Verfrühtes Weihnachtsgeschenk an die Automobilindustrie
Mit Spannung wurde der Kommissionsentwurf für die künftige Ausgestaltung der europäischen CO2-Grenzwerte für Neuwagen erwartet – von den Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden als effektiver Hebel zur Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor ersehnt, von der Automobilindustrie als angeblicher Kostentreiber und Hemmschuh beim Absatz hoch motorisierter Gelände- und Sportwagen gefürchtet. Nach einem Anruf des Cheflobbyisten der deutschen Automobilindustrie droht der Effekt der komplexen Regelung nun zu verpuffen. Ein unerhörter Vorgang, der nicht nur ironischerweise in die Zeit der Weltklimakonferenz in Bonn fiel, sondern noch einmal in aller Deutlichkeit belegt, welch privilegierten Zugang die Hersteller in Brüssel genießen – trotz Abgasskandal, millionenfacher Verbrauchertäuschung, illegaler Kartellabsprachen und vorsätzlich verursachtem Schaden an Umwelt, Klima und menschlicher Gesundheit. Die Krönung war dann noch der Brief von Außenminister Sigmar Gabriel an die Kommission, in der um Rücksicht für die Interessen der Autoindustrie warb.
Zur Erinnerung: Die deutsche Bundesregierung hatte im Rahmen des Klimaschutzplans 2050 ein sektorspezifisches Minderungsziel von 40-42 Prozent CO2-Emissionen für den Verkehrsbereich bis zum Jahr 2030 beschlossen. Ein sicherlich ambitioniertes, aber vor dem Hintergrund des Pariser Klimaschutzabkommens und der damit verbundenen, vollständigen Dekarbonisierung des Verkehrssektors bis 2050 absolut folgerichtiges Ziel. Allein die konkreten Maßnahmen zur Erreichung der Zielvorgabe sollen erst in den kommenden Monaten hinterlegt werden. Hier böte sich über eine ambitionierte Ausgestaltung der CO2-Grenzwertregulierung ein erster wesentlicher Hebel. Denn hinter dieser Verordnung verbirgt sich nichts weniger als die Vorgabe zu weiteren Effizienzsteigerungen bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen, die nachweislich ohne einen solchen ordnungspolitischen Rahmen nicht annähernd in diesem Umfang Eingang in die europäische Autoflotte gefunden hätte.
Aber der Reihe nach: Der Vorschlag über den künftigen CO2-Grenzwert für die europäische Neuwagenflotte sieht eine Absenkung von 30 Prozent der Emissionen zwischen 2021 und 2030 vor. In einem Zwischenschritt sollen die Hersteller verpflichtet werden, bis zum Jahr 2025 zunächst 15 Prozent weniger Kraftstoff zu verbrauchen. Im Falle der Nichteinhaltung drohen empfindliche Geldstrafen von 95 Euro pro Gramm CO2 und Fahrzeug, das über dem herstellerspezifischen Flottengrenzwert liegt. Dies mag sich zunächst wie ein ordentlicher Schritt in Richtung emissionsfreie Mobilität anhören, doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail:
Ausnutzung von Schlupflöchern
Da wäre zunächst die bevorstehende Umstellung des offiziellen Testzyklus vom alten Messverfahren „Neuer Europäischer Fahrzyklus“ (NEFZ) auf den etwas realistischeren „Worldwide harmonised light-duty test cycle“ (WLTP), der die eklatante Lücke zwischen tatsächlichen Kraftstoffverbräuchen und Herstellerangaben zumindest ein wenig schließen soll. Ein wichtiger und richtiger Schritt, doch die Automobilindustrie hat auch hier bereits wieder Anpassungsbedarf angemeldet und fordert einen Aufschlag von 20 Prozent auf die bestehenden Grenzwerte im Zuge der Umstellung. Gerechtfertigt wären maximal 10 Prozent, so die unabhängigen Experten des International Council on Clean Transportation (ICCT). In der Folge könnte den Herstellern also bereits durch die Einführung des neuen Testverfahrens ein erheblicher Aufschlag zugestanden werden und Effizienzsteigerungen vernichtet oder zumindest verzögert werden.
Doch es geht noch weiter, denn der Kommissionsvorschlag lässt die „Absprunghöhe“ der 30-prozentigen Minderung im Unklaren. Je nachdem, wie weit den Herstellern an diesem Punkt entgegen gekommen wird, könnte man im Ergebnis 2030 bei einem Grenzwert nahe dem aktuell für 2021 gültigen von 95 Gramm pro Kilometer landen – wenn auch dieses Mal WLTP-basiert. Selbstverständlich werden die Automobilhersteller bis dahin auch wieder die Schlupflöcher des neuen Zyklus entdeckt und weidlich ausgenutzt haben, so dass die Realemissionen noch einmal deutlich höher liegen werden. Im Endeffekt droht hier fast ein Jahrzehnt Stillstand.
Die deutschen Umweltverbände NABU, BUND, DUH und VCD hatten einen absoluten Grenzwert, statt prozentualer Minderungen für die Jahre 2025 und 2030 gefordert: 70 Gramm im WLTP für 2025 und 35-45 Gramm im realen Fahrbetrieb im Jahr 2030. Diese Werte sind direkt aus den klimapolitischen Notwendigkeiten einer vollständigen Dekarbonisierung des Verkehrssektors vor 2050 abgeleitet und verdeutlichen den enormen Kraftakt, der sich mit dieser Aufgabe verbindet. Lässt man sich auf die von den Herstellern favorisierte Lösung prozentualer Minderungsvorgaben ein, ergibt sich aus unseren Zielen ein notwendiges Reduktionsziel von etwa 30 Prozent bereits in 2030 und ein nochmal deutlich höheres Ziel von 60-70 Prozent in 2030.
Diese Zahlen illustrieren, wie weit der gegenwärtige Gesetzentwurf von bereits vereinbarten, internationalen Klimaschutzzielen entfernt ist und wirft vor allem die Frage auf, durch welche weiteren Instrumente dann die Klimaschutzverpflichtungen erreicht werden sollen. Hier bleiben letztlich vor allem nationale Maßnahmen, die zwar nicht unbekannt, dafür aber unbeliebt sind und den Bürgern von den politisch Verantwortlichen vermittelt werden müssen: Erhöhung der Mineralölsteuer, Abschmelzen des Dieselprivilegs, Umbau von Pendlerpauschale und Dienstwagenregelung, Einführung einer fahrleistungsabhängigen Maut und vieles mehr. Sicher keine Aufgabe, bei denen sich künftige Minister gerne ins Rampenlicht drängeln.
Fragwürdig ist auch die angenommene, lineare Fortschreibung der Treibhausgasminderung vor dem Hintergrund der (vorgeblich) betriebenen Umstellung auf Elektromobilität. Denn derzeit werden Elektrofahrzeuge mit null Emissionen auf die Flottenwerte der Hersteller angerechnet, obwohl dies angesichts des deutschen Strommixes mindestens irreführend, wenn nicht gar kontraproduktiv ist. Doch einmal abgesehen von dieser grundsätzlichen Herausforderung im Kontext der naturverträglichen Energiewende, kompensieren nun die sogenannten Nullemissionsfahrzeuge oder auch ZEVs (für zero emission vehicles) das boomende Segment der schweren, PS-starken und aerodynamisch äußerst problematischen SUV.
Eine Quote wurde im letzten Moment, ebenfalls durch massive Intervention der Herstellerverbände, zu einer unverbindlichen Empfehlung abgeschwächt, die ohne jegliche Sanktionsmechanismen auskommen muss und damit nichts als ein hehrer Appell bleibt. Aus Sicht des NABU eine ebenfalls vertane Chance, die Hersteller zu nachhaltigen Investitionen in zukunftsfähige Technologien, statt die vergeblichen Rettungsversuche des Verbrenners zu stecken.
Mit anderen Worten: Eine gesamteuropäische Regelung, die in erster Linie die Hersteller und nicht den Verbraucher in die Pflicht nimmt und gleichzeitig den Umstieg auf emissionsarme Technologien beschleunigt und so gleichsam die Automobilindustrie fit für das globale Zeitalter der Elektromobilität macht und damit langfristig Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland und Europa sicherstellt, wäre die bessere Alternative.
Weitere Informationen:
Foto Titelbild: NABU/Helge May
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1 Kommentar
Ursula Stürzbecher
01.12.2017, 19:10Jeden Tag gibt es neue Berichte über CO ² Werte und wie schädlich das alles ist! Das die Abgase nicht gesund sind ist eigentlich jedem klar, doch viele lassen nach wie vor ihre Autos im Stand lange Zeit laufen, im Sommer wegen der Klimaanlage, im Winter wegen der Heizung, nicht nur private PKW, auch Busse, Paketboten und LKW's, ob im Winter oder im Sommer! Warum geht da niemand gegen an, Verwarnungsgelder, Anzeigen usw.! Ich bekomme regelmäßig nur freche Antworten, wenn ich die Fahrer darauf aufmerksam mache!