Reisetagebuch Teil 3: Schulbank drücken, Bäume pflanzen und Antilopen zählen
Zwei Schulen, dazu eine Baumschule des NABU-Projektes zu besuchen und ein bisschen Umgebung zu gucken, das klingt nicht nach einem anspruchsvollen Programm für einen Tag. Doch weit gefehlt: Die vielen neuen Eindrücke von der äthiopischen Landschaft, etwa 200 Kilometer Piste, zwei Horden neugierige Schüler usw. reichen, um abends müde ins (Hotel-!) Bett zu fallen.
Landschaft: von Landwirtschaft geprägt, viel offener Ackerboden (in zwei Wochen soll gesät werden), wenig Büsche und Bäume, überall frei grasende Schafe, Ziegen, Esel und sehr magere Kühe. Dazu Hügel, die nur noch von ebenfalls magerem Gebüsch oder auch von mehr oder weniger terrassierten Feldern bedeckt sind. Wir machen uns auf jeden kleinen Hain aufmerksam, denn darin liegt auf Garantie eine Kirche. Auch jeder große Baum wird bestaunt.
Die erste Schule liegt direkt an einem Feuchtgebiet am Ufer des Tanasees. Eine Dorfschule, 1200 Kinder, 70 pro Klasse. Damit die Gebäude für alle reichen, haben die älteren Schüler morgens Unterricht, die jüngeren Schüler nachmittags. Neben der Schule liegt ein kleiner Kaffee-Anbau. Aus dem Verkauf des Kaffees werden Schulmaterialien finanziert. Die Kinder sind sehr lieb und schüchtern, aber gucken aus jeder Ecke, was der seltsame Besuch macht. Wir überreichen ein Zertifikat, um diese Schule für die beste Durchführung des Lake Tana Biosphere Reserve Day 2017 im Kreis auszuzeichnen und als Preis ein Megaphon. Der Eindruck, dass es in Äthiopien sehr höflich zugeht, setzt sich immer stärker in mir fest. Die Armut dieser Schule ist erschreckend. In den Klassenräumen eine Tafel und die Bänke und schmale Tische für die Kinder, sonst nichts.
Zweite Schule: Wieder eine Horde Kinder, hier gibt es eine meteorologische Station, eingezäunt (gegen die schuleigenen Rinder?). Hier sieht man, was Einzäunen bringt: Es wächst eine geschlossene Grasvegetation in diesem Bereich! Von den Schülern haben viele schon Bäume in der Schule und in der Familie gepflanzt, um die Erosion einzudämmen. Hunderte von Händen formen das Tanasee-Herz (Form des Sees) und strecken fünf Finger in die Luft als Versprechen, in ihrer Familie bis zum nächsten Jahr fünf Bäume zu pflanzen.
Wo die Bäume herkommen, sehen wir ein Stück weiter: Es gibt zehn NABU-Baumschulen im Biosphären-Reservat, in denen tausende von Baum-Setzlingen gezogen werden. Was außerdem von diesem Tag hängenbleibt: Gullies. Nein, keine Abdeckung von Abwasserschächten, sondern riesige Erosionsrinnen, die die Landschaft durchziehen und bei Regen den wertvollen Boden in den See tragen. Im Vorbeifahren sehen wir eine große Halbinsel an einer Flussmündung, die vor 20 Jahren noch nicht dort war – alles Sedimente aus dem Hochland. Und was noch bleibt: abends über dem Hotel-Pool in der alten Königs-Stadt Gondar: Fledermäuse. Dann setzt Regen ein. Schlaf.
Sightseeing und Tonfiguren
Tag vier, und damit der Ostteil unserer See-Umrundun, beginnt mit der Besichtigung des Königspalastes von Gondar. Ach was, nicht des Palastes, sondern der Paläste, denn jeder König hat einen neuen gebaut auf dem riesigen Gelände. Die größten Burgen Deutschlands sind etwa vier Hektar groß. Hier dürften es zehn Hektar sein. Faszinierende Ruinen mit ausgefeilten Details: Wir sehen eine Sauna, Löwenkäfige, eine Haushaltsschule, eine Bibliothek mit Skriptorium und einen Musiksaal, der ein Akustikdach hatte. Vieles wurde im Zweiten Weltkrieg durch britische Bombenangriffe auf italienische Posten in den Palästen zerstört. Wer weiß bei uns in Deutschland, dass der Zweite Weltkrieg äthiopische Paläste (heute übrigens UNESCO-Welterbe) zerstört hat? Nebenbei sehr nett: Auf einem Baum markiert ein Hornvogel lauthals sein Revier.
Die nächste Schule ist eine Überraschung: Hinter einer Neubausiedlung (sieht in äthiopischen Kleinstädten sehr anders aus als bei uns) liegt ein grüner Bereich, viele kleine Bäume, eine begonnene kleine Parkanlage, alles wirkt freundlich und grün. Die Schüler sind stolz auf ihre Schule, der Direktor ist engagiert. Die Eltern werden in die Arbeit eingebunden, die Schüler des Environmental Clubs pflanzen in der Schule und zu Hause, sie übernehmen Baumpatenschaften.
Und die letzte Schule bringt noch größere Eindrücke. Hier werden wir von Tierfiguren empfangen: Pelikane, Zebras, Giraffen. An den Bäumen amharische Baumnamen, ein Lehrer, der riesigen Spaß hat, mit den Schülern Materialien selbst zu erstellen, wie eine Biogasanlage aus Beton, Mikroskopmodelle aus Pappe. Eine Bevölkerungspyramide. Die Schule hat eine Behindertenklasse, in der SchülerInnen fitgemacht werden, nach der vierten Klasse in den normalen Teil zu wechseln. Und was uns betrifft: Wir werden fast von der Begeisterung der Kinder erdrückt. Auch hier werden Bäume gepflanzt, es gibt einen Schulacker mit verschiedensten Kulturen, im Environmental Club werden Exkursionen gemacht. Später werden wir noch erfahren, dass sich die Lehrer hier auch eine Reihe kleiner Experimente, z.B. zu Erosionswirkungen, ausgedacht haben.
Und wer jetzt glaubt, dass unsere Tierbeobachter zu kurz gekommen sind: Nein, zwischendurch haben wir auch an einem Geierfelsen gehalten, bei einem Halt an einer weiteren Palastruine hingen alle über der Mauer, um einen süßen Nager zu beobachten. Und dann waren da noch Antilopen, Meerkatzen und vieles mehr.
Und wer jetzt außerdem glaubt, dass wir nach unserer Rückkehr die Beine ausgestreckt haben: Auch falsch. Der Lehrerworkshop für morgen musste noch vorbereitet werden, tja, und irgendwer muss ja auch den Blog schreiben…
- Reisetagebuch Teil 6: Von Early Birds und feinem Zwirn - 22. Juni 2018
- Reisetagebuch Teil 5:Blitze zucken über die Zeltwand - 19. Juni 2018
- Reisetagebuch Teil 4: Grenzenlose Umweltbildung – Lehrer-NAJU Workshop - 15. Juni 2018
2 Kommentare
Uwe
06.10.2018, 19:12Wirklich sehr interessant zu lesen! Man kann nur hoffen, dass sich Bäume und Wälder über die Umweltbildung wieder etwas ausbreiten... 🙂 Macht weiter so!
Heide Berger-Kobayashi
15.06.2018, 03:23Wirklich interessant, dieser Blog! Ich hatte letztes Jahr Gelegenheit, eine Woche lang in Wittenberg mit einer Delegation einer äthiopischen Kirche zu verbringen und über den großen und positiven Einfluss des Christentums in Äthiopien zu erfahren. Was Sie über Schulen und Leute schreiben, habe ich auch alles gehört. Dass die Kirchen in Äthiopien auch die letzten Wäldchen bewahren konnten, ist jetzt eine weitere sehr positive Erkenntnis. Zu gerne wäre ich auf Ihrer Reise dabei gewesen und hätte die Naturschutzbemühungen mit begutachtet! Ich denke, das Land hat ein sehr großes Potential!