Nature Credits: zwischen Glaubwürdigkeit und Greenwashing
Europas Natur ist in der Krise – und Geld für ihren Schutz fehlt. Mit den neuen „Nature Credits“ will die EU privates Kapital für Renaturierung und Naturschutz mobilisieren. Doch kann das funktionieren?
Die Idee: Naturinvestitionen marktfähig machen
Das Konzept dahinter: Investitionen in die Natur sollen attraktiver für Unternehmen werden. Dafür soll ein EU-weiter Rahmen vorgegeben werden, der entsprechende Investitionen standardisiert und steuert. Voraussetzung ist, dass Projekte mit Maßnahmen zur Wiederherstellung oder Erhaltung von Ökosystemen hohen Qualitätsanforderungen genügen. Nur wenn Projekte überprüfbar, überwacht und zertifiziert sind, dürfen hierfür Nature Credits ausgegeben werden. Dieses Verfahren soll Glaubwürdigkeit schaffen und die ökologische Wirkung sicherstellen. Die Europäische Kommission hat einen Plan vorgelegt, um dafür verbindliche Standards und ein zuverlässiges Zertifizierungssystem zu entwickeln.
EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall wies bei der Präsentation des Vorhabens darauf hin, wie eng Europas Wirtschaft mit der Natur verknüpft sei: Drei Viertel der Unternehmen seien auf funktionierende Ökosysteme angewiesen – gleichzeitig befinde sich ein Großteil der natürlichen Lebensräume in alarmierendem Zustand.
Deshalb sei es laut Roswall unerlässlich, ökologische Aspekte stärker in wirtschaftliches Handeln einzubeziehen. Dabei gehe es nicht darum, die Natur als Ware zu betrachten, sondern darum, konkrete Beiträge zum Schutz und zur Wiederherstellung der Umwelt anzuerkennen und gezielt zu fördern.
Laut EU-Roadmap soll der Markt für Nature Credits dabei helfen, die jährliche Finanzierungslücke der EU in Höhe von 37 Mrd. EUR[1] im Bereich der biologischen Vielfalt zu schließen und Land- und Forstwirte*innen, Meeresnutzer*innen sowie lokale Gemeinschaften für naturpositive Aktivitäten zu belohnen.
Vom Acker bis zum Meer: Wer profitieren soll
Von diesen Credits profitieren sollen vor allem jene, die sich praktisch für den Naturschutz einsetzen – zum Beispiel durch Renaturierung oder nachhaltige Bewirtschaftung. Käufer*innen der Gutschriften könnten Unternehmen sein, die ihre Umweltziele vorantreiben wollen, aber auch öffentliche Stellen.
Bei der Diskussion über die Credits stellt sich die entscheidende Frage, welche Aussagen oder Tätigkeiten Unternehmen nach dem Kauf der Zertifikate damit treffen bzw. umsetzen dürfen. Unternehmen sollten negative Eingriffe in die Natur nicht einfach mit Credits ausgleichen dürfen. Offsetting muss Ausnahme bleiben. Stattdessen sollte äquivalent zu den Contribution Claims im Klimabereich, eher auf Unterstützungsaussagen hingearbeitet werden („Wir unterstützen Wiederherstellung des Ökosystems X mit Betrag Y auf Fläche Z“ – anstatt nur zu behaupten: „Wir sind naturpositiv“).
Nature Credits müssen auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen basieren. Credits sollten möglichst im Nachgang und auf Grundlage konservativ bewerteter, nachweislich positiver Auswirkungen auf die Biodiversität vergeben werden. In Fällen, in denen eine vorausschauende Einschätzung oder der Schutz bestehender Ökosysteme im Vordergrund steht, braucht es eine laufend aktualisierte, datenbasierte Analyse von Alternativszenarien. Entscheidend ist dabei stets die Zusätzlichkeit der Maßnahme – also der Nachweis, dass der jeweilige Naturschutzbeitrag ohne die Finanzierung durch Nature Credits nicht erfolgt wäre, etwa weil er nicht schon durch bestehende rechtliche Verpflichtungen abgedeckt ist. Auf den letzteren Punkt (Zusätzlichkeit) wird in der Roadmap eingegangen, auf den ersten (Alternativszenarien) leider noch nicht.
Lernen aus den Fehlern des CO₂-Marktes
In der EU-Roadmap wird das Thema Permanenz zwar nicht explizit erwähnt, jedoch wird die Notwendigkeit sozialer Schutzmaßnahmen betont. So sollen globale Ziele zur Erhaltung der biologischen Vielfalt mit den Werten und Prioritäten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLC) in Einklang gebracht werden.
Auch institutionelle Anforderungen werden teilweise adressiert. Der Zustand der Naturflächen sollte vor Projektstart von unabhängigen Experten erfasst werden, um Objektivität und Glaubwürdigkeit sicherzustellen.
Um einen funktionierenden Nature-Credits-Markt und eine Marktentwicklung zu gewährleisten, müssen die Fehler des freiwilligen CO2-Marktes bestmöglich berücksichtigt werden. Die daraus entstandenen Lösungsansätze sollten direkt aufgegriffen sowie mit bestehenden Regulierungen und Programmen (bspw. NRL, CRCF) zusammengedacht werden.
Die EU plant, die Entwicklung von Nature Credits anfangs an die Entwicklung der Kohlenstoffzertifizierung (CRCF) zu koppeln. Die Kohlenstoffzertifizierung könnte die ökologische Glaubwürdigkeit der zertifizierten Kohlenstoffeinheiten nicht nur stärken, sondern auch die Käufer mit den Ergebnissen der biologischen Vielfalt vertraut machen. Damit könnte der Grundstein für eigenständige Naturkreditmärkte gelegt werden.
Laut der Roadmap sollen Nature Credits die Mitgliedstaaten außerdem dabei unterstützen, ihre nationalen Vorgaben gemäß der EU-Wiederherstellungsverordnung zu erreichen. So könnten die Staaten etwa Naturgutschriften nutzen, um individuelle Beiträge zu nationalen Zielsetzungen und Verpflichtungen im Rahmen der Verordnung anzuerkennen.
Ohne staatliche Mittel bleibt die Natur auf der Strecke
Hier ist zu betonen, dass der Ansatz über Nature Credits private Mittel in Investitionen für Naturschutz & Wiederherstellung zu lenken durchaus Potenzial hat, in Summe jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen wird. Die wirklich entscheidenden Hebel liegen in öffentlicher Hand: Die EU-Mitgliedstaaten lenken jährlich zwischen 34 und 48 Milliarden Euro an EU-Subventionen in Aktivitäten, die der Natur schaden [2]. Durch eine Umlenkung dieser bestehenden schädlichen Subventionen, könnte die gesamte Finanzierungslücke geschlossen werden, ohne dass privates Kapital benötigt wird.
Rund 32 Milliarden Euro fließen jedes Jahr über die EU-Agrarpolitik in intensive Landwirtschaft – und zerstören damit wichtige Lebensräume. Diese Mittel könnten umgelenkt werden, um Landwirt*innen und Landbesitzer*innen zu unterstützen und zu belohnen, die nachhaltige Praktiken anwenden – ganz ohne die Notwendigkeit eines privaten Marktes.
Dieser private Markt darf nicht als Vorwand dienen, öffentliche Naturschutzmittel zu kürzen, wie es die EU-Kommission in ihrem Haushaltsvorschlag bereits andeutet. Aufgrund der nach wie vor großen Unsicherheiten des neuen Marktes – bei gleichzeitigem stetig steigendem Bedarf durch die fortschreitende Naturzerstörung – sind mehr statt weniger staatliche Mittel für den Naturschutz erforderlich. Als Ziel der Roadmap und damit von Nature Credits wird angegeben, verschiedene Formen der Naturschutzfinanzierung, wie öffentliche Gelder, zu komplementieren. Es bleibt aber abzuwarten, ob ein solches Instrument in Zeiten der engen Haushalte nicht doch argumentativ gegen öffentliche Finanzierung ausgespielt wird.
Hilfreiches Werkzeug – aber kein Wundermittel
Nature Credits können also helfen – aber nur ergänzend zu einer starken öffentlichen Finanzierung. Ohne klare Regeln droht sonst Greenwashing.
Die Wirksamkeit eines Marktes für Nature Credits steht und fällt mit seiner Rolle im Gesamtsystem. Als zusätzliches Instrument zu einer starken öffentlichen Naturschutzfinanzierung kann er dazu einen Beitrag leisten, um Unternehmen und andere Geldgeber für Investitionen in den Naturschutz zu bewegen.
Hierzu wären jedoch noch staatliche Anreize wie Steuervergünstigungen oder sektorale Anforderungen nötig, da unter bisherigen Rahmenbedingungen und angesichts der fraglichen Attraktivität der Credits für klassische, gewinnoptimierende Investoren, die Nachfrage wohl gering bleiben wird. Dies wird einerseits in der Roadmap berücksichtigt, andererseits wird gleich zu Beginn der freiwillige Charakter eines Marktes betont – was einen Widerspruch darstellt. Der Abbau von EU-Standards wie CSRD oder Green Claims Directive schwächt zusätzlich die Nachfrage nach Nature Credits.
Die Verknüpfung mit der Regulierung für die Kohlenstofffinanzierung ist anfangs durchaus sinnvoll. Es ist allerdings darauf zu achten, dass der Aspekt der Biodiversität dort nicht als ein Add-On verharrt, sondern mit der Zeit auch eine eigene Struktur entwickelt.
Positiv hervorzuheben ist, dass die EU gewillt ist, aus den Fehlern des CO2-Marktes zu lernen und die Entwicklung und Regulierung des Marktes für Nature Credits dementsprechend durch starke Anforderungen leiten will. Aspekte der Minderungshierarchie, Zusätzlichkeit und Governance sind adressiert, während Schwierigkeiten wie Dauerhaftigkeit, Baselining und Doppelzählung noch nicht behandelt wurden. Auch die Frage, welche Aussage(n) die Käufer treffen dürfen, wird nicht thematisiert. Das ist allerdings zu einem so frühen Zeitpunkt auch verständlich, sollte bei der Weiterarbeit aber unbedingt berücksichtigt werden.
Als NABU begrüßen wir ausdrücklich die Einrichtung eines Beirats und die in der Roadmap formulierten konkreten Aktionen. Wir wollen den Prozess weiterhin aktiv begleiten. Darüber hinaus werden wir in den nächsten Jahren als Teil eines LIFE-Projekts die Erstellung eines Biodiversity Credits pilotieren, um möglichst konkrete Erfahrungen zu sammeln und diese an die Europäische Kommission weiterzugeben.
[1] COM(2025)420 – Communication2025 Environmental Implementation Review
[2] Member States use billions of EU subsidies to fund nature harming activities (Link zum WWF) (Englisch)


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