Gut gemeint, aber zu spät: Die neuen europäischen CO2-Grenzwerte für Pkw

Gut gemeint, aber zu spät: Die neuen europäischen CO2-Grenzwerte für Pkw

Am Wochenende ist in München die IAA zu Ende gegangen, auf der die Autoindustrie ihre grüne, zukunftsweisende Seite präsentieren wollte. Die Europäische Kommission hat bereits im Juli mit einem Datum eigene Fakten geschaffen, wie aus ihrer Sicht die Zukunft der Automobilindustrie aussieht. Wenn es nach ihrem Willen geht, dürfen neu zugelassene Autos ab 2035 kein einziges Gramm Kohlenstoffdioxid mehr ausstoßen. Faktisch bedeutet das: Nach rund 140 Jahren sind die Tage des Verbrennungsmotors gezählt.

Wie kam es dazu? Im Rahmen des europäischen „Green Deal“ wird die komplette europäische Klimagesetzgebung auf das neue Ziel für 2030 angepasst: 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990. Dafür werden alle Lebensbereiche einer Überprüfung unterzogen: Energieproduktion, Landwirtschaft, Gebäude, Steuern, es ist ein Mammutprojekt, das die EU über Jahre hinweg beschäftigen wird. Für die Mobilität ist es die sogenannte Grenzwert-Verordnung, das wichtigste Steuerungsinstrument für den CO2-Ausstoß von Fahrzeugen und ein zentrales Element der europäischen Klimaarchitektur. Seit 2012 regelt sie, wie viel CO2 die Flotte eines Herstellers im Durchschnitt ausstoßen darf. Nach 2035 nun: Gar keines mehr.

 Das Sorgenkind Mobilität

Dem Verkehrssektor Beine zu machen ist richtig. Im Vergleich zu allen anderen Sektoren steigen seine Emissionen nach wie vor. Er ist für ein Drittel der Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich, allein die rund 240 Millionen Pkw, die derzeit über die Straßen der EU rollen – Tendenz steigend – verursachen 12 Prozent aller EU CO2-Emissionen. Die deutschen Klimaziele für 2020 hat der Verkehr nur aufgrund der pandemiebedingten geringeren Fahrleistung knapp eingehalten. Es ist nicht damit zu rechnen, dass er seine Ziele in den kommenden Jahren einhalten wird. Zweifelsohne wird die Mobilitätswende eine der schwierigsten Aufgaben des Klimaschutzes werden, denn: Hier entscheiden nicht große Anlagenbetreiber nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, wie sie Strom für Millionen von Menschen produzieren, sondern Millionen von Menschen sind eingeladen, ihre Alltagsroutinen zu überdenken. Und da Gewohnheiten bekanntlich äußerst zäh sind, ist es richtig bei den Automobilkonzernen anzusetzen, indem man ihnen klare gesetzliche Rahmenbedingungen vorschreibt.

Andere sind schon weiter

Doch was auf den ersten Blick ambitioniert scheinen mag, erscheint in einem anderen Licht, wenn man betrachtet, was andere längst vorgelegt haben. Schweden, Irland, Österreich und die Niederlande wollen ab 2030 keine Verbrenner mehr zulassen, Norwegen bereits ab 2025. Dazu kommen zahlreiche große Städte wie London, Paris und Rom, die Ausstiegsdaten bis 2030 festgelegt haben. Und selbst einige Autohersteller (Fiat, Volvo) planen, ab 2030 keine Verbrenner mehr zu produzieren. Geboten ist das allemal: Der jüngste Bericht des Weltklimarates hat noch einmal bestätigt, dass die Jahre bis 2030 entscheiden, ob die Erderhitzung unter die kritische Grenze von 1,5 Grad Celsius begrenzt wird oder nicht. Immerhin: Vorbei sind die Zeiten, in denen die Autokanzlerin Merkel persönlich bei der EU gegen härtere CO2-Grenzwerte interveniert, um die deutsche Autoindustrie mit ihren immer schwereren und größeren Modellen vor der notwendigen Transformation zu bewahren. Doch nun rächt sich, dass die Branche ihre Energien zu lange darauf verwendet hat, fette Gewinne mit alter Technik einzufahren, anstatt neue klimafreundlichere Alternativen zu erproben – und die Politik sie gewähren ließ.

Veränderung soll ab 2030 stattfinden…

Es ist nicht so, dass die Verordnung nicht auch positive Seiten hat, beispielsweise wird die Möglichkeit abgeschafft, sich durch den Absatz von Plug-in-Hybriden einen entschärften Grenzwert zu erarbeiten. Leider gilt dies erst ab 2030. Und hat nicht das Bundesverfassungsgericht jüngst geurteilt, es schränke die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen ein, Klimaschutzmaßnahmen zu weit in die Zukunft zu verlegen?

Wirklich erfreulich an der neuen Verordnung ist, dass sie keine Anrechnung von synthetischen Kraftstoffen erlaubt, wie im Vorfeld befürchtet. Diese sogenannten E-Fuels lassen sich vermeintlich klimaneutral produzieren und werden von Teilen der Industrie daher als das Allheilmittel präsentiert. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass sie auf absehbare Zeit nicht in ausreichenden Mengen verfügbar sein werden und dort eingesetzt werden sollten, wo Alternativen fehlen: Ihre Energiebilanz ist miserabel und ihre Verbrennung sorgt ebenfalls für Luftschadstoffe. Daher sollten das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten unbedingt darauf achten, dass eine Anrechnung von synthetischen Kraftstoffen es nicht doch noch in die Verordnung schafft.

…aber dann kommt sie zu spät

Die Lebensdauer eines Autos in Europa beträgt bis zu 20 Jahre. Wer es mit dem neuen Klimaziel, bis 2045 klimaneutral zu wirtschaften, ernst nimmt, muss sich also für ein Ende der Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren bis 2030 einsetzen. Hier kommt die Zielmarke der EU-Kommission zu spät. Es muss jetzt etwas passieren, nicht in zehn Jahren. Die Autoindustrie hat noch nie etwas freiwillig für den Klimaschutz getan, daher müssen die Ziele bis 2030 konkreter gesteckt werden. Das derzeitige Absatzplus von Elektroautos und die staatliche Förderung sind vor allem auf den neuen Grenzwert zurückzuführen, der 2020 in Kraft getreten ist. Damit diese Dynamik nicht abebbt, muss auch das Ziel für 2025 angehoben werden und ein Zwischenziel für 2027 festgelegt werden. Zu beidem schweigt sich der Entwurf der Kommission aus.

Gegner*innen werden sagen: Die Automobilindustrie hat lange Produktionszyklen, die können nicht einfach von heute auf morgen etwas umstellen. Aber gerade um Konzernen Planungssicherheit zu verschaffen, ist es wichtig, verbindliche Ziele aufzustellen. Außerdem sind inzwischen zahlreiche vollelektrische Modelle auf dem Markt und es werden in den kommenden Jahren weitere vorgestellt. Auch indem die Unternehmen statt Verbrennern E-Autos absetzen, lassen sich Flottenziele einhalten.

Dies führt zu einem weiteren Kritikpunkt an der Verordnung: Sie muss an das Zeitalter elektrischer Mobilität angepasst werden. Nach wie vor orientiert sie sich am Durchschnitt der Flotte, das heißt, die Hersteller können mit jedem verkauften E-Auto, das mit 0 Gramm CO2 pro Kilometer in die Bilanz eingeht, mehr Verbrenner auf die Straße bringen. Daher braucht die Verordnung eine Obergrenze für den Verbrauch von Verbrennern und Effizienzstandards für E-Autos –  schließlich ist auch erneuerbar produzierter Strom  ein knappes Gut. Angela Merkel sagte bei der Eröffnung der IAA, die deutsche Autoindustrie sei Teil der Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität. Elektrische Luxus-SUVs mit über 400 PS gehören sicherlich nicht dazu.

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1 Kommentar

Christian

13.09.2021, 17:10

Na, denn man tau mit dem Umbau der Energieversorgung. Bis dahin muss also europaweit jeglicher Strom regenerativ hergestellt sein. Wenn es nach dem Nabu geht, also in 9 Jahren! (Inklusive aller schmerzlichen Kompromisse bezüglich Naturschutz). Das bedeutet eine Verzigfachung des bisherigen Ausbautempos, selbst wenn der Stromverbrauch für bisherige Anwendungen deutlich sinken würde! Denn solange Ökostrom nicht im Überfluss da ist, bedeutet jede ins Auto geladene kWh zusätzliche Verbrennung von Gas oder Kohle (oder eben Atomstrom)!! Es gibt natürlich eine Übergangszeit, da man die Flotte nicht von einem Jahr aufs andere umstellen kann: entweder elektrisch fahren, ohne dass das Klima etwas davon hat, oder immer noch Verbrenner fahren, wenn der Strom 100 % klimaneutral hergestellt wird. Sinnvoll ist sicherlich eine Kombination davon, aber unterschiedlich verteilt auf verschiedene Fahrzeugarten. Also was soll dieses Überbieten von Ausstiegsterminen? Viel wichtiger ist, eine realistischen Pfad einzuhalten, also Zubau von x GW pro Jahr. Insofern stimme ich dem Zwischenziel zu, aber eigentlich muss es jährliche Ziele geben. Noch ist ja viel Potenziel, auf Dächern, an Fassaden, über Fahrradwegen... Vorreiter wären wir dann gegenüber anderen Ländern, die weiterhin fossil zubauen, immer noch. Aber eben ein realistisches bzw. nachahmbares Vorbild. Wichtig finde ich auch, die Gründe für lange Wege zu reduzieren. Wer heutzutage seine Immobilie wechselt, hat großen Aufwand, und scheut diesen möglichst lange. (selbst als Mieter ist es oft so -> ähnliche Wohnung, aber nun Anhebung auf Neuvermietpreis). Ein kleiner, aber längst überfälliger Punkt dabei: die Grunderwerbssteuer. Die gehört abgeschafft!

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