Sicherheit für Mensch und Meer – Warum Nord- und Ostsee eine neue Raumordnung brauchen

Sicherheit für Mensch und Meer – Warum Nord- und Ostsee eine neue Raumordnung brauchen

Es ist voll in Nord- und Ostsee. Seit Jahrhunderten werden die Meere vor unserer Haustür intensiv genutzt: Fischerei, Schifffahrt, Rohstoffabbau – mit teilweise dramatischen Folgen für die biologische Vielfalt. Beiden Meeren geht es nicht gut. Doch anstatt den Belastungsdruck zu reduzieren, erreicht die Flächenkonkurrenz im Meer ein nie dagewesenes Ausmaß.

Raumordnungsplan Nordsee

Der aktuelle Raumordnungsplan der Nordsee – zum Vergrößern bitte klicken

Schon heute sind 90 Prozent der deutschen Nord- und Ostsee wirtschaftlich genutzt, selbst in Meeresschutzgebieten wird gefischt, finden militärische Übungen statt. Und mit den Erfordernissen der Energiewende und der stärkeren Energieunabhängigkeit drängen mit Offshorewind, LNG, CCS und Wasserstoff weitere Belastungen in die wankenden Ökosysteme. Die oft zitierte Balance zwischen Schutz und Nutzung droht zu kippen. Die Antwort darauf wäre eine neue, eine andere marine Raumplanung, die hilft, Flächenkonkurrenzen aufzulösen, Nutzungskonflikte entschärft und Platz für die Natur lässt. Doch trauen sich die politisch Verantwortlichen von morgen diese Aufgabe zu? Gibt es Sicherheit, eine Zukunft für Mensch und Meer?

Meeresschutz ist Klimaschutz ist Zukunftsschutz

Der Schutz der Meeresnatur hatte es schwer in der auslaufenden Legislatur. Trotz guter Ansätze im Koalitionsvertrag konzentrierte sich das meerespolitische Regierungshandeln auf den Ausbau erneuerbarer Energien auf See. Mit dem europäischen Nature Restoration Law kam die Verpflichtung zur Stärkung des natürlichen Klimaschutzes sehr spät. Und so führt das einseitige überragende öffentliche Interesse für Windenergie zum Abbau etablierter Umweltstandards und spaltet das ökologisch Untrennbare – Natur & Klima. Im Beschleunigungsrausch wurden Umweltverträglichkeitsprüfungen ausgesetzt, neue Industriegebiete festgelegt und Beteiligungsrechte beschnitten. Der Naturschutz mutierte zum Gegner der Energiewende, während die Natur selbst längst Verlierer ist. Das Bild vom grünen Kraftwerk löste den Sehnsuchtsort Nordsee ab.

Politische Entscheidungen sind komplex und alles andere als leicht. Und ja, wir müssen raus aus den fossilen Energien. Mit dem Klima schützen wir unsere Lebensgrundlagen, wie das Bundesverfassungsgericht 2021 urteilte. Und die Unabhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen, der Ausbau Erneuerbarer schützt eben nicht nur das Klima, sondern ist angesichts des andauernden Angriffskriegs Russlands gleichzeitig eine Investition in die Sicherheit Europas. Doch muss in Anerkennung dieser Tatsachen die Natur zum Verlierer der Energiewende werden?

Eine gesunde Natur sichert ebenfalls unsere Lebensgrundlagen. Sie liefert Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Böden für die Landwirtschaft. Die Leistungen biologischer Vielfalt im Meer, von der Ressource Fisch bis zur natürlichen Kohlenstoffspeicherung in Algenwäldern, Salz- und Seegraswiesen sind unersetzbar. Meeresschutz ist Klimaschutz ist Zukunftsschutz. Vom Zustand der Ozeane hängt unser Klima, hängen alle UN-Nachhaltigkeitsziele ab. Zu dieser Feststellung kam der IPCC-Sonderbericht bereits im Jahr 2019.

Seegraswiese - NABU/Kim Detloff

Seegras- und Salzwiesen speichern große Mengen Kohlenstoff und sind Hotspots der Biodiversität – Foto: NABU/Kim Detloff

Planung von gestern und morgen

Nun ist es nicht so, dass die deutsche Nord- und Ostsee keine Raumordnung haben. Im Gegenteil, erst 2021 wurde eben diese mit dem Raumordnungsplan für die sogenannte ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) unter Federführung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) fortgeschrieben. Doch versäumte es dieser Plan zu steuern, zu regulieren, zu ordnen. Er zeichnete traditionelle Nutzungsansprüche nach und sicherte Flächen für die Offshore-Windenergie überall dort, wo Platz schien – und das in einem Ausmaß fernab der versprochenen Naturverträglichkeit.

Der Ausbau der Offshore-Windenergie: auf etwa einem Viertel der AWZ der Nordsee sollen sich Turbinen drehen - Foto: Markus Keller

Der Ausbau der Offshore-Windenergie: auf etwa einem Viertel der AWZ der Nordsee sollen sich Turbinen drehen – Foto: Markus Keller

Bis zum Jahr 2045 sollen Offshore-Windräder mindestens 70 Gigawatt Strom liefern. Energiepolitisch gewollt, auf Kosten von Schweinswalen und Hunderttausenden Seevögeln, die ihren Lebensraum verlieren würden. Im Raumordnungsplan blieben Meeresschutzgebiete von Nutzungen überlagert, Flächen zur Wiederherstellung klimarelevanter Biotope oder zur Kompensation von Eingriffen wurden nicht gesichert und keine Spur eines Freiraumkonzepts, um auf die Herausforderungen von morgen zu reagieren. Und diese Herausforderungen sind da. Denn der planerische Wildwuchs hat nicht nur Nachteile für die Natur. Seit der Sabotage an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2, spätestens aber seit den andauernden Beschädigungen von Daten- und Energiekabeln in der Ostsee dürfte klar sein: Die maritime Infrastruktur Deutschlands braucht Sicherheit.

Anforderungen an eine neue marine Raumplanung

Es liegt auf der Hand: Energiewende, industrielle Transformation, Sicherheit maritimer Infrastruktur und der Schutz biologischer Vielfalt im Meer schreien nach einem neuen übergeordneten Plan. Und hierfür braucht es politischen Mut und die Anpassung geltenden Rechts. Denn noch fehlt auf See das an Land bewährte Instrument der Landschaftsplanung und auch die demokratische Kontrolle. Bisher einigten sich allein die Bundes-Ressorts über die (Über)Nutzung der Nord- und Ostsee, das Parlament blieb außen vor. Beides sollte schnell korrigiert werden, die Anwendung eines mehrstufigen Planungssystems inkl. der Landschaftsplanung nach Bundesnaturschutzgesetz (§56 BNatSchG) und die Beteiligung des Deutschen Bundestags nach §17 Raumordnungsgesetz (ROG). Dann könnte es losgehen.

Anforderungen, die schon heute bestehen, sind der Beitrag der Raumplanung zur Erreichung des guten Umweltzustands nach EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und der Planungsgrundsatz des Ökosystemansatzes aus der europäischen Richtlinie für die maritime Raumplanung. Ersteres soll die Balance zwischen Schutz und Nutzung sichern, während der Ökosystemansatz dafür die Voraussetzungen schafft: Meeresnutzung dort, wo die Umweltauswirkungen am geringsten bzw. beherrschbar sind und ohne die ökologischen Belastungsgrenzen zu überreizen. Dieser Grundsatz wäre der Schlüssel für die Versöhnung von der Offshore-Windenergie mit dem Meeresnaturschutz. Meeresschutzgebiete könnten zu Refugien für bedrohte Arten und Lebensräume werden und helfen, unvermeidbare Eingriffe für die Energiewende und die wirtschaftliche Transformation zu kompensieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, die deutsche Nord- und Ostsee sind nicht groß. Die europäische Zusammenarbeit muss hier helfen, effiziente Infrastruktur aufzubauen und konkurrierende Entwicklungen einzudämmen. In Summe müssen dabei die kumulativen Belastungen der Meere zurückgefahren werden. Mehr Windenergie oder eine zusätzliche Wasserstoff-Pipeline bedeuten dann weniger Fischerei und Schifffahrt – sektoral sicher eine schmerzhafte, aber notwendige Entscheidung.

Planung über Grenzen – das Weltnaturerbe Wattenmeer retten

Das Beste kommt zum Schluss – unser Weltnaturerbe Wattenmeer – doch es ist in Gefahr. Denn unbeachtet bleibt in politischen Entscheidungen oft, dass jedes Energiekabel, jede Pipeline und jedes Datenkabel auch an Land müssen. Hunderte sollen direkt durch die Kernzonen des Nationalparks und Weltnaturerbe Wattenmeer verlegt werden. Zu viel, wie auch das UNESCO-Welterbe-Komitee feststellte. Insofern braucht es neben der trilateralen Zusammenarbeit zwischen Dänemark, den Niederlanden und Deutschland auch eine gemeinsame Raumplanung für die AWZ und das Küstenmeer. Bund und Länder müssen an den Tisch, um das Welterbe zu retten. Alte Kabeltrassen müssen aufgewertet, neue aus den Kernzonen des Nationalparks in die Schifffahrtslinien verlegt werden, doch hier blockiert (noch) die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung.

Lineare Infrastruktur in Wattenmeer und Nordsee - Grafik: NABU

Zu viel fürs Weltnaturerbe: geplante lineare Infrastruktur – Grafik: NABU

 

Von der Meeresoffensive zur Meeresstrategie

Im Koalitionsvertrag 2021 war von einer Meeresoffensive zum Schutz der Meeresnatur, von streng geschützten Schutzgebieten und der Entwicklung einer nationalen Meeresstrategie zu lesen. Elemente, die nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüßt haben und auf Umsetzung warten. Als Teil der Idee einer Raumplanung für Mensch und Meer ließe sich ein brauchbares meerespolitisches Arbeitspaket der zukünftigen Bundesregierung schnüren. Mutige und verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker vor.

 

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