Klimaschutz UND Artenschutz – geht das?
Der Amazonas brennt, die Meere versauern, der Wald vertrocknet. Das Klima kippt und die Schreckensmeldungen um den ökologischen Zustand unseres Planeten reißen nicht ab. Während die Politik zögert, gehen weltweit Hunderttausende, meist junge Menschen auf die Straße, für ihre, für eine lebenswerte Zukunft. Und in der öffentlichen und politischen Debatte passiert das, was eigentlich nicht passieren darf. Der Schutz von Arten und Lebensräumen wird als Bremse des Klimaschutzes dargestellt.
Anfang August forderte der niedersächsische Umweltminister Lies, auch ehemaliger Wirtschaftsminister, den Naturschutz einzuschränken, um mehr und schneller Windkraftanlagen bauen zu können und blies damit ins Horn einer Branche, die zu oft eher den eigenen Profit im Kopf hat als die Rettung der Welt. Nur kurz danach veröffentlichten die deutschen Umweltverbände ein Handlungspapier, welches das Klimakabinett zum sofortigen Handeln auffordert: Kohleausstieg und 75 Prozent Erneuerbare bis 2030. Und auch hier wurde heftig darum gerungen, ob Artenschutz und Klimaschutz vereinbar sind oder ob nicht auch die Natur, zum Beispiel beim Ausbau der Windkraft einen höheren Preis fürs große Ganze bezahlen muss?
Wir dürfen nicht das zerstören, was wir retten wollen
Vielleicht liegt es in unserer Geschichte, dem Ursprung des NABU im Arten- und Lebensraumschutz. Doch es entspricht auch unserer fachlichen Überzeugung, dass uns ein Gegeneinander von Klima- und Naturschutzpolitik in die Sackgasse führt. Bei der Vorstellung des NABU-Jahresberichtes brachte es Präsident Olaf Tschimpke auf den Punkt: „Wir wissen heute, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien zu einem steigenden Druck auf Flächen und geschützte Arten führt…. Daher sei es dringend notwendig, gemeinsam Lösungen voranzutreiben, die den Klimaschutz ermöglichen, ohne dabei das zu zerstören, was gerettet werden soll. Klimaschutz und Artenschutz gehörten unteilbar zusammen.“ Denn wir müssen uns fragen, was ist eigentlich Klimaschutz, wenn nicht der Erhalt von Vielfalt, von Lebensgemeinschaften, von Lebensräumen, von Arten – und damit von uns Menschen?
Der NABU steht zur Energiewende, setzt für ihr Gelingen aber stärker auf natürliche Kohlenstoff-Senken, Suffizienz und Effizienz sowie beim Ausbau Erneuerbarer Energien stärker auf Photovoltaik. Zu lesen in einer Studie des Wuppertal-Instituts aus dem November 2018.
Gesunde Ökosysteme als effektiver Klimaschutz
Es ist keine Erfindung des NABU, dass natürliche Kohlenstoff-Senken – Moore, Regenwälder, Meere – zu den effektivsten Klimaschutzmaßnahmen gehören, die uns zur Verfügung stehen. Auch der Weltbiodiversitätsrat IPBES verweist immer wieder auf die ‚nature based solutions‘, die Sicherung und auch Renaturierung von Wäldern, Seegraswiesen oder Mangrovengürteln, . Allein die Weltozeane nehmen etwa 30 Prozent des vom Menschen verursachten CO2 auf, jeder zweite Atemzug stammt aus dem Meer, gespendet von unzähligen mikroskopisch kleinen Algen. Und obwohl Moore weltweit lediglich drei Prozent der globalen Landfläche einnehmen, binden sie ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffes – doppelt so viel wie alle Wälder dieser Erde zusammen. Doch Moore, Wälder und Meere können ihre Klimafunktion nur erfüllen, wenn wir ihre komplexen Gefüge verstehen und ihre Artenvielfalt schützen. Zu oft mussten wir in der Vergangenheit lernen, dass der Verlust einzelner Schlüsselarten ganze Systeme in Schieflage bringen kann und damit auch ihre Ökosystemleistungen für uns Menschen: Klimaschutz, Küstenschutz oder Ernährungssicherheit.
Offshore-Windkraft – dunkle Wolke über der Energiewende
Mitte April 2019 feierten Politik und Branche ein Jahrzehnt Offshore-Windkraft in Deutschland. Doch wie grün ist der erneuerbare Strom vom Meer tatsächlich? Zeigen doch heute alarmierende Studien den ökologischen Preis, den insbesondere streng geschützte Seevögel zahlen müssen. Der Sündenfall dabei heißt Butendiek, ein Windpark westlich von Sylt, inmitten zweier Meeresschutzgebiete. Hier tritt der Park die oft zitierte „Naturverträglichkeit“ der Energiewende mit Füßen, indem er die Hälfte eines Vogelschutzgebiets genau für die Arten unbrauchbar macht, für die es ausgewiesen wurde. Während heute Seetaucher vertrieben werden, streiten sich Anwälte des NABU und Gerichte um Zuständigkeiten und Klagebefugnis, und fordern gleichzeitig Industrie, Teile der Politik und nun auch Umweltverbände höhere Ausbauziele. Klimaschutz und Artenschutz werden wieder gegeneinander ausgespielt und die Offshore-Windkraft vom ein oder anderen Akteur zum regionalen Konjunkturmotor degradiert. Ist das die Energiewende, die wir wollen? Ich hoffe nicht.
Die Rolle des NABU
Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Der NABU und auch ich persönlich stehen für die Energiewende, aber bitte im Rahmen der ökologischen Tragfähigkeit, das heißt der Belastungsgrenzen von Meeren oder Wäldern und gebunden an geltendes Naturschutzrecht. Schon Alexander von Humboldt lehrte uns vor 200 Jahren, dass sich Arten und Klima gegenseitig beeinflussen. Wenn also heute Projekte erneuerbarer Energien im Konflikt mit dem Naturschutz sind, geschützte Arten vertrieben werden und Planungsfehler offensichtlich sind, dann ist es die Rolle des NABU auch einen Windpark kritisch zu hinterfragen. Und dabei greifen wir auch zum letzten Mittel, der Verbandsklage. Lobby-getriebene Politiker, Industrie und manche Medien schreien dann gern Parolen wie „Ökos verhindern Energiewende“. Die Wahrheit ist, dass der NABU in den letzten 10 Jahren 0,5 Prozent der Windkraftgenehmigungen beklagt hat, 44 Klagen, 20 davon sind abgeschlossen. Kann das eine gut geplante und ambitionierte Energiewende blockieren? Ganz sicher nicht. Vielmehr machen anders motivierte Windkraftgegener oder wirtschaftliche Lobbyisten den NABU oder andere Naturschutzverbände zum Buhmann eigener Versäumnisse und so zum Steigbügelhalter ihrer Interessen. Zu selten wird auf Dialog gesetzt und werden Belange des Artenschutzes zu oft in den Verfahren nachrangig behandelt. Traurig und gefährlich zugleich.
Zusammendenken was zusammen gehört
Die Energiewende ist alternativlos und auch die (Offshore)-Windkraft ist ein Teil davon. Der Plan kann jedoch nicht sein, den immer weiter wachsenden Energiehunger künftig über die Windenergie abzudecken. Das löst keine Probleme, sondern verschiebt sie nur. Gelingen kann der Kraftakt nur im Zusammenwirken regenerativer Energien mit größeren Anstrengungen bei der Energieffizienz und -suffizienz. Dabei müssen wir global denken, während wir national Vorreiter für innovative Lösungen werden. Ja, es geht dabei auch um Lebensstile, und hier tun wir Menschen uns bekanntermaßen schwer und damit auch die Politik. Dann doch lieber ein paar Tausend Windräder mehr anstatt auf den SUV in der Garage zu verzichten oder Flugreisen und Fleischkonsum zu reduzieren.
Wie viele Windräder sich eines Tages im Sinne des Klimaschutzes drehen sollen, das sollte nach meiner Meinung allein die ökologische Tragfähigkeit der Nord- und Ostsee oder auch anderer Lebensräume und Standorte vorgeben und bitte nicht die Auftragslage von Werften, klamme Kassen der Kommunen oder anlegergetriebene Windparkentwickler. Der nächste Schritt der Energiewende muss daher eine unabhängige Analyse sein, welche die Ausbaupotenziale erneuerbarer Energien mit dem Wissen um den ökologischen Zustand und die kumulativen Nutzungsansprüche verschneidet – eine schwierige und drängende Aufgabe.
Und damit kommen wir wieder zurück zum Anfang: Ja, Klimaschutz und Artenschutz gehören zusammen, es sind zwei Seiten einer Medaille. Gesunde Ökosysteme helfen uns, die Auswirkungen der Erderwärmung zu begrenzen. Verfallen wir an dieser Stelle in sektorales Denken, bekämpfen sich Klimaschützer und Artenschützer, dann wäre die Energiewende schon heute gescheitert und unsere Zukunft sähe noch finsterer aus.
Titelbild: Korallenbleiche. Steigen die Wassertemperaturen, sterben die Korallen – Foto: Herbert Frei
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