Beschleunigung für den Naturschutz? Stand des Natur-Flächen-Gesetzes

Ende März wurde im Beschluss der Koalitionspartner ein Natur-Flächen-Gesetz angekündigt. Bisher sind weder erste Eckpunkte veröffentlicht, noch wurde der angedachte Konsultationsprozess eingeleitet. Dennoch wird das Rauschen lauter. Zeit für eine Bestandsaufnahme. 

Was sagt der Koalitionsbeschluss? 

Der Koalitionsbeschluss der Bundesregierung mit dem Titel „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ sorgte Ende März zwar insgesamt für Enttäuschung. Unter der Überschrift „Beschleunigung und Effektivierung des Naturschutzes“ sollte jedoch in Punkt III ein „Konsultationsprozess mit Verbänden, Praxis und Wissenschaft“ eingeleitet werden, um danach ein Gesetz vorzulegen, „damit Flächen von besonderer Bedeutung für den Schutz der Ökosystemfunktionen schneller und effektiver bereitgestellt und gesichert werden können“. Weiter heißt es in Punkt III 2:

Um genügend und vernetzte Flächen für die Renaturierung und den Naturschutz raumordnerisch zu sichern, soll die Möglichkeit geschaffen werden, einen zusammenhängenden länderübergreifenden Biotopverbund als Vorrangfläche zu definieren. Dafür wird die Bundesregierung ein Flächenbedarfsgesetz auf den Weg bringen. 

Wie könnte ein Natur-Flächen-Gesetz aussehen? – Vergleich mit dem WindBG 

Das Flächenbedarfsgesetz heißt mittlerweile Natur-Flächen-Gesetz (NFG). Die Ähnlichkeit des ursprünglichen Namens mit dem „Windenergieflächenbedarfsgesetzes“ (WindBG) ist jedoch kein Zufall.
Das WindBG definiert mit den „Windenergiegebieten“ eine Flächenkategorie. Diese Flächen sollen von den Ländern raumordnerisch als Vorranggebiete (oder Vergleichbares) gesichert werden. In den Windenergiegebieten gelten dann Verfahrenserleichterungen zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung des Ausbaus der Windenergie (das hieß leider Abschwächungen des Naturschutzes). 

Diesen Ansatz auf das NFG übertragend könnten also „Naturflächen“ (der Name ist frei wählbar) ausgewiesen werden, in denen dann (1) die Natur einen Vorrang erhält und (2) rechtliche Anpassungen gelten, welche Schutz und Wiederherstellung von Natur erleichtern und beschleunigen. 

Daraus ergeben sich zwei Fragen für das NFG: 

1. Welche Flächenkulisse soll das NFG betreffen? 

Eine Kulisse lässt sich aus verschiedenen Naturschutzzielen ableiten. Neben den von den Verbänden favorisierten Flächen für Schutzgebiete (30% Ziel) und Biotopverbund stehen die Wiederherstellung von Ökosystemen und der natürlichem Klimaschutz vor ähnlichen Herausforderungen. Zwischen diesen Aspekten gibt es dabei große räumliche und inhaltliche Überschneidungen. Ihnen ist auch gemein, dass sie zu großen Teilen durch nachhaltige Nutzung erreicht werden.

Die Bundesregierung scheint aktuell vor allem auf den länderübergreifenden Biotopverbund abzuzielen. Das aktuelle Ziel von 10% der Landesfläche ist laut BfN zu 61% erreicht. Teile davon sind auch als Schutzgebiete ausgewiesen. Die neue Nationale Biodiversitätsstrategie schlägt eine Erhöhung des Ziels auf 15% vor.

In jedem Fall muss die vom NFG adressierte Kulisse aber quantitativ im Verhältnis zu ihrem Erfüllungsaufwand stehen, was bei einstelligen Prozentzahlen wohl kaum der Fall wäre. Da es in dem Gesetz vor allem um die Erleichterung und nicht die zwangsläufige Durchführung von Naturschutzmaßnahmen zu gehen scheint, erschließt sich auch nicht, warum die Kulisse nicht groß (Richtung 30%) angelegt sein sollte. Hier ließe sich auch über Anrechnungen nachdenken, um ambitionierte Bundesländer zu belohnen und den Lückenschluss zu bestehenden Zielen zu fördern (dies funktioniert natürlich nur, wenn ein Ziel den Ist-Zustand maßgeblich übersteigt).

2. Welche rechtlichen Änderungen ermöglichen die nötige Geschwindigkeit bei der Umkehr des Biodiversitätsverlustes?

Möglichkeiten der rechtlichen Beschleunigung mit konkreten Textvorschlägen zeigte der NABU bereits in einem zweiteiligen Rechtsgutachten (Teil 1, Teil 2), dessen Lektüre sehr empfehlenswert ist.

Zum einen wird hier vorgeschlagen zusätzlich zur oben genannten Kulisse auch „Artenhilfsflächen“ bereits gemeinsam mit den Windenergieflächen des WindBG zu planen und zu sichern. Diese Artenhilfsflächen könnten sich an den unterschiedlichen Flächenbeitragswerten der Bundesländer im WindBG orientieren.

Darüber hinaus könnte das NFG als Artikelgesetz u.a. folgende Anpassungen in Fachgesetzen vornehmen, um für die zusätzliche effektive Sicherung von Schutzgebieten zu sorgen und Wiederherstellungsmaßnahmen zu erleichtern:

  • Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG):
    • Stärkung und Erweiterung des Biotopverbundes in § 20 Abs. 1 und § 21 BNatSchG
    • Stärkung der Landschaftsplanung und Verzahnung mit nationalen Wiederherstellungsplänen in § 8 BNatSchG
    • Zeitliche Konkretisierung von Wiederherstellungsverpflichtungen im Netz Natura 2000 in § 31 BNatSchG
    • Stärkung der Vorbildfunktion und Fächenbereitstellung der öffentlichen Hand in § 2 Abs. 4 und § 62 BNatSchG
  • Wasserhaushaltsgesetz (WHG) (und BNatSchG)
    • Erweiterung des Vorkaufsrechtes in § 66 Abs. 1 BNatSchG und § 99a WHG
    • Klarstellungen zur Duldungspflicht gem. § 65 BNatSchG und Erweiterung derer im § 92 WHG
    • Erweiterung des Anwendungsbereiches einer wasserrechtlichen Planfeststellung in § 67ff WHG und Erweiterung der dem Wohle der Allgemeinheit geltenden Maßnahmen um Renaturierung im § 71 des WHG
    • Ergänzungen der Bewirtschaftungsgrundsätze um natürlichen Klimaschutz im § 6 Abs. 1 WHG
  • Weitere relevante Gesetze
    • Überführung des überragenden Gewichtes der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG (Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen) stärker in konkretere Zielvorstellungen des Raumordnungsgesetzes (ROG)
    • Einführung verpflichtender Informationspflichten § 7 Abs. 2 des Umweltschadensgesetz, sowie Fristensetzung für die Sanierung von Umweltschäden in § 8
    • Ergänzung der Möglichkeiten der Kommunen zur Festsetzung von „Ökokontoflächen“ gem. § 9 Abs. 1 a BauGB

Der Großteil der Vorschläge ist dabei unabhängig von Flächenkulissen (bzw. enthält diese schon) und könnte/sollte auf der gesamten Landesfläche wirken.

Auch Verbesserungen beim Meeresschutz in der Ausschließlichen Wirtschaftszone sind in der Diskussion, jedoch steht der Naturschutz hier vor anderen Herausforderungen als dem Flächenzugriff. Relevante Hebel sind hier beispielsweise die Ausweitung der Regelungsbefugnisse des BMUV in Meeresschutzgebieten oder die Einführung einer Fachplanung Naturschutz im Meer, analog zur Landschaftsplanung an Land.

Und was hat all das mit der Eingriffsregelung zu tun? 

Eigentlich nichts!
Die Eingriffsregelung ist so alt wie das Bundesnaturschutzgesetz, nämlich mittlerweile
45 Jahre. Seit dem war sie mehrfach Abschwächungsversuchen ausgesetzt. Häufig zielen diese darauf ab, ihren Geltungsbereich einzugrenzen oder die naturale Kompensation (d.h. den Eingriffsausgleich durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen) abzuschwächen (siehe z.B. Koalitionsvertrag Kabinett Merkel II aus CDU/CSU & FDP).

Diese Stoßrichtung schlug auch Christian Lindner nach Veröffentlichung des Koalitionspapieres ein, indem er den „Paradigmenwechsel im Naturschutz“ verkündete und mit der Jahrzehnte-alten FDP-Forderung „Geld statt Fläche“ den Fokus auf Planungserleichterungen für Intrastrukturprojekte und zu Lasten des Naturschutzes setzte. Wie man einen Eingriff ohne Flächen kompensieren will verriet Lindner nicht. Die betreffende Textstelle (Punkt III 1.), nach welcher „die Kompensation der Eingriffe […] auch durch entsprechende Zahlungen erfolgen [kann].“ gibt jedenfalls nur den Status quo des §15 (6) BNatschG bzw. der Vermeidungshierarchie in § 13 BNatSchG wieder.

Tatsächlich sollte es jedoch das Ziel des NFG sein, den Naturschutz als Teil der Doppelkrise von Klima und Biodiversität ebenso zu priorisieren wie bisher schon den Ausbau der Erneuerbaren Energien (bzw von LNG). Nach den Zumutungen von Erneuerbare-Energien-Gesetz, Wind-an-Land-Gesetz, Windenergie-auf-See-Gesetz, LNG-Gesetz, der EU-Notverordnung sowie der Novelle der Verwaltungsgerichtsordnung (sowie aktuell weiteren wilden Ideen beim “Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung”) ist ein entsprechender rechtlicher Ausgleich zu Gunsten des Naturschutzes mehr als angebracht. Auch die Ziele des Weltnaturschutzabkommens und der EU-Biodiversitätsstrategie werden sich anders kaum erreichen lassen.

Gleichzeitig gibt es Umsetzungsdefizite bei der Eingriffsregelung, welche in verschiedenen Debattenbeiträgen der Zivilgesellschaft mit untergesetzlichen Lösungsvorschlägen adressiert wurden. Die vorgeschlagene räumlich zusammenhängendere und vorgezogene Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen käme dabei auch dem Ausbau der Erneuerbaren zugute! Hier sind vor allem die Länder gefragt, Flächen- und Maßnahmenpools zu fördern. Die Erhöhung der Flächenverfügbarkeit im NFG kann auch hierbei helfen. Je nachdem wie die Kulisse im NFG definiert wird, kann sie unter Wahrung der Zusätzlichkeit auch als Vorzugsraum für Ausgleichsmaßnahmen dienen und so deren Wirkung erhöhen. Dies sollte jedoch ein Zusatznutzen und nicht der Kern des NFG sein.

Fazit

Ein Natur-Flächen-Gesetz wird sich vor allem daran messen lassen müssen, inwiefern es effektiv und auf großer Fläche zur Lösung der Naturkrise und zum Erreichen unserer Naturschutz- und -wiederherstellungsziele beiträgt. Etwaige Flächenkonkurenzen können dabei auch entschärft werden, indem Flächenversiegelung reduziert und auf den Anbau von klimaschädlichen „Bio“-Kraftstoffen verzichtet wird.

Abschwächungen der Eingriffsregelung unter der Überschrift „Beschleunigung und Effektivierung des Naturschutzes“ zu diskutieren macht jedenfalls keinen Sinn. Dies ist (1) nicht vom Koalitionsbeschluss abgedeckt und würde zudem (2) Flächenagenturen mit ihren bestehenden Poollösungen und deren Beschleunigungswirkung gefährden. Dennoch kommt ein auf besseren und schnelleren Naturschutz fokussiertes Gesetz automatisch auch dem Schutz des Klimas zugute.

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Stephan Piskol
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