRL inzwischen krachend verfehlt. Es besteht großer politischer Nachsteuerungsbedarf. Gleichwohl hat der Beschluss aus dem Jahr 2008 den Stein ins Roll gebracht, das Thema Müll im Meer in Verbänden und Politik endlich anzugehen.
Politische Erfolge auf dem Weg zu müllfreien Meeren
Zwei internationale Konferenzen in Honolulu 2011 und Berlin 2013 schärften den Blick von Politik und Öffentlichkeit auf die Problematik. Die Einträge in die Meere wurden prominent durch Jenna Jambek in der Fachzeitschrift Science 2015 zusammengefasst und eine beängstigende Prognose für die Einträge bis 2025 aufgestellt: 155 Millionen Tonnen Müll sollen bis 2025 den Weg in die Ozeane finden. Möglicherweise wird diese Schätzung angesichts weltweit steil steigender Produktionszahlen von Plastik, aber nicht adäquat mitwachsender Kreislaufwirtschaft eher noch übertroffen werden.
Inzwischen wissen wir: Die wesentlichen Quellen des Mülls liegen an Land. Wenngleich viele Projekte sich um die Frage des Aufräumens kümmern, wurde durch diese Erkenntnis vor allem eins klar: Nachsorge allein reicht nicht. Was wir in den Meeren beobachten, sind die Symptome eines nachlässigen und nicht zuletzt unklugen Umgangs mit Ressourcen an Land. An dieser Stelle müssen wir ansetzen.
Es gibt Licht am Horizont: Die Plastiktüte wurde als einfach zu bekämpfendes Übel EU-weit zurückgedrängt, wenn auch nicht vollständig verboten. Nachdem die öffentliche Akzeptanz und der Erfolg groß waren, wurden weitere Vorgaben beschlossen, um die Situation der Meere zu verbessern.
Als nächstes wurden die Vorgaben des MARPOL Abkommens, welches das Abfallmanagement an Bord von Schiffen regelt, verschärft (2015). Zusätzlich wurde Land seitig inzwischen nachgesteuert: Die EU-Richtlinie zu Abfallsammeleinrichtungen in Häfen trat 2019 in Kraft und schreibt unter anderem ab Mitte 2021 vor, dass Müllgebühren in das Hafengeld eingeschlossen sein müssen. Es entfällt damit der Anreiz, Müll von Schiffen über Bord zu geben, wenn die Entsorgung ohnehin bezahlt wurde.
Gesetze mit Potential fürs Meer
Zehn für die Meere schädliche Einwegprodukte werden durch die EU-Einwegkunststoffrichtlinie bis 2023 aus den Regalen verschwinden oder die Hersteller dieser Produkte müssen sich der erweiterten Produzentenverantwortung stellen. So positiv die Vorgabe aus Brüssel auch ist, so sehr müssen wir die nationale Umsetzung streng begleiten. Wir sehen, dass gerade in Zeiten des Wahlkampfs Umsetzungen als Erfolg verkauft werden, die gespickt mit Ausnahmen sind.
So werden beispielsweise Gesetze erlassen, die zukünftig Mehrweg in der Gastronomie vorschreiben, allerdings erst ab einer Ladengröße von 80m². In der Konsequenz bleiben also die meisten Gastronomiebetriebe unberührt von diesem Gesetz und die Meere dürfen weiter als Müllkippe herhalten. Eine ähnlich inkonsequente Umsetzung droht auch bei der erweiterten Herstellerverantwortung. Es reicht nicht aus, dass Hersteller nur für einen Teil der Entsorgung in die Pflicht genommen werden. Die Bundesregierung (alt oder neu) muss hier die Chance nutzen, die neuen Vorgaben als Innovationstreiber zu begreifen, um das Konzept Design for Recycling in der Praxis voranzubringen. Denn eine ambitionierte Erfüllung der Vorgaben aus Brüssel ist nicht verboten.
Und jetzt?
Konfrontieren Sie Ihre lokalen Abgeordneten, die in den Bundestag einziehen wollen, mit dem Thema Müll im Meer und vorbeugenden Maßnahmen. Lassen Sie sie im Gespräch Farbe bekennen. Machen Sie die Bundestagswahl 2021 zu einer Natur- und Klimawahl – für gesunde und müllfreie Meere.
Unterschreiben Sie jetzt unseren Aufruf „Meine Stimme für die Zukunft“ hier:
Meeresmüll beginnt zu Hause und geht uns alle an.
Höchste Priorität haben dabei vorsorgende Maßnahmen und die Änderung unseres Konsum- und Wegwerfverhaltens. Es ist viel wirksamer, den Abfall erst gar nicht entstehen zu lassen. Sie als Verbraucher*innen entscheiden mit, was zum Kauf in den Regalen steht. Kaufen Sie möglichst nur Produkte, die langlebig, schadstofffrei, reparierbar und gut wiederverwertbar sind.
Reduzieren Sie Ihren Plastikverbrauch!
Für die Meere!
Jetzt!
- Von Honolulu bis Berlin –Eine Positionsbestimmung - 11. Mai 2021
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