Ausverkauf von Nord- und Ostsee
Um die deutsche Nord- und Ostsee steht es schlecht. Mehr als ein Drittel der Arten und Lebensräume gelten nach Roter Liste als „gefährdet“. Auch der ökologische Gesamtzustand ist nach Erstbewertung der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie alles andere als gut. Längst hat die Bundesregierung erkannt, dass insbesondere die Fischerei, der Rohstoffabbau sowie Nähr- und Schadstoffeinträge dafür verantwortlich sind, dass Arten verschwinden und Habitate zerstört werden. Doch immer wieder setzen sich sektorale Wirtschaftsinteressen gegen die Interessen des Meeresschutzes durch.
Jetzt haben es die Lobbyisten aus Fischerei und Wirtschaft tatsächlich geschafft, dass sogar das novellierte Bundesnaturschutzgesetz die Übernutzung der Meere für die Zukunft zementieren soll. Schweinswale und Seehunde, Prachttaucher und Eisenten, Seegraswiesen und artenreiche Riffe sehen schweren Zeiten entgegen.
Vetorecht für Fischerei-, Rohstoff- und Schifffahrtslobby?
Der NABU und weitere Umweltverbände kritisieren die Änderungen im novellierten Bundesnaturschutzgesetz zum Meeresschutz, die vergangenen Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen wurden. Das federführende Bundesumweltministerium unterlag den Ministerien für Landwirtschaft, Wirtschaft und Verkehr in den zähen Verhandlungen und ist einen gefährlichen Deal eingegangen, um das Gesetz noch vor der heißen Phase der Bundestagswahlen zu verabschieden. Erstmals soll es eine Einvernehmensregelung bei der Unterschutzstellung unserer wertvollsten Meeresgebiete geben, den FFH- und Vogelschutzschutzgebieten, der Kinderstube der Schweinswale im Sylter Außenriff oder dem Vogelschutzgebiet in der Pommerschen Bucht. In der Praxis bedeutet das nichts anderes als ein Vetorecht für die beteiligten Ministerien, wenn es um Maßnahmen für bedrohte Arten und Lebensräume geht. Das heißt die Fischerei-, Rohstoff- und Schifffahrtslobby entscheidet zukünftig mit, wenn es um den Schutz von Nord- und Ostsee geht. Ein Szenario, das Angst macht. Und nur der Bundestag und der Bundesrat können diese Fehlentscheidung jetzt noch korrigieren!
Gefährliche Änderung im Bundesnaturschutzgesetz
Die Kritik des NABU zielt auf den Paragraphen 57 der Gesetzesnovelle. Hier wird den Bundesministerien – statt wie bisher eine Beteiligung – eine sogenannte Einvernehmensregelung zugesichert. Damit könnte ein einzelnes Ministerium Verordnungen und Maßnahmen zum Schutz der Meere blockieren. Wie fatal sich das auswirken kann zeigen die aktuellen Verhandlungen um die Natura-2000-Gebiete in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone.
Die im vergangenen Jahr veröffentlichten Entwürfe der Schutzgebietsverordnungen sind in den letzten Monaten so stark verwässert worden, dass die Bundesregierung damit weder dem eigenen Koalitionsvertrag gerecht wird, noch den umweltrechtlichen Verpflichtungen der EU nachkommt. Jedes Ministerium hat sich Ausnahmen in die Verordnungen schreiben lassen, so dass in den Schutzgebieten weiter gefischt, Sand- und Kies abgebaut oder mit extrem lauten Schallkanonen nach fossilen Rohstoffen gesucht werden darf. Die deutschen Meeresschutzgebiete existieren damit nur noch auf dem Papier.
Zwar ermöglicht das neue Gesetz, zukünftig auch EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie umzusetzen und weniger prominente Artengruppen wie Rochen oder Muscheln bei Schutzbemühungen zu berücksichtigen. Doch was nützt das überhaupt, wenn effektive Maßnahmen per Veto abgeschossen werden können. Frei nach dem Motto, dann wissen wir wenigstens was wir zerstören…
Wann werden unsere Meere endlich richtig geschützt?
Das neue Gesetz macht es dem Bundesumweltministerium und dem Bundesamt für Naturschutz zukünftig fast unmöglich, die marine Artenvielfalt zu erhalten. Damit riskiert Deutschland endgültig seine internationale Reputation im Meeresschutz. Zu Recht setzt sich die Bundesregierung auch für die Zukunft der Arktis und Antarktis ein, wendet sich gegen die kommerzielle Jagd auf Wale und gegen die weltweite Meeresvermüllung. Aber zählt der Eisbär denn mehr als der Schweinswal, sind Eisberge oder Korallenriffe wichtiger als Miesmuschelbänke und Seegraswiesen.
Der NABU sagt nein. Die Meere müssen in ihrer gesamten Vielfalt erhalten werden. Wir dürfen nicht mit dem Ökofinger auf andere Staaten zeigen und gleichzeitig kläglich versagen, wenn es um den Meeresschutz vor unserer Haustür geht und nationale Interessen betroffen sind. Die Bundesregierung ist vor der Wirtschaftslobby einknickt, der Ausverkauf von Nord- und Ostsee droht eine neue Qualität zu erreichen. Und wir alle müssen uns dieser Bedrohung entgegenstellen!
Das Rechtsgutachten der Umweltverbände zu den Schutzgebietsverordnungen finden Sie hier.
- Fasziniert bis fassungslos: Bilanz der NABU-Segelreise - 7. August 2023
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