EU-Taxonomie: Greenwashing mit weitreichenden Folgen

EU-Taxonomie: Greenwashing mit weitreichenden Folgen

Seit Monaten haben wir die Entscheidung der EU-Kommission erwartet, ob fossiles Gas und Atomenergie in die EU-Taxonomie aufgenommen wird. Vielfach wurde kritisiert, dass eine Klassifizierung von konventionellen, fossilen und risikobehafteten Technologien institutionelles Greenwashing darstellt. Greenwashing, so wurde regelmäßig betont, würde die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie erheblich beeinträchtigen und den European Green Deal vor erhebliche Probleme stellen. Auch der NABU hat dies in den vergangenen Monaten immer wieder hervorgehoben.

Am Silvesterabend, den 31.12.2021 gegen Mitternacht, hat die EU-Kommission nun Fakten geschaffen. Sie schlägt vor, dass Gas und Atomenergie befristet Eingang in die EU-Taxonomie finden sollen. Das wertet der NABU als folgenschwere Fehlentscheidung.

Gefahr von Lock-in-Effekten

Mit dem Kommissionsvorschlag, fossiles Gas und Atomenergie als nachhaltige Finanzanlagen auszuweisen, rücken die Ziele des European Green Deals in die Ferne. Statt privates Kapital transparent und wissenschaftsbasiert in erneuerbare Energien umzuleiten, werden Anleger*innen alte, risikobehaftete Technologien als grüne Investments verkauft werden. Dies ist ein doppeltes Problem: Zum einen werden private Investitionsmittel für erneuerbare Energien fehlen. Zum anderen haben sowohl neue Gaskraftwerke als auch Atomreaktoren lange Laufzeiten. Sie nur für einen kurzen Zeitraum zu betreiben würde viel Geld vernichten. Effektiv entstehen so Lock-in-Effekte, die die Ziele des European Green Deals verfehlen.

Unzureichende Standards

Dass die EU-Kommission Gas und Atomenergie nur befristet als „Übergangstechnologien“ einbinden will, ist dabei ein schwacher Trost. Neue Gaskraftwerke müssen, dem Kommissionsvorschlag zufolge, zwar alte, emissionsreiche Anlagen ersetzen und niedrige CO2-Grenzwerte einhalten. Doch noch bis 2030 könnten neue fossile Gaskraftwerke genehmigt werden. Erst ab 2035 wären Betreiber verpflichtet, diese Anlagen mit emissionsfreien oder -armen Treibstoffen zu betreiben. Dazu kommt: Vorgaben zur Reduktion von Methanemissionen finden sich zwar für die Kraftwerke, nicht aber für die Extraktion und  den Transport von fossilem Gas. Dabei entstehen hier bis zu 30 Prozent der Klimawirkung des fossilen Gas.

Atomkraftwerke sollen dem Vorschlag zufolge bis 2045 genehmigt werden können. Pläne zur Endlagerung des radioaktiven Abfalls müssten jedoch erst ab 2050 greifen. Gleichzeitig könnten Investitionen in Laufzeitverlängerungen alter AKWs bis 2040 als nachhaltig eingestuft werden – mit erheblichen Folgerisiken.

Fehlende Stimmen aus Deutschland

In den zurückliegenden Monaten haben sich einige Mitgliedsstaaten, angeführt von Frankreich, für das Greenwashing von Gas und Atomenergie stark gemacht. Begleitet wurde dies von einem hohen Lobbydruck, der auf der EU-Kommission lastete. Was dabei jedoch fehlte, war eine klare Leitlinie aus Deutschland. Zwar hat sich die Bundesregierung im Mai dieses Jahrs dazu bekannt, für eine EU-Taxonomie ohne Atomenergie zu arbeiten. Doch eine ambitionierte Position zu fossilem Gas fehlte. Im Gegenteil: Fossiles Gas wird voraussichtlich auf den Wunsch der letzten Bundesregierung in die EU-Taxonomie eingebunden werden – im Gegenzug zum französischen Wunsch nach einem Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie. Nach der Bundestagswahl schien die zunächst EU-Taxonomie kaum eine Rolle zu spielen, obwohl das Thema auf europäischer Ebene an Brisanz gewann. 129 NGOs appelierten an Olaf Scholz, sich gegen die Einstufung von Gas und Atomenergie als nachhaltige Finanzanlagen auszusprechen. Vergebens. Lediglich Svenja Schulze hat sich öffentlich gegen ein Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie gestellt. Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP enthält keine gemeinsame Position zur EU-Taxonomie.

EU-Taxonomie: Wie weiter?

Der EU-Kommissionsvorschlag ist ein großer Dämpfer für die EU-Taxonomie. Eine Einbindung von Gas und Atomenergie würde sie hinter Branchenstandards für Green Finance zurückfallen lassen. Eine internationale Lenkungswirkung kann sie so nicht entfalten. Zudem drohen Lock-In-Effekte in fossile und atomare Infrastrukturen. Ein geringeres privates Finanzvolumen für erneuerbare Energien könnten die Folge sein – mit erheblichen Folgewirkungen auch für die Ziele der deutschen Energiewende. Damit es nicht so weit kommt, muss die deutsche Bundesregierung konsequent und geschlossen gegen diesen Kommissionsvorschlag auftreten und so verhindern, dass dieser Vorschlag Mitte Januar in einen delegierten Rechtsakt überführt wird.

EU-Taxonomie: Mit hohem Anspruch gestartet

Die EU-Taxonomie ist ein zentrales Instrument der europäischen Sustainable Finance-Strategie. Diese soll dazu dienen, die Ziele des European Green Deals zu erreichen. Mit Hilfe von ambitionierten, wissenschaftsbasierten Standards soll sie effektiv Finanzflüsse umleiten. Zugleich will die EU-Taxonomie einen Standard mit Signalwirkung für nachhaltige Investitionen schaffen und so über die Europäische Union hinaus wirksam werden. Denn noch immer fließt viel weltweit viel Kapital in emissionsreiche und riskante Technologien, die Klima und Natur schaden. Die Europäische Union will die Klima- und Naturkrise effektiv bekämpfen und bis 2050 die Netto-Treibhausgasemission auf null reduzieren, sowie das Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln. Hierzu ist viel Geld notwendig. Allein zur Erreichung der Klimaschutzziele geht die EU von einem europäischen Investitionsbedarf von bis zu 350 Milliarden Euro aus – jedes Jahr.

Geld für Solar- statt Kernenergie – Foto: NABU/Eric Neuling

Das Erreichen dieser Ziele ist mit dem aktuellen Vorschlag der EU-Kommission in weite Ferne gerückt. Durch die Einbindung von Erdgas und Atomenergie droht die Taxonomie ihre Lenkungswirkung deutlich zu verfehlen: Statt privates Kapital effektiv in die Transformation der Wirtschaft umzuleiten, könnten unter dem Nachhaltigkeitslabel neue fossile, riskante Anlagen entstehen – mit Folgewirkungen für Klima und Umwelt.

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10 Kommentare

Dietrich

04.02.2022, 20:59

Bei dem Atomstrom wird ein Punkt in der Energiebilanz und vor allem bei der Diskussion nicht bedacht. Der radioaktive Müll wird uns Menschen viele 1000 Jahre lang begleiten. Vor 10 000 Jahren wurden Teile der Menschheit sesshaft, vor 4 500 Jahren wurden die Pyramiden in Ägypten gebaut, Griechen, Römer kamen und was davon blieb sind Ruinen. Ich kenne keinen Staat, der Rechtssicherheit über so einen langen Zeitraum garantieren kann, sodass der Atommüll niemals in die falschen Hände gerät. Wir hinterlassen der Menschheit eine Zeitbombe, die Büchse der Pandora oder was weiß ich, aber keine klimaneutrale Atomenergie.

David

13.01.2022, 17:16

In Urlaub sind wir Turow vorbei geradelt. Turow ist in vielerlei Hinsicht eine kaum zu übertreffende Schande. Die Franzosen haben die erwähnte Regelung bewirkt, da sie hoffen, Polen Atomkraftwerke zu verkaufen. Dies wäre die einzige realistische Möglichkeit, Kohlenkraft in Polen zu verringern. Glauben Sie wirklich, dass die Polen ihre Land mit Windrädern voll bauen würden? Übrigens und peinlicherweise Deutschland ist dafür, Gaskraftwerke als grün zu bezeichnen, da Deutschland nach der Ausschaltung von Atomkraft extremen Energiebedarf hat. Dies hat z.B. auch die Auswirkung, dass die Verstromung von Biomasse als grün betrachtet wird, obwohl es dagegen echte Umweltbedenken gibt. Ich verstehe, dass viele Angst vor Atomkraft haben aber habe persönlich mehr Angst vor der Dunkelflaute.

Walter

11.01.2022, 10:35

Ich denke, dass wir um die weitere Nutzung der Atomkraft bis in die 2040er-Jahre nicht herumkommen - trotz der bekannten Nachteile und Gas sowieso. Es ist für mich eine Frage, ob man sich ehrlich machen will und mit Realismus und nicht mit Ideologie (damit sind viele Ideen in den letzten 100 Jahren gescheitert) an die Lösung macht. Ein Blick auf das Agorameter von gestern (10.1.2022) zeigt, dass zu dem Zeitpunkt bei einen Bedarf von ca. 65GW nur ca. 9GW im Minimum aus erneuerbaren Quellen kamen. Wie soll das in Zukunft funktionieren auch noch bei einem stark erhöhten Strombedarf? ... no way.

Der NABU

13.01.2022, 12:57

Lieber Walter, es ist sicherlich wichtig, sich mit der Sicherheit der Energieversorgung auseinanderzusetzen, das tun wir auch. Gerade weil die Versorgung durch erneuerbare Energien heutzutage noch nicht flächendeckend gesichert ist, braucht es diese Investitionen dringend. Wenn sie stattdessen in Gas- und Atomkraft gelenkt werden, fehlen sie dem Ausbau der Erneuerbaren, und die CO2-neutrale Energieversorgung verzögert sich weiter. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die EU-Taxonomien ihrem eigentlichen Zweck treu bleiben: Sie sollten ein Instrument werden, das Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten lenkt. Hier geht es darum, wie wir zukünftig leben wollen, anstatt den Status quo zu zementieren.

Volkmar Lehmann

07.01.2022, 17:54

Atomkraftwerke sind nicht schön und viele Menschen haben Vorbehalte. Aber was ist nun das Argument des NABU gegen die Aussage, dass sie unter dem Aspekt der Bewahrung der Natur besser sind, als Kohlekraftwerke (CO2, Schwefeldioxid, Stickoxide, Kohlenmonoxid, Quecksilber, Arsen.) oder Windräder (Vögel), Wald).

Der NABU

13.01.2022, 11:17

Lieber Volkmar, danke für deine Gedanken. Wir sehen das anders: Solar- und Windenergieausbau ist vereinbar mit Natur- und Artenschutz, wenn es richtig gemacht wird. Das geht zum Beispiel mit entsprechenden Investitionen und einer übergreifenden Regionalplanung und dafür setzen wir uns ein. Wie genau, dazu könntest du hier Genaueres nachlesen. Unsere Ambitionen sollten wir darauf fokussieren, weiter darauf hinzuwirken. Im Ergebnis wäre das definitiv förderlicher für den Naturschutz, als weiter auf Technologien zu setzen, für deren Abfälle und mögliche Störfälle wir auch über 50 Jahre nach der Erfindung keine sichere Lösung haben. Zu dem Schluss kommt zum Beispiel auch die Fachstellungnahme des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Auch der Uranabbau ist übrigens alles andere als förderlich für die Natur.

Christian B.

07.01.2022, 09:22

Ich glaube nicht, dass das Label großen Einfluss auf die Finanzierbarkeit von neuen Atom- und Gasprojekten hat. Investoren schauen sicherlich genauer hin, wie groß Chancen und Risiken ihre Investition sind. Problematisch wird es, wenn Staaten aufgrund des Labels Bürgschaften oder gar Subventionen, z.B. in Form von Preisgarantien geben. Das Argument mit den Laufzeiten bei Gas teile ich nicht: Mittel- und langfristig wird Europa Energie auch in Form von "grünem" Methan importieren. Strom lässt sich in südlicheren Gegenden, wo Solar- und Windkraftanlagen auf 3000 bis 5000 statt 1000 Volllaststunden kommen, viel günstiger erzeugen. Und trotz Umwandlungsverlusten und Aufwand für Synthese und Transport lohnt es sich dieser Weg. Richtig organisiert, haben alle was davon. (Werbung für "heimischen Strom" ist auch eine Art von Nationalismus). Aber dauerhaft fördern braucht man das nicht, ein angemessener CO2-Preis für die fossilen reicht sicherlich aus.

Der NABU

10.01.2022, 10:04

Lieber Christian, die Punkte, die du nennst sind wichtig: Auch wir würden es positiv sehen, wenn am Ende die meisten Investoren aus reiner Vernunft anders entscheiden, und so weniger Geld in Atom und Gas landet. Gleichzeitig sehen wir, dass eine starke Lobby noch immer in die Gegenrichtung arbeitet (das haben wir z.B. hier thematisiert). Deshalb verlassen wir uns nicht darauf, dass die notwendige Transformation ein Selbstläufer wird, sondern setzen uns aktiv dafür ein. Wenn Du Interesse hast, könntest du auch heute noch unseren Appell dazu an die Bundesregierung unterstützen.

Georgius

04.01.2022, 19:06

Alles richtig, aber ein Argument vermisse ich: dass damit auch Subventionen verbunden sein würden. Oder habe ich das falsch gehört? Andererseits halte ich es aber für wirtschaftliches und politisches Harakiri, nun auch noch zügig aus der Gasnutzung aussteigen zu wollen, wie es die Grünen fordern. Natürlich ist es nicht so nachhaltig wie Wind und Sonne, aber irgendwie müssen wir den Wechsel ja deichseln, ohne dass massenhaft Produktion runtergefahren werden muss, wenn der Strom knapp wird. Es mangelt ja auch an entsprechenden Fachkräften für einen schnellen Komplettwechsel!

Der NABU

10.01.2022, 10:11

Lieber Georgius, zu deiner Frage bezüglich der Subventionen: Bisher ist die EU-Taxonomie nicht an Subventionen gekoppelt. Ob das in der Zukunft der Fall sein könnte, ist eine bisher ungeklärte Frage. Da halten auch wir weiter die Augen offen. Und bezüglich des Gas-Ausstiegs sehen wir es so: Die EU-Taxonomie ist keine Ausschlussliste. Investitionen in Gas, wenn man sie denn für - zeitlich begrenzt - notwendig erachtet, wären nicht verboten, wenn sie nicht in der Taxonomie auftauchen. Aber sie würden nicht fälschlicherweise als grün gelten. Kannst du soweit mitgehen?

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