Fast vergessen, aber längst nicht verschwunden: Die Ladung der MSC ZOE
Seit einigen Monaten häufen sich im NABU-Projekt „Fishing for Litter“ seltsame Fundstücke. Immer wieder bringen die Fischer aus Greetsiel, Norddeich und Dornumersiel Decken, Teppichstücke, Designersitze und batteriebetriebene Spielzeugautos von ihren Fangfahrten mit. Der Grund dafür ist ein Seeunfall von der niederländischen Küste.
Zum Jahreswechsel havarierte die MSC ZOE, ein Containerschiff der Superlative, mit fast 20.000 Containern an Bord. Die zunächst bekanntgegebene Zahl von über Bord gegangenen Containern wurde von der Reederei und den Behörden immer weiter nach oben korrigiert. Knapp 350 Stück sollen am 1. Januar 2019 über Bord gegangen sein. Seit der Havarie wird die Ladung nach und nach an den Küsten der ostfriesischen Inseln und der Festlandküste angeschwemmt. Zeitweise ist das trockenfallende Watt ein „Ausstellungsort“ für verschiffbare Waren jeglicher Art: Polster, Plastikstühle, Decken, Spielzeuge, Lithium-Ionen Akkus oder Wasserkocher.
Gefährliches Strandgut
Mit einigen Containern der MSC ZOE ging auch Gefahrgut über Bord und könnte auch an die niedersächsische Nordseeküste angespült werden. Die in Säcken verpackte Chemikalie Dibenzoylperoxid fällt unter das Sprengstoffgesetz, ist umwelttoxisch, diente früher als Bleichmittel sowie als Reaktionsstarter in Zwei-Komponenten-Klebstoffen, und wurde auch in der Medizin eingesetzt.
Wurde das Ausmaß bisher vor allem an den Stränden sichtbar, wird nun klar, wie sehr auch der Meeresboden insbesondere vor den Ostfriesischen Inseln betroffen ist: Im „Fishing for Litter“-System, welches der NABU 2012 auch in Niedersachsen etablierte, werden von den Krabbenfischern aus Greetsiel, Norddeich und Accumersiel die gleichen Fundstücke wie am Strand eingesammelt. Gegenüber den Vorjahren wird sich das Aufkommen der Anlandungen in diesen Häfen nach derzeitigem Stand verdoppeln. Das System bietet Fischern eine kostenlose Entsorgung der auf See gefischten Abfälle an, denn sie sind die einzigen, die ohne zusätzlichen Aufwand an den Müll wieder herankommen. An der deutschen Küste haben bisher rund 160 Fischer Zugang zu „Fishing for Litter“.
Die Gründe für die Havarie sind bisher nicht geklärt, die Untersuchungen sollen bis zu einem Jahr dauern. Niederländische Seefahrtsexperten äußerten aber die Theorie, dass das Schiff im Seegang in eine Eigenschwingung geraten sei und die Verriegelungen der gestapelten Container versagt habe. Niederländische Fischer hätten beobachtet, dass die MSC ZOE ein für den Tiefgang des Schiffes möglicherweise zu flaches Fahrwasser befahren hat und es deshalb zu einer Grundberührung kam. Die Havarie wurde mit zeitlicher Verzögerung gemeldet.
Unterschätztes Problem und seine Konsequenzen
Weltweit gehen nach Informationen der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) im Jahr bis zu 15.000 Container über Bord. Gemessen an der Gesamtzahl der transportierten Container erscheint diese Zahl eher gering. Bedenkt man aber, wie viele Produkte aus Kunststoff, Chemikalien und ähnliche Stoffe so ins Meer gelangen und dass diese Containerverluste auf Schifffahrtsrouten erfolgen, auf denen die weitere Schifffahrt durch die Container auch gefährdet wird, ist klar, dass es Handlungsbedarf und politische Konsequenzen geben sollte.
Eine zentrale Frage ist, inwiefern die Grenzen der Stau- und Ladetechnik erreicht sind. Gegebenenfalls müssen die Verriegelungen (Twist Locks), die die gestapelten Container zusammenhalten, nachgebessert werden, weil die Türme aus Containern an Bord der Schiffe immer höher werden. Die verzögerte Meldung der Havarie legt zudem nahe, dass der Verlust der Container nicht sofort bemerkt wurde. Moderne Sensortechnik könnte an dieser Stelle Abhilfe schaffen, in Kombination mit Ladelisten und Stauplänen könnten so umgehend Informationen bereitgestellt werden, sollte Ladung über Bord gehen.
Das Auffinden bereits über Bord gegangener Container muss ebenfalls verbessert werden, um eine schnellere Bergung zu ermöglichen und die Sicherheit der Schifffahrt zu gewähren. Sinnvolle technische Verbesserungen wären: Reflektoren an allen Seiten der Container, automatische Schwimmkragen, Radartransponder und die Verwendung von LIDAR-Reflektorfarben. So könnten Schiffe und Luftfahrtzeuge der Umweltüberwachung im möglichen Havariefall effektiver eingesetzt werden.
Schiffssicherheit im Weltnaturerbe
Die Havarie wirft erneut Schlaglichter auf das empfindliche und einzigartige Ökosystem Wattenmeer, die lokalen Schiffshavarien der Vergangenheit und die Frage, ob die Sicherheitskräfte und das Havariekommando ausreichend vorbereitet sind. Zuletzt wiesen die Havarien der mit Schweröl beladene Glory Amsterdam und davor die Strandung der Pallas darauf hin, wie rasant sich hier am Randes des Weltnaturerbes Wattenmeer menschenschliche Aktivitäten entfalten, die Reaktionsmöglichkeiten in der Krise aber nicht umfassend genug sind. Sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen in der Schifffahrt wären beispielsweise beim Transport von Gefahrgut oder für Kapitäne die die Route bis Hamburg nur selten befahren eine Lotsenpflicht auch vor den Nordseeinseln einzuführen, sowie der Ausbau der Notschlepper Kapazitäten bis nach Dänemark, um die Reaktionszeiten zu verkürzen.
Das Wattenmeer hat sich mit den Containern der MSC ZOE ein weiteres blaues Auge geholt – möge es dabei bleiben.
Titelbild: Greetsiels Hafenmeister mit den Fundstücken – Foto: Heinz Wagenaar
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1 Kommentar
Wilfried Fiebig
13.05.2019, 20:09Ich kann die Aktivitäten des NABU hinsichtlich der Havarien von Containerschiffen nur unterstützen!!! Mit zunehmender Ladungskapazität der Schiffe müssen auch die Sicherheitsvorkehrungen erhöht werden. Vor allen Dingen muss die Überwachung der Sicherheitsmassnahmen gewährleistet sein!