EU-Taxonomie: Es droht institutionelles Greenwashing

EU-Taxonomie: Es droht institutionelles Greenwashing

Mit der Taxonomie hat sich die EU die Gestaltung eines zentralen Instruments für den Green Deal vorgenommen. Auf wissenschaftlicher Basis soll die Taxonomie Nachhaltigkeitsstandards für Finanzanlagen setzen. Einher geht die Nachhaltigkeitseinstufung mit einer ambitionierten Unternehmensberichterstattung, die Umwelt- und Klimafolgen von Wirtschaftsaktivitäten dokumentiert.

Das zentrale Ziel der Taxonomie ist es, Finanzflüsse in nachhaltige Aktivitäten umzuleiten. Dies ist dringend nötig, um die erforderlichen Investitionen in Klima- und Naturschutz zu ermöglichen, droht nun aber durch institutionelles Greenwashing zu scheitern. Wie Darvas und Wolff (2021) zeigen, besteht für die Erreichung von Klimaneutralität in der EU eine Finanzierungslücke von etwa 75 bis 80 Prozent.

Was sind nachhaltige Finanzanlagen?

Was als nachhaltige Finanzanlage gelten darf, soll wissenschaftlichen Kriterien folgen. Die Standardsetzung ist jedoch politisch umstritten: Insbesondere über eine mögliche Einstufung von Gas und Atomenergie wird lange und hart verhandelt. Gleiches gilt für den Agrarsektor. Zum einen üben Unternehmen der Energiewirtschaft einen hohen Lobbydruck aus. Sie pochen auf eine Klassifizierung von Gas und Atomenergie als nachhaltig. Zum anderen wirken EU-Mitgliedsstaaten auf die EU-Kommission ein. Einige Staaten bestehen auf den konsequenten Ausschluss von Atomenergie, wie ein öffentlicher Brief von Deutschland, Österreich, Dänemark, Luxemburg und Spanien zeigt. Andere Staaten hingegen wollen Atomenergie unbedingt einbinden, wie ein weiterer öffentlicher Brief von Frankreich, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Finnland, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowenien und der Slowakei offen legt. Auch die Einstufung von Gas ist zwischen den Mitgliedsstaaten hart umkämpft und folgt ähnlichen Mustern.

Eine Entscheidung zur Einbindung von Gas und Atomenergie in die Taxonomie wird seit geraumer Zeit erwartet. Mit dem Treffen des Europäischen Rats am 21. und 22. Oktober bekam der Prozess eine neue Dynamik. Kommissionspräsidentin von der Leyen, erklärte im Zusammenhang mit der Taxonomie, dass die EU Atomenergie und Gas als Brückentechnologie benötige. Gerechnet wird seitdem mit der Veröffentlichung eines Vorschlags der EU-Kommission bis Anfang Dezember, der Gas und Atomenergie als nachhaltige Finanzanlagen in die Taxonomie aufnimmt.

Folgen für den Green New Deal

Die wissenschaftliche Integrität der EU-Taxonomie ist hierdurch in Gefahr, ebenso ihre Wirksamkeit als Instrument des Green Deals. Käme es zur Einstufung von Gas und Atomenergie als nachhaltige Finanzanlagen, sind zwei Folgen zu erwarten: Erstens dürfte weiterhin viel Geld in alte Technologien fließen, die den Klimawandel weiter anheizen, mit hohen Risiken behaftet sind, oder zu spät zur Verfügung stünden. Effektiv fehlen so Finanzmittel für erneuerbare Energien, deren Ausbau dringend benötigt wird.

Zweitens nimmt die Glaubwürdigkeit der Taxonomie durch diese Einstufung erheblichen Schaden. Etwa 82 Prozent der deutschen Bundesbürger*innen empfinden nachhaltige Finanzanlagen unter Einbindung von Atomenergie als nicht glaubwürdig, wie eine Studie im Auftrag von Finanzwende Recherche ermittelte. Das Ziel, mittels der Taxonomie Finanzflüsse in nachhaltige Aktivitäten umzuleiten, droht durch das Greenwashing von Gas und Atomenergie in die Ferne zu rücken – mit Folgen nicht nur für den Finanzmarkt, sondern auch für die Klima- und Umweltschutzziele der EU.

Vollendete Tatsachen für die kommende Bundesregierung?

Die neue Dynamik auf EU-Ebene kommt für die kommende Bundesregierung zur Unzeit. Die EU-Kommission könnte die Einstufung von Gas und Atom als nachhaltige Finanzanlagen noch Ende November auf den Weg bringen – wenige Tage vor der Wahl des neuen Bundeskanzlers. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wären so vor vollendete Tatsachen gestellt. Durch die Umleitung von privatem Kapital in Gas und Atom als nachhaltige Finanzanlagen stünde die kommende Bundesregierung langfristig vor höheren Transformationskosten. Im Wahlkampf waren Klima- und Umweltschutz sowie eine nachhaltige Modernisierung der Wirtschaft zentrale Themen. Die kommende Bundesregierung sollte sich daher deutlich öffentlich positionieren: Dass sie einer Einstufung von Gas und Atom als nachhaltige Finanzanlagen nicht zustimmen wird, und sich gegen Entschlüsse vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen ausspricht.

Für aktuelle Informationen zum Thema folgt dem Sustainable Finance-Team auf Twitter: @NABU_SusFinance

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1 Kommentar

David Sturge

11.11.2021, 18:46

Gibt es bitte eigentlich naturschutzrelevante Argumente gegen Atomkraft? Zum Beispiel, dass Kühlwasser aus der Elbe zu leiten wärmt das Abwasser und ist für Fische ungünstig? Oder gehen Sie einfach aus, dass NABU-Mitglieder "Grünen" sind und weil "die Grünen " erst Anti-Atom Aktivisten waren und erst danach Umweltaktivisten, müssen NABU-Mitglieder auch gegen Atomkraft sein. Wenn die "Grünen" in der Regierung damals Kohlenkraft ausgeschaltet hatten statt Atomkraft, wäre Deutschland jetzt Vorreiter in Sachen Klimaschutz wie die Slowakei. Wird niemand dies als Fehler zugeben? Diese Artikel beschreibt ein EU_Projekt, einen Reaktor zu entwickeln, der verspricht sog. Atommüll als Brennstoff zu verwenden und dessen notwendigen Lagerzeit um das Tausendfache zu reduzieren und dessen Menge um das Hundertfache. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/belgien-forschungsreaktor-myrrha-101.html Und erzeugt Strom dazu! Klingt super - sind Sie da auch dagegen? Übrigens wir haben bei uns viele Windkraftgegner und ihre Arbeitsweise scheint mir ähnlich wie die der "Grünen" gegen Atomkraft - Ängste schüren, Gefahren und Risiken übertreiben, neue Nachteile ausdenken.

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