Fasziniert bis fassungslos: Bilanz der NABU-Segelreise
Acht Tage Ostsee, in Seegraswiesen tauchen, Seehunde treffen und kaum zu glauben: ein Delfin vor Warnemünde. Die rotierende NABU-Crew der „Ryvar“ erlebte die Faszination Ostsee hautnah. Von Stralsund segelten wir über Warnemünde und Fehmarn bis Kiel. Im Mittelpunkt standen die deutschen Meeresschutzgebiete und wie sie helfen, der Klimakrise und dem Artensterben zu trotzen – wenn wir sie ließen.
Die Faszination der Menschen für die Meere, ihre Liebe zum Meer ist riesig. Das zeigten zahllose Gespräche, beim „Open Ship“ und an unseren Infoständen oder am Kinoabend auf dem Großsegel. Doch auf Begeisterung folgte Betroffenheit, wenn wir von ungewolltem Beifang in Stellnetzen, durch Windparks vertriebene Seevögel, den Rückgang von Fischbeständen oder der Nährstoffbelastung und sauerstofffreien Zonen am Meeresgrund erzählten.
Aus der Betroffenheit wurde Fassungslosigkeit, als wir erklären mussten, dass es in den deutschen Meeresschutzgebieten, ehrlicherweise in fast allen Meeresschutzgebieten, nicht besser aussieht: „Was, auch dort wird gefischt, wird Kies und Sand abgebaut, bauen wir Pipelines und Autobahntunnel“? Und so zeigte unsere Segelreise das ganze Dilemma deutscher Meerespolitik.
Meeresschutz ja, aber nicht vor unserer Haustür?
Die Landes- und Bundespolitik ist für den Schutz der Meere – wie könnte sie auch dagegen sein? Doch immer wieder wird gegen unsere Meere gehandelt. In Stralsund beispielsweise sprachen wir mit Landesumweltminister Dr. Till Backhaus und dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung Sebastian Unger. Wir fragten, ob die Fischerei zumindest in der Kernzone des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft künftig ausgeschlossen werden soll, um erste nutzungsfreie Flächen zu schaffen.
Minister Backhaus verwies auf Gespräche mit „einer Handvoll Fischer“, die dort seit Jahrzehnten fischen würden. Wenn diese die Gebiete nicht mehr bräuchten, wäre auch er für einen Fischereiausschluss. Da war es, unser Dilemma: Schutz ja, aber bitte dort, wo es niemanden stört. Die Zukunft eines ganzen Ökosystems, die Qualität eines Nationalparks ist abhängig von wirtschaftlichen Interessen, in diesem Fall einer kleinen Gruppe. Leider keine Ausnahme, sondern die meerespolitische Regel. Das sollte sich in Kiel noch einmal bestätigen.
Dort diskutierten wir zum Abschluss unserer Reise mit Landesumweltminister Tobias Goldschmidt, der Landtagsabgeordneten Sandra Redmann (SPD) und dem Bundestagesabgeordneten Jan-Niclas Gesenhues (MdB Bündnis 90/Die Grünen) am Beispiel des geplanten Nationalparks über den Schutz der Ostsee. Schon in Burgstaaken hatten wir den Gegenwind gespürt. Angeführt von Wassersportler*innen formierte sich eine lautstarke Bewegung, die einen Nationalpark Ostsee verhindern will. Ja, die Ostsee brauche mehr Schutz, aber doch nicht über einen Nationalpark und bitte nicht bei uns vor der Haustür. Der gleiche Widerstand wie bei Gründung des Nationalparks Wattenmeer. Heute das Beste, was der Westküste passieren konnte.
Das Problem: Niemand möchte sich einschränken, aber das gehört zur politischen Ehrlichkeit. Ein Nationalpark dient der Natur und auf der Hälfte der Fläche müssen wir Menschen zurückstecken. Dabei zahlt eine gesunde Natur zurück, ob als Tourismusmagnet oder durch sich erholende Fischbestände, die auch der gebeutelten Küstenfischerei eine Perspektive geben würden. Doch mit dieser Weitsicht – mit Investitionen in eine lebenswerte Zukunft für Mensch und Natur – tun wir uns noch sehr schwer.
Abtauchen zum Seegras: Wiederherstellung als Chance
Mein persönlicher Höhepunkt war ein Tauchgang mit zwei Wissenschaftler*innen des Geomar Helmholtz-Zentrum im Wiederansiedlungsprojekt SeaStore. Wenige Hundert Meter vor der Küste durften wir mit ihnen abtauchen. Hier hat sich auf einem guten Hektar Sandboden eine artenreiche Seegraswiese entwickelt. Sie wurde angepflanzt, um zu zeigen, dass die Wiederherstellung klimarelevanter Ökosysteme auch im Meer funktioniert.
Genau das braucht es, weil Schutzmaßnahmen fehlen oder zu spät kommen. Wo ökologische Kipppunkte erreicht wurden, müssen Algenwälder, Seegras- und Salzwiesen aktiv wiederhergestellt werden. So sieht es die EU-Wiederherstellungsverordnung vor und das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) soll entsprechende Projekte finanzieren. Wo das in der Nordsee möglich sein kann, soll u. a. das NABU-Projekt WattRenature zeigen.
Was sonst noch wichtig war: Offshore-Wind und Munition im Meer
Im Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) diskutierten wir mit den Landes-Staatssekretärinnen Elisabeth Aßmann (Umwelt) und Ines Jesse (Energie), dem Bundestagsabgeordneten Daniel Schneider (SPD) und Andree Iffländer (Skyborne Renewables) über Offshore-Wind. Zuvor stellten wir unsere neue Studie zur Umsetzung des Ökosystemansatzes in der Raumplanung vor. Wo bauen wir Offshore-Windparks, damit die Umweltauswirkungen so gering wie möglich sind? Klar wurde: Die EU-Notverordnung weist in die falsche Richtung. Vielmehr brauchen wir mehr Umweltdaten, Dialog, Personal in den Genehmigungs- und Umweltbehörden sowie den Ausbau von Hafeninfrastruktur und Netzen.
Hoffnung macht, dass in Mecklenburg-Vorpommern über den vom NABU vorgestellten Ökosystemansatz bei der Überarbeitung des Landesraumentwicklungsprogramms nachgedacht wird.
Beim Thema Munition im Meer gilt es, den nächsten Schritt zu gehen. Das Sofortprogramm zur sprengungsfreien Bergung von Kriegsaltlasten kommt in die heiße Phase der Realisierung. Umso wichtiger ist die Bereitschaft von Bund und Ländern, eine nationale Strategie zum Umgang mit Munitionsaltlasten langfristig personell und finanziell abzusichern.
Meeresschutzgebiete müssen schützen
Als NABU ziehen wir wie so oft eine gemischte Bilanz. Das Wissen für den notwendigen Schutz unserer Meere ist da – bei den Menschen und in der Politik. Doch andere, meist wirtschaftliche Interessen, und immer neue Krisen verbannen den Schutz der Biodiversität zu oft in die letzte Reihe. Ein riskantes Spiel, denn warten heißt beim Natur- wie beim Klimaschutz, die Maßnahmen werden mit der Zeit härter und teurer.
Hoffnung macht zum einen ein Blick in den Koalitionsvertrag: „Intakte Meere sind maßgeblich für den Klimaschutz und die Biodiversität. Wir starten eine Meeresoffensive zum Schutz der Meeresnatur. Schutzgebiete in der deutschen AWZ wollen wir effektiv managen. 10 Prozent der AWZ werden wir gemäß der EU-Biodiversitätsstrategie streng schützen und dort Zonen frei von schädlichen Nutzungen ausweisen“.
Zum anderen die vielen Gespräche an Bord und die mittlerweile über 30.000 Menschen, die unseren offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz unterzeichnet haben. Für echte Rückzugsgebiete für Schweinswal, Eisente & Co. – ohne Grundschleppnetze, Rohstoffabbau, Schiffsverkehr und militärische Übungen.
Also liebe Bundes- und Landesregierungen: Auf geht’s!
- Fasziniert bis fassungslos: Bilanz der NABU-Segelreise - 7. August 2023
- Klimaschutz UND Artenschutz – geht das? - 29. August 2019
- Meeresschutzgebiete – warum das heutige Konzept bedrohten Arten nicht hilft - 16. Januar 2019
3 Kommentare
Burkhard Strenge
26.10.2023, 08:19Die Einschränkungen durch einen Nationalpark Ostsee lassen einen großen Teil der Freizeitindustrie und damit die Lebensgrundlage vieler Familien im Küstenbereich zugrunde gehen. An Wochenenden von April bis Oktober sind vielleicht 300 Segler und bei Wndstiile 300 Motorboote an der Küste unterwegs. Der Rest liegt sowieso im Hafen als Steglaube. DIe 2-3000 Badegäste, die im 20m Küstensaum herumschwimmen, kommen noch dazu. Und die Kitesurfer an der Küste ebenfalls. Jedoch haben diese Aktivitäten praktisch keinen negativen Einfluß auf das Ökosystem, sie verwirbeln das Wasser etwas und erhöhen die Sauerstoffzufuhr an der Oberfläche . Schädigend sind hauptsächlich Grundnetzte, die den Boden und die dortige Vegatation zerstören sowie (illegale) Einleitungen der Grossschiffahrt, und deren Lärmverschmutzung durch die Schiffsdiesel sowie die Abwässer der Anlieger und deren Düngemittelreste. Da aber diese drei Hauptursachen nicht gestoppt werden, ist die Eröffnung eines Nationalparks Ostsee nur Kosmetik , um das Volk zu blenden und ihm vorzugaukeln, man würde etwas unternehmen. Vor 300 Jahren war die Ostsee voll von Segel- und Ruderbooten, und trotzden konnte der Hering mit Schaufeln an Bord gebracht werden, da das Ökosystem intakt war. Fazit: Einschränkungen der Freizeitindustrie durch Nationalparks sind Augenwischerei und absolut keine Lösung, sondern Drangsalierung eines großen Teils der Bevölkerung .
Burkhard Ilschner
13.08.2023, 02:23Lieber Kim, in einem Punkt möchte ich Deinen Blogbeitrag unbedingt ergänzen, nämlich da, wo es um das "Dilemma: Schutz ja, aber bitte dort, wo es niemanden stört" geht: Die "meerespolitische Regel" der Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen sollte kontinuierlicher und grundsätzlicher wieder und wieder erwähnt, erläutert, kritisiert werden. Seit der ersten Internationalen Nordseeschutz-Konferenz (INK) von 1984 ist es traurige Tradition – in Deutschland wie in Europa –, dass Meeresschutzvereinbarungen immer unter expliziten Wirtschaftlichkeits-Vorbehalt gestellt werden. Das galt für die INK in all ihren Jahren bis 2006, das gilt für OSPAR und HELCOM, für die MSRL und ebenso für etliche andere Verträge, Richtlinien und Gesetze. Ich finde, nur durch ständiges Wiederholen der Kontinuität dieser im Grunde hinterhältigen Regelung wird die systemische Schwäche aller Meeresschutzpolitik deutlich. Vielleicht schaffen wir es ja doch noch, diesen Grundsatz politisch und faktisch auszuhebeln, bevor er 40 Jahre alt wird (man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben). Nette Grüße, Burkhard Ilschner (WATERKANT online)