Halbzeitbilanz der Ampelkoalition – wo bleibt die ökologische Schuldenbremse?

Halbzeitbilanz der Ampelkoalition – wo bleibt die ökologische Schuldenbremse?

Die Ampelkoalition, das Dreierbündnis aus SPD, Grünen und FDP, hat nach vergleichsweise zügigen und erstaunlicherweise wirklich verschwiegenen Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen am 8. Dezember 2021 ihre Arbeit aufgenommen. Unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“ wollte man nach 16 Jahren Merkel aufbrechen und mit neuer Dynamik die großen Zukunftsfragen von Klimaschutz, Modernisierung der Infrastruktur und Digitalisierung, bis hin zur Wiederherstellung der Ökosysteme angehen.

Fortschritt, Rückschritt und dauerhafter Krisenmodus

Bekanntermaßen kam nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine alles anders: Noch waren die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht verdaut, da bestimmten Sicherheits- und Rüstungsfragen, Unterbringungen für Geflüchtete, stetig steigende Energiepreise und Begriffe wie Zeitenwende und Polykrise die Debatten und das politische Handeln. Das grün geführte Klimaministerium rollte mit dem LNG-Gesetz neuen und zusätzlichen Kapazitäten für fossiles Gas den Teppich aus, Monate zuvor noch undenkbar. Natur- und Artenschutzbelange gerieten hier durch das Aussetzen der Umweltverträglichkeitsprüfung ebenso unter die Räder wie bei dem (dringend nötigen!) Ausbau der erneuerbaren Energien im Zuge der EU-Notfallverordnung.

Auch auf Betreiben der Bundesregierung wurden in der nationalen Gesetzgebung die Grundlagen dafür gelegt, Umweltstandards zu schleifen. Einseitig wurden und werden seitdem Infrastrukturprojekte auf Kosten von Natur- und Artenschutz vorangetrieben, indem sie als von „überragendem öffentlichen Interesse“ deklariert werden. Im Meer stellte das Windenergie-auf-See-Gesetz gar Meeresschutzgebiete schlechter als sektorale Interessen wie den Rohstoffabbau oder die Schifffahrt. Selbst Straßenbauprojekte und Müllverbrennungsanlagen sollten von den neuen Ausnahmen profitieren. Ein Fass ohne Boden, dessen fatale Auswüchse zügig zurückgedreht werden müssen; etwa im Zuge der anstehenden Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtline IV (RED IV), denn eine gute Balance zwischen Klima- und Naturschutz ist der Ampel bisher nicht gelungen.

Wo bleibt der Natur- und Artenschutz?

Nationale Artenhilfsprogramme (nAHP) sollen die durch den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien zusätzlich zu erwartenden Beeinträchtigungen der Natur abmildern. Doch die zugehörigen Förderrichtlinien fehlen ebenso wie eine langfristige über die Legislatur hinausgehende finanzielle Absicherung, zumindest an Land. Für das Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz (ANK) steht mit etwa vier Milliarden Euro so viel Geld für den natürlichen Klimaschutz zur Verfügung, wie nie zuvor. Wälder, Böden, Gewässer, Moore und Meere sollen als natürliche Kohlenstoffsenken und -speicher gestärkt und wiederhergestellt werden. In diesem Zusammenhang ist auch das neue Klimaanpassungsgesetz wichtig.

Renaturierungsgebiet Havel

Der Wert intakter Ökosysteme sollte auch in den Finanzmärkten berücksichtigt werden. Foto: NABU/Volker Gehrmann

Ein Lichtblick: Die Rolle Deutschlands unter Federführung des BMUV im Dezember 2022 bei der Weltnaturkonferenz in Montréal. 30 Prozent der Land- und Meeresfläche soll bis 2030 geschützt und ebenfalls 30 Prozent geschädigter Ökosysteme wiederhergestellt und die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden. Wesentlicher Hebel hierfür wird die Umsetzung der EU-Wiederherstellungsverordnung und der nationalen Biodiversitätsstrategie noch in dieser Legislatur sowie das Schließen der klaffenden Finanzierungslücke für Naturschutzverpflichtungen sein. Letztere kann auch durch die Investitionsoffensive im Rahmen des Aktionsprogramm (ANK) natürlicher Klimaschutz nicht gestopft werden und die Prioritätensetzung und Sparpolitik von Bundesfinanzminister Lindner (FDP) verspricht keine baldige Besserung.

Obwohl mit nAHPs, Klimaanpassungsgesetz und ANK einige Versprechen aus dem Koalitionsvertrag adressiert wurden, ist für die zweite Hälfte der Legislatur vor allem Tempo bei der Umsetzung der versprochenen “Beschleunigungsoffensive für Renaturierungsprojekte” angesagt. Die Bundesregierung muss jetzt die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen, damit schnelle und großflächige Renaturierungsprojekte möglich werden. Doch hier hakt es noch: So wird ein progressives Naturflächengesetz ausgebremst, weil es Teilen der Bundesregierung offenbar mehr um eine Vereinfachung der Eingriffsregelung anstatt den dringend notwendigen Biodiversitätsschutz in die Fläche zu bringen. Doch Geld allein macht keinen Naturschutz! Das zeigt sich auch bei der Umsetzung von 10 Prozent nutzungsfreien Flächen in den Meeresschutzgebieten der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- und Ostsee. Hier braucht es jetzt politische Entschlossenheit.

Im Bereich der Landwirtschaft, die nach wie vor einer der wesentlichen Treiber für den Verlust von Arten ist, ist erschreckend wenig vorangegangen. Dies liegt nicht zuletzt an dem europäischen Steuerungs- und Finanzierungsrahmen, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Hier ist es dem zuständigen Minister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) bisher nicht gelungen, eigene Impulse zu setzen und geplante Verbesserungen einzubringen. Hinzu kommen geplante Kürzungen bei den Geldern der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) im Bereich “Ökolandbau und biologische Vielfalt”, entgegen dem Versprechen im Koalitionsvertrag. Dies konterkariert die Ankündigungen des Ministeriums, den Ökolandbau massiv ausbauen zu wollen. Auch die gute Initiative des Landwirtschaftsministers mit Umweltministerin Steffi Lemke und den Umweltminister*innen der Länder, den Einsatz von Biokraftstoffen zu reduzieren, scheiterte sogleich wieder am Widerstand des Verkehrsministers Volker Wissing (FDP). Fast zeitgleich blamierte dieser Deutschland auf der EU-Ebene, indem er das Verbrenner-Aus für PKW bis 2035 mit der E-Fuels-Forderung torpedierte.

Erreichen der Klimaschutzziele rückt in weite Ferne

Das FDP-geführte Verkehrsministerium hat auch sonst nicht erkennen lassen, die Emissionen des Verkehrssektors drastisch reduzieren und damit in Einklang mit dem Bundesklimaschutzgesetz in Einklang bringen zu wollen. Wären nicht einige gute Initiativen im Bereich der Bahn- und Radpolitik, sowie das Deutschland-Ticket, müsste man von einem Totalausfall sprechen. Die Spritpreisbremse war in diesem Kontext nur ein weiterer, völlig fataler Fehlanreiz, der einigen Ölkonzerne zudem vermutlich erhebliche Zusatzgewinne in die Kassen spülte.

Doch statt in der Konsequenz den Verkehrsminister – wie auch seine Kollegin Bauministerin Klara Geywitz (SPD) – stärker in die Pflicht zu nehmen, machte die Ampel das genaue Gegenteil. Anstatt gesetzlich vorgeschriebene wirksame Sofortprogramme zu verabschieden, entschied sich die Regierung zu einem der sicher folgenschwersten Irrtümer ihrer Amtszeit: Der Abschwächung des Klimaschutzgesetzes, die im September besiegelt werden soll. Dass diese „Fortschrittsregierung“ mit Grüner Regierungsbeteiligung einmal hinter das zurückfallen sollte, worauf sich die oft gescholtene GroKo einst verständigen konnte, lässt einen fassungslos zurück. Es bleibt zu hoffen, dass sich genug Parlamentarier*innen finden, die dieser Rolle rückwärts in der Klimapolitik nicht zustimmen werden. Auf der Haben-Seite beim Klimaschutz könnte man immerhin den vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf das Jahr 2030 verbuchen, würden nicht verschiedene Berechnungen zeigen, dass unter dem Strich wohl kaum CO2 eingespart wird. Es hat also eher etwas Symbolhaftes, wobei zumindest den Grünen sicherlich auch die Bilder aus dem Ort Lützerath noch lange nachhängen werden.

Wärmepumpen leisten einen wichtigen Beitrag zu den Klimazielen im Gebäudesektor – Foto: NABU/Jan Piecha

Das Gebäudeenergiegesetz (“Heizungsgesetz”) bleibt einerseits unzureichend, andererseits ist die kommunikative Gegenkampagne auch aus den Reihen der Regierungskoalition dazu vermutlich ein Grund, warum der vormals breite Rückhalt für ambitionierte Klimapolitik in der Gesellschaft bröckelt. Auch das Energieeffizienzgesetz bleibt weit hinter den Erwartungen zurück und dürfte kaum einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Der Ampel fehlt vor allem ein klarer Plan, wie sie die Klimaschutzziele noch erreichen will.

Die Kreislaufwirtschaftsstrategie ist noch in Arbeit, doch der Wechsel hin zu Recyclingrohstoffen und die Transformation unserer Wirtschaftsweise wird durch die Rohstoffkrise immer dringlicher.  Die Überprüfung und hoffentlich Abschmelzung umweltschädlicher Subventionen scheint derzeit kein Koalitionspartner ernsthaft voranzutreiben. Und auf welchen Weg sich die Bundesregierung mit ihrer neuen Abhängigkeit von Flüssiggas (LNG) begibt, mit dem Ausbau von Überkapazitäten, im Fall Mukran mal wieder quer durch Meeresschutzgebiete, das weiß sie vermutlich selbst nicht.

Bedeutsam erscheint der Klima- und Transformationsfonds (KTF), der in den kommenden Jahren mehr als 200 Milliarden Euro für den Umbau zentraler Industrien, Infrastruktur und zur Unterstützung privater Haushalte bereitstellen soll. Tatsächlich wird dieses dringend benötigte Geld sicherlich einiges anschieben können. Zentral wird die Frage sein, ob der Umbau auch sozialverträglich gelingt und ausgerechnet hier klafft eine empfindliche Leerstelle: Das Klimageld stockt. Unverständlich angesichts der Stimmung in der Bevölkerung, die sich eine sozialgerechte Klimapolitik wünscht.

Fazit

Jede Regierung muss sich heute daran messen lassen, ob es ihr gelingt, die drängenden Herausforderungen ihrer Zeit effektiv zu bewältigen. Wohlfühlrhetorik, Verzagtheit, parteipolitisch motivierter Koalitionsstreit und vertagte Entscheidungen sind genauso inakzeptabel wie unterkomplexe Antworten. Sicher muss eingepreist werden, dass die Schlagzahl der großen Krisen allen Beteiligten ein Höchstmaß an Einsatzbereitschaft abverlangt und gewissermaßen ab Tag Eins in Regierungsverantwortung alle wohlfeilen Pläne teils schnell Makulatur wurden. Die Regierung agierte quasi permanent im Krisenmodus. In diesen Zeiten Orientierung, Stabilität und Sicherheit vermitteln zu können, ist denkbar herausfordernd.

Das Bild, das die Ampel über weite Teile der vergangenen Monate an den Tag gelegt hat, war indes eines der Zerstrittenheit und der mangelnden Zielvorstellung. Wen soll das überzeugen, ja für das Neue begeistern? Während beim Klimaschutz zumindest einige Schritte in die richtige Richtung, jedoch in unzureichender Geschwindigkeit gegangen wurden, bleibt der Natur- und Artenschutz noch weitestgehend eine Leerstelle. Für die zweite Halbzeit der Legislatur muss deshalb gelten: Mehr Engagement beim Biodiversitätsschutz, insbesondere zur Stärkung des Artenschutzes sowie resilienter Ökosysteme, und Endspurt bei allen Projekten, die auf mehr Klimaschutz einzahlen. Daneben muss die Ampel einen klaren Plan für eine sozial gerechte Klimapolitik vorlegen. Denn es stehen nicht weniger als unsere natürlichen Lebensgrundlagen und damit letztlich eine Welt, wie wir sie kannten und bewahren wollen und müssen, auf dem Spiel. Es geht um wahrhaft existenzielle Bedrohungen. Aus diesem Grund brauchen wir endlich eine ökologische Schuldenbremse, um nachfolgenden Generationen keinen ökologischen Schuldenberg zu hinterlassen!

 

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