Der Tag, an dem ich im Plenum sprach und wenige Stunden später von der COP flog
Es ist der 11. Dezember 2019, der achte Tag der diesjährigen Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Ein Tag, den ich so schnell wahrscheinlich nicht vergessen werde.
9:00 Uhr, Plenary Room BAKER, Feria de Madrid: Das Plenum füllt sich zum High Level Event an diesem Mittwochmorgen. Neben dem Wissenschaftler Johan Rockström, der Politikerin Teresa Ribera und Greenpeace-International-Chefin Jennifer Morgan betritt auch Klima-Aktivistin Greta Thunberg das Podium. Der Saal wird still, die Kameras sind stark zentriert auf die 16-Jährige gerichtet. Bewusst wählt Greta heute keine emotional aufgeladenen Ausdrücke, wie in ihren vorherigen Reden (so wie „Our house is on fire“, „I want you to panic“, oder „how dare you“), sondern möchte wissenschaftliche Fakten wieder ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit rücken. Ihrer Meinung nach werden die derzeitigen Verhandlungen auf der COP25 der Dringlichkeit der Klimakrise nicht gerecht, sondern dienen dazu, Staaten Schlupflöcher zu ermöglichen, um sich aus ihrer Verantwortung zu ziehen. Und sie hat Recht. Der Artikel 6 des Pariser Abkommens, der sich mit Handelsmechanismen beschäftigt und den thematischen, durchaus technischen, Fokus der diesjährigen COP bildet, könnte in seiner ursprünglichen Form sogar zu weniger als zu mehr Klimaschutz führen!
Am Ende ihrer Rede spricht Greta über die Hoffnung, die sie auf ihrer Reise um den Globus gesehen hat. Und diese Hoffnung kommt nicht von den Regierungen oder Unternehmen, sondern von den Menschen selbst. Die Menschen, die aufwachen und bereit für den Wandel sind, der kommen wird.
11:30 Uhr, Plenary Room BAKER, Feria de Madrid: „Now we open the floor for statements of the environmental NGO’s…“, meine Kollegin Pooja nickt mir zustimmend zu. Mein Mikrofon blinkt, die Kameras werden auf mich gerichtet. „Thank you, my name is Katharina Ruffer speaking on behalf of Climate Action Network“. Ich blicke kurz hoch und sehe mich selbst in einem der großen Bildschirme im Plenarsaal. In zwei Minuten erkläre ich dem Podium, dass die Klimaschutzmaßnahmen der Staatengemeinschaft unzureichend sind und nicht zur Erreichung des 1,5 Grad Ziel beitragen werden. Eine Tatsache, über die sich alle Anwesenden im Raum höchstwahrscheinlich bewusst si
nd. Und trotzdem muss es immer wieder gesagt werden. Was bisher unternommen wurde – pre 2020 -, reicht einfach nicht aus, bei Weitem nicht. Meine Intervention endet mit den Worten „The world is watching and we will hold you accountable.“
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und in der nächsten Sekunde wechselt die Kamera wieder zur Moderatorin. „That was nice“, wirft Pooja mir zu. Ich bleibe noch kurz auf dem Platz mit der Aufschrift Environmental NGO sitzen und versuche, diesen Moment in Erinnerung zu behalten. Es fühlt sich gut und richtig an, eine Stimme zu bekommen. Jeder sollte gehört werden. Im Besonderen die Menschen, die bereits jetzt am meisten von der Klimakatastrophe betroffen sind.
14:30 Uhr, vor dem Plenary Room BAKER, Feria de Madrid: Vor dem großen Plenarsaal BAKER auf dem Konferenzgelände hier in Madrid schreiten Menschen durch die Gänge, auf dem Weg zu weiteren Meetings, Events oder in die Verhandlungen. Nicht weiter ungewöhnlich. Immerhin befinden sich derzeit etwa 20.000 Teilnehmende in diesen Hallen. Aber irgendetwas scheint anders zu sein.
Ich beobachte das Treiben, als plötzlich ein lauter Ton erklingt. Es wird unruhig. Die Anwesenden geben Laute von sich, einige nutzen ihre Trinkflaschen, um Geräusche zu erzeugen. Pressevertreter*innen bezeugen das Geschehen, halten ihre Kameras bereit. Langsam formiert sich eine Menschenmenge und wird immer größer. Jemand aus der Menge fängt an, in Richtung des Plenarsaals zu rufen – nach Forderungen zu mehr Klimagerechtigkeit. Eine junge Frau bittet darum, genug Platz zu lassen, damit keine Panik entsteht. Es wird unübersichtlich. Das Security-Personal versucht bereits, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Aus der Menschentraube kommt jemand auf mich zu, der mir nahelegt, mein Badge zu verstecken. Nur mit Badge hat man Zugang zum Konferenzgelände. Hinter uns öffnet sich ein großes Tor. Die ersten Menschen verlassen die Halle nach draußen, die Sonne scheint. Soll ich mitgehen? Ich blicke mich kurz um. Dann folge ich der Menschenmenge in die Kälte.
Draußen vor der Halle tummelt es sich. Es werden Lieder angestimmt und Parolen gesungen: „El pueblo unido jámas sera vecido“ – Das Volk, vereint, kann niemals besiegt werden. Im Zentrum der Gesänge stehen primär Repräsentant*innen indigener Kulturen, die ihre Geschichten erzählen. Es sind Geschichten voller Not und Verzweiflung, resultierend aus den Folgen der Klimakrise. Mir kommen die Tränen. Diese Menschen möchten endlich erhört werden. Auf einmal ändert sich die Blickrichtung derer um mich herum. Sie schauen zum Konferenzgebäude, wo sich das Tor schließt, aus dem wir gekommen sind. Ich bin froh, meine Winterjacke heute nicht an der Garderobe abgegeben zu haben.
„Shame on you“, schreit es aus der Menge. Neben mir werden Menschen interviewt „Warum macht ihr das hier?“, werden sie gefragt. Nach einiger Zeit entschließt sich die Gruppe dazu, an die Aktion eine Demonstration anzuschließen. Also laufen wir los, an den Sicherheitskräften und der spanischen Polizei vorbei. „Gracias por su visita“ steht auf dem Schild, als wir das Konferenzgebäude verlassen – Danke für Ihren Besuch.
Soll es das bereits gewesen sein? In unregelmäßigen Abständen hören wir von den Reaktionen aus dem Konferenzgebäude. Die Aktion scheint in den Hallen große Aufmerksamkeit erregt zu haben. So viel, dass derzeit über den weiteren Zugang der Teilnehmenden zur COP verhandelt wird. Mittlerweile sind bereits Delegationen und Ministerien informiert. Am Ende der Demonstration teilt uns die spanische Polizei mit, dass wir für heute Feierabend machen können…
18:00 Uhr, Avenida de Pío XIII, Madrid: Den Tag lasse ich abseits des Konferenzgeländes auf einem Event von Brahma Kumaris, die auch auf der COP vertreten sind, bei Meditation ausklingen. Einmal abschalten von Verhandlungen, Meetings und Side Events.
Ich versuche, all die Eindrücke in meinem Kopf zu sortieren, brauche etwas Abstand, um die heutigen Ereignisse zu verstehen. Der drastische Unterschied zwischen dem, was die betroffenen Menschen fordern, und dem, was die Politik unternimmt, lässt sich nicht in Worte fassen. Ich frage mich, was noch getan werden muss, um den Wandel herbeizuführen, den wir gerade am meisten brauchen, um der ökologischen Katastrophe zu begegnen. Aber über eine Sache bin ich mir sicher: Es hat gerade erst angefangen. Denn die Hoffnung liegt bei den Menschen.
- Der Tag, an dem ich im Plenum sprach und wenige Stunden später von der COP flog - 13. Dezember 2019
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