Den Ausbau der Erneuerbaren forcieren – beim Artenschutz in die Offensive gehen

Den Ausbau der Erneuerbaren forcieren – beim Artenschutz in die Offensive gehen

Klima- und Artenkrise stellen uns vor gigantische Herausforderungen

Ein Zwischenruf von Ralf Schulte (NABU-Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik)

Als Robert Habeck am 11. Januar 2022 die Herausforderungen des Klimaschutzes und des Ausbaus der Erneuerbaren in der Bundespressekonferenz vorstellte, da sprach er von einer „gigantischen“ Aufgabe, die bewältigt werden müsse. Die Zahlen und Tabellen, die er als Klima- und Energieminister präsentierte, sprachen tatsächlich eine mehr als deutliche Sprache. Die Lücke, die beim Ausbau der erneuerbaren Energien zwischen dem Stand von heute und dem Ziel von 2045 klafft, ist gewaltig. Damit der Lückenschluss gelingt, kündigte Habeck die „Versöhnung“ von Klima- und Artenschutz an.

Warum tut sich der Artenschutz mit dem Ausbau der Erneuerbaren so schwer? Warum müssen Arten- und Klimaschutz versöhnt werden? Muss die wirksame Bekämpfung der Klimakrise nicht auch im Sinne des Biodiversitätserhalts sein – und umgekehrt?

In der politischen und folglich auch in der medialen Wahrnehmung gilt der Artenschutz als Hauptbremser beim Ausbau von Windkraft und Freiflächen-Photovoltaik. Angeblich sind es die klagenden Naturschutzverbände, die den Ausbau der Erneuerbaren fast zum Erliegen gebracht haben und der Zeitenwende massiv im Wege stehen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass etliche Klagen seitens des Naturschutzes erfolgreich gegen Windkraftplanungen geführt werden konnten. In einer solchen Klage Recht zugesprochen zu bekommen, setzt jedoch voraus, dass auf Seiten der Planungsträger Fehler gemacht worden sind, die im Urteil gerichtlich festgestellt werden. Daraus eine generelle Anti-Haltung des Naturschutzes gegenüber der Windkraft abzuleiten, ist töricht und verkennt die tatsächlichen Gegebenheiten. Der Arten- und Naturschutz ist keinesfalls per se gegen den Ausbau der Erneuerbaren. Erwartet wird aber – sehr zu (Naturschutz-) Recht – eine Planung, die die geltenden Gesetze und Vorschriften berücksichtigt.

Punkt 1, den es resümierend festzuhalten gilt: Naturschutz und Klimaschutz und der Ausbau der Erneuerbaren müssten eigentlich nicht versöhnt werden; denn die Bekämpfung der Klimakrise ist auch ein Naturschutzinteresse. Würden Windkraftanlagen sauber und ordentlich sowie unter Beachtung geltenden Rechts geplant werden, wäre alles bestens. Der Naturschutz hätte keinen Grund zu klagen und seine Belange mit Rechtsmitteln zu verteidigen.

Einzelne Arten erleben einen Aufwärtstrend - wie der Seeadler. - Foto: Kathy Büscher/NABU Rinteln

Einzelne Arten erleben einen Aufwärtstrend – wie der Seeadler. – Foto: Kathy Büscher/NABU Rinteln

Die Lücke zwischen den politischen Zielen und den Realitäten des Alltags, die beim Ausbau der Erneuerbaren von Minister Habeck beschrieben wurde, besteht in mindestens ebenso großer Form auch bei der Bewältigung der Artenkrise. Ohne Zweifel gibt es Erfolge. In Schleswig-Holstein hat sich die Zahl der Seeadler in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Wanderfalken und Uhus oder der Schwarzstorch sind wieder über den Berg. Wenn Interessengruppen heute die Bejagung der ehemals ausgerotteten Wölfe und Biber fordern, dann spiegelt das auch Erfolge des Artenschutzes wider.

Die Einzelerfolge dürfen aber nicht den Blick auf das Ganze versperren. Und der zeigt überdeutlich, dass wir auf ein globales Massenaussterben bislang unbekannten Ausmaßes zulaufen. Wenn die geballte internationale wissenschaftliche Kompetenz nicht vollkommen falsch liegt – wofür es keine Hinweise gibt – dann ist es um die Artenvielfalt extrem verlustbringend bestellt. Die meisten politischen Vereinbarungen und Programme liefen bislang ins Leere. Selbst eine kraftvolle oder martialische Wortwahl half nichts. Die im Jahre 2007 beschlossene „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ sollte den Durchbruch bringen. Unter Federführung des Bundesumweltministeriums wurden Visionen für die Zukunft entwickelt und 330 greifbare Ziele gesteckt. Um die Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, wurden in verschiedenen Handlungsfeldern zudem 430 konkrete Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt formuliert. Was kam dabei heraus? Wenig bis nichts!

Ein guter Grund dafür, im Jahre 2015 mit der Naturschutz-Offensive 2020 den Versuch zu unternehmen, das Ruder herumzureißen. Hätte die Bundesumweltministerin Steffi Lemke jedoch zu Beginn ihrer Amtszeit – ebenso wie ihr Kabinettskollege Habeck – eine Eröffnungsbilanz zum Biodiversitätsschutz gemacht, hätte sie eine Lücke von der Größe eines Canyons beschreiben müssen.

Der zweite Punkt, den es deshalb festzuhalten gilt, heißt: Weder im Klima- noch im Naturschutz wurden bislang, allen politischen Bekenntnissen zum Trotz, Erfolge eingefahren, die den Krisen wirksam begegnen. Eine Wende ist im Arten- und Biotopschutz nicht in Sicht. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind groß, oder um es mit den Worten Habecks zu sagen: „gigantisch“.

Auf welcher Ebene soll somit die von Minister Habeck beschworene Versöhnung von Klima- und Artenschutz stattfinden? Zumal, wenn zur Bekämpfung der Klimakrise und des dazu notwendigen Ausbaus der erneuerbaren Energien Investitionsbudgets im dreistelligen Milliardenbereich aufgerufen werden und im Planungs- und Genehmigungsrecht alle Hindernisse – insbesondere die artenschutzrechtlichen – aus dem Weg geräumt werden sollen. Die unter den gegebenen Bedingungen jedoch notwendig erscheinende Versöhnung zwischen Klima- und Naturschutz setzt voraus, dass zumindest eine gewisse Augenhöhe gewahrt wird. Aber wie soll das gelingen, wenn zum Beispiel im Eingriffsrecht Wahrscheinlichkeitshypothesen (Probabilistik), Regelvermutungen, Legalausnahmen oder Fiktionen, für deren Ableitung es anders als zum Beispiel im Hochwasserschutz kaum valide Datenreihen gibt, an die Stelle von Fakten und Objektivitäten treten sollen? Wie soll das gelingen, wenn mit ungleichen Instrumentenkästen gearbeitet wird? Auf der Seite des Ausbaus bestimmen Investitions- und Auftragslogiken die Arbeitsweise, während auf der anderen Seite Zuwendungen und Fehlbedarfsfinanzierungen stehen, die nach mehrjähriger Antragsphase bestenfalls innovative Leuchtturmprojekte an den Start bringen. Oder um ein Bild von Bundeskanzler Scholz zu verwenden: Wenn auf der einen Seite die Bazooka zum Einsatz kommt und auf der anderen Seite nicht einmal die Wasserpistole zur Verfügung steht. Eine solche Waffen-Ungleichheit reicht nicht zur Versöhnung, nicht einmal für einen Burgfrieden.

Punkt 3: Das in Aussicht gestellte, aber seitens der Bundesregierung noch nicht mit Inhalten gefüllte Bundesprogramm für Artenhilfsprogramme könnte ein erster ernstgemeinter Schritt zur Bewältigung der Biodiversitätskrise und zur Minderung der Konflikte zwischen Artenschutz und Erneuerbaren sein. Für Zeitenwenden reicht es nicht aus, politische Ziele zu verkünden. Den Worten müssen auch Taten folgen. Das Bundesprogramm für Artenhilfsprogramme müsste dazu aus Sicht des NABU folgende Bedingungen erfüllen:

  • Der Erhaltungszustand der vom Ausbau betroffenen Arten muss schnell und wirksam verbessert werden!
  • Der Wille zum Erfolg muss handlungsleitend sein, um den Artenschutz in die Offensive zu bringen! Nicht das Bemühen, das Instrument oder der Weg sind das Ziel, sondern positive – effektiv und effizient herbeigeführte – Populationseffekte. Bei der Finanzierung im Arten- und Naturschutz muss ein Paradigmenwechsel vollzogen werden – weg von der finanziellen Förderung von Leuchtturmvorhaben und hin zu einer zielorientierten Auftrags- und Erbringungslogik des Naturschutzmachens
  • Ein angemessener Teil der Baukosten der Windkraftanlagen (acht bis zehn Prozent) muss für Investitionen in Arten- und Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen!
  • Die für eine wirksame Umsetzung von Artenhilfsmaßnahmen und -programmen erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und Instrumente müssen in einem Gesamtpaket geschaffen werden – Geld allein wird nicht reichen.
  • Die Umsetzung des Bundesprogramms für Artenhilfsmaßnahmen muss durch eine schlagkräftig arbeitende, dezentrale Projektorganisation erfolgen und darf nicht an Föderalismus-Schranken scheitern!

Im nächsten Schritt müsste Gleiches auch für die Verwirklichung des Aktionspakets für den naturbasierten Klimaschutz vorgesehen werden. Wenn die Bundesregierung in ihrem Bemühen um die Versöhnung von Klima- und Naturschutz ernst genommen werden will, dann muss sie auch zeigen, dass sie Ernst macht!


Das nationale Artenhilfsprogramm – Anforderungen an ein wirksames Naturschutzinstrument aus Sicht des NABU

Einladung zum virtuellen Fachgespräch am 8. Juni 2022

„Wir werden ein nationales Artenhilfsprogramm auflegen, das insbesondere den Schutz derjenigen Arten verbessert, bei denen es Konflikte mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien gibt, um die Energiewende naturverträglich zu gestalten und die Finanzierung mit Beteiligung der Betreiber sicherstellen.“ Darauf haben sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag verständigt.

Aber wie soll oder muss ein Artenhilfsprogramm des Bundes aussehen? Welche Anforderungen müssen aus Sicht des Naturschutzes erfüllt sein, damit ein Bundesprogramm das Ziel der Verbesserung des günstigen Erhaltungszustandes der betroffenen Arten wirksam und schnell erreichen kann? Welche Arten sind betroffen und sollen durch das Artenhilfsprogramm gefördert? Welche Maßnahmentypen zum Schutz und zur Förderung der betroffenen Arten kommen in Betracht? Reichen die in der mittelfristigen Haushaltsplanung vorgesehenen Finanzmittel aus, um die Ziele zu erreichen? Sind die vorhandenen administrativen Strukturen geeignet, die dringend notwendigen Maßnahmen schnell und wirksam umzusetzen? Stehen die grundgesetzlichen Regelungen und die Bund-Länder-Zuständigkeiten der erfolgreichen Umsetzung vielleicht sogar im Wege?

Der NABU hat diese Fragen in einem Gutachten beleuchten lassen und versucht, Antworten zu finden. Die Ergebnisse und die daraus abgeleiteten NABU-Forderungen sollen am 8. Juni 2022 von 14 bis 16 Uhr in einem virtuellen Fachgespräch vorgestellt und mit Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung und Verbänden diskutiert werden.

Interesse an der Teilnahme? Denn melden Sie sich unter www.NABU.de/Artenhilfsprogramm  an und wir senden Ihnen alsbald das Programm und den Link zur Anmeldung.

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Ralf Schulte

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