Nach der Wahl: Kippt das politische Klima in der EU?

Nach der Wahl: Kippt das politische Klima in der EU?

Politik in der EU gleicht derzeit einer Achterbahnfahrt: Dem Schock nach der Europawahl folgte Tage später die große Erleichterung: Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur passiert den Europäischen Rat. Ein Erfolg, aber die Frage bleibt: Wohin steuert Natur- und Klimaschutzpolitik in Europa mit dem neuen Parlament?

Umfragen hatten eine deutliche Verschiebung der Mehrheiten im Europaparlament nach rechts schon vorhergesagt. Trotzdem: Das Ergebnis der Europawahl ist schockierend für alle Naturschützer*innen in Brüssel. Massive Zugewinne der rechtspopulistischen, antidemokratischen Fraktionen in den zwei größten EU-Staaten Deutschland und Frankreich, die in Teilen die Klimakrise leugnen und sichtbarer Zuspruch für Teile der Konservativen, die gegen Naturschutz argumentieren und mobilisieren. Das ist ein Grund zur Sorge.

Trotz dieser Entwicklungen lassen sich Einzelergebnisse aber auch positiv einordnen: Umfragen hatten schlimmeres vorhergesagt. Eine demokratische Mehrheit hat gesiegt und das Ergebnis ist auch keine Abwahl von Natur- oder Klimaschutz. Die Verluste der grünen Parteien, traditionell Vorreiter im Umwelt- und Klimaschutz, sind zwar insbesondere in Deutschland, Frankreich, Österreich und Belgien groß. Gleichzeitig konnten diese Parteien, beispielsweise in den skandinavischen Ländern, Zugewinne verzeichnen.

Auch die junge paneuropäische Partei „Volt“ konnte viele Stimmen holen und wurde in Deutschland insbesondere von jungen Wähler*innen gewählt. Sie war in der vergangenen Legislaturperiode Teil der Grünen Fraktion im EU-Parlament und steht für eine progressive Natur- und Klimaschutzpolitik ein. Das spiegelt sich auch im Abstimmungsverhalten der vergangenen Jahre. Hinzu kommt: Sowohl die Linke als auch die sozialdemokratische Fraktion im Parlament konnten ihre Fraktionsstärke insgesamt halten. Beide stehen, wie die Abstimmungsauswertungen zeigen, in den meisten Fällen ebenfalls hinter einer ambitionierten Klima- und Naturschutzpolitik.

 

Rechtsruck sicher, Mehrheiten unklar

Unklar ist allerdings, wie die Fraktionen und damit die Mehrheiten im Parlament sich nach der Wahl zusammensetzen. Denn die Liste der neuen Parteien, die sich bisher keiner größeren Fraktion angeschlossen hatten oder wechseln wollten, ist lang. Dass sich die Mehrheiten nach rechts verschieben, ist aber leider sicher.

Ambitionierte Natur- und Klimaschutzgesetze, die schon in der vergangenen Legislaturperiode nur mit einer sehr knappen Mehrheit vom Parlament angenommen wurden, wie zum Beispiel das Nature Restoration Law, werden im neuen Parlament nur noch geringe Chancen haben. Das betrifft insbesondere die Gesetzgebung im Naturschutz. Klimaschutzgesetze erfahren in der Regel mehr Zuspruch, werden es aber ebenfalls schwerer haben. Auch der Druck der Europäischen Volkspartei EVP, der auch CDU und CSU angehören, werden voraussichtlich eher zu weniger Ambitionen und mehr Kompromissen in diesen Bereichen führen.

Doch was ist mit dem neuen Parlament und der neuen Kommission nun in Punkto Natur- und Klimaschutz konkret zu erwarten? Der Green Deal, Flaggschiff der alten Kommission unter Ursula von der Leyen, wird bestehen bleiben. Insbesondere, wenn von der Leyen wieder Kommissionspräsidentin wird, wonach es derzeit aussieht. Viele hatten sich für sie bereits ausgesprochen. Wie ernst die künftige Kommission das Projekt aber weiterhin nimmt und in welche Richtung sie Kompromisse eingehen muss, wird wohl davon abhängen, mit welchen Stimmen die Konservative gewählt wird. Also, ob mit den Stimmen der Grünen oder der Gruppe der Europäischen Konservativen Reformer (EKR), die noch weiter rechts im politischen Spektrum steht als die EVP. Und in deren Reihen sich auch Parteien wie die rechtsextreme Fratelli d’Italia aus Italien um Ministerpräsidentin Georgia Meloni finden.

Aktuell stehen aber die Grünen höher im Kurs. Die EVP unter Manfred Weber hat verlauten lassen, dass sie am Green Deal ebenfalls festhalten wird. Er wird aber anders ausgestaltet werden – Klimapolitik wird in der EVP vermehrt im Rahmen von Wettbewerbsfähigkeit und Industriepolitik diskutiert. Fraglich ist also, wie viel Platz Naturschutz in der Debatte haben wird. Seitens der Kommission lässt sich raushören, dass kaum ambitionierte Gesetzesvorschläge für Natur und Klimaschutz zu erwarten sind. Vielmehr wird sich auf die Implementierung und Umsetzung bestehender Gesetze konzentriert, einfach weil die politische Stimmung mehr kaum hergibt. Auch die Debatte um die neue Ausgestaltung der Agrarpolitik wird in die neue Legislaturperiode fallen. In welche Richtung diese sich entwickeln wird, konnte man mit dem Abbau der Umweltkonditionalitäten im Frühjahr erahnen – das dürfte ein erster Blick in die Zukunft sein.

 

Neue Blaupause ohne grünen Deal?

Einen Vorschlag, wie die Industriepolitik in den nächsten fünf Jahren aussehen könnte, findet man in der „Antwerp Declaration“. Diese Erklärung, von der Industrie initiiert und unterstützt von der belgischen EU-Ratspräsidentschaft, möchte ein Industrieabkommen in den Mittelpunkt der europäischen Strategie für die kommenden Jahre stellen – ähnlich wie der Green Deal seit 2019. Obwohl betont wird, den Green Deal damit unterstützen zu wollen, setzt die Erklärung auf Deregulierung, was für Natur- und Klimaschutz meist problematisch ist. Besser wäre es, aktiv grüne industriepolitische Maßnahmen zu fördern und sozial gerecht zu gestalten.

Fest steht, dass die Klimakrise und die Degradierung unserer Umwelt sich fortsetzen wird, wenn wir nicht entschlossen handeln. Trotz diverser anderer Krisen, die davon ablenken, werden die Folgen des Nicht-Handelns spürbarer. Dem kann sich die politische Debatte langfristig nicht entziehen. So tragisch es ist: Die nächste europäische Dürre oder das nächste grenzübergreifende Hochwasser wird vermutlich nicht lange auf sich warten lassen – und könnte der nächste Weckruf für ambitionierten Klima- und Naturschutz sein.

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Lukas Traup
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11 Kommentare

Andreas

24.06.2024, 13:38

Nun feiert man also das gerupfte Huhn ("Maßnahmen können ausgesetzt werden, wenn Ertragseinbußen in der Landwirtschaft drohen") mit der Bezeichnung "Restoration-Law" . Auf deutsche Initiative wurde der Landschaftsschutz für die Erneuerbaren quasi abgeschafft. Individuenschutz streng geschützter Arten wurde auf Druck der Windkraftlobby durch die EU selbst und im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH geschleift. Biotopverbund wurde im Zuge der Beschleunigung des Ausbaus der EE zur Makulatur. Das alles hat auch was mit grüner Politik zu tun und insbesondere mit Herrn Habeck. Schade dass der NABU seine Mitglieder zunehmend mit Wahlwerbung berieselt. Scheinbar hofft man damit auf großzügige Zuwendungen im Rahmen des Demokratiefördergesetzes. Mich "erreicht" man so allerdings nicht.

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Jörg Gaiser

22.06.2024, 09:29

@Justin Hahn: das ist überhaupt nicht übertrieben. Die (tierische) Landwirtschaft ist nach der menschlichen Überbevölkerung der grösste Schadfaktor für Natur und Klima weltweit. Lobby und Politik wollen dies aber anscheinend nicht erkennen bzw wahrhaben. Das Landvolk hat sich durch die hochaggressiven Bauernverbände und (rechts-)konservative Parteien dazu instrumentalisierten lassen, ihre und unsere Lebensgrundlagen auszubeuten und zu zerstören. Die Naturschutzbewegung ist auch längst nicht mehr das, was sie einmal war. Viele der großen 'Naturschutz'verbände schauen diesem Treiben tatenlos zu und fördern weiter die Zerstörung unsrer Natur durch grossflächigen Windkraftanlagenbau in Wälder und andere noch naturnahe Gebiete. Es kann einem wirklich Angst und Bang um die Zukunft für unsere Natur werden.

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Willi Kolk

22.06.2024, 00:06

Nicht müde werden - der Kampf für unsere Lebensgrundlage lohnt sich ...

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Dieter Kauer

21.06.2024, 17:25

Die Grünen bräuchten in Deutschland die absolute Mehrheit im Parlament. Dann könnten sie wirklich überzeugenden Umweltschutz betreiben! Es müßte dringend die Billigfliegerei abgeschaft werden, genauso die SUV`s wir haben in den 80ger Jahren sehr gut ohne diese Umweltverschmutzer gelebt. Aber die Generationen ab den 90ger Jahren hat ihre Kinder bis zur Unkenntlichkeit verwöhnt, so das die von den Eltern in die Schule gefahrten werden. Die deutsche Autoindustrie baut keine Kleinwagewn mehr. Sowas hätt diese sich in den 60ger und 70ger Jahre niemals getraut. Die hätten damals gesagt: Wir bauen die besten E-Autobatterien der Welt, damit wir diese auch im Ausland verkaufen können. Also made in Germany. Da warn wir mal stolz darauf.

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Kerstin

21.06.2024, 14:13

Puh, ich finde diesen Beitrag sehr politisch. Hier wird auch mehr gegen Rechts geredet als über das eigentliche Thema. ich habe erwartet, hier über die erfreuliche Nachricht zu lesen,welchen Fortschritt es beim Naturschutz gibt. Ich brauche keine Aufklärung, welche Partei gut und welche schlecht ist. Die derzeitige Regierung hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das Grün von früher gibt es nicht mehr, als sie noch in Strickpullis zu Sitzungen kamen und sich wirklich beherzt und mit Einsatz für den Natur- und Tierschutz eingesetzt haben. Habeck lässt erneuerbare Energie aus schwer recycelbaren Materialien in Wälder stellen, diese vernichten für eine Technik, deren Nutzen ( noch ) begrenzt ist,weil die Netze diesen Mengen überhaupt nicht gewachsen sind. Bisher wird hier also "ein Pferd von hinten aufgezäumt". Dafür streicht dieser Grüne mal eben diverse Vogelarten von der schützenswerten Liste, nimmt also bewusst in Kauf, dass diese Arten ohne den Schutz möglicherweise von der Bildfläche ganz verschwinden,also aussterben. Oder warum waren sie vorher auf einer roten Liste ? Die Grünen müssten wissen, wie lange es braucht, bis Ersatzpflanzungen wieder zu einem vollwertigen Wald angewachsen sind, um dann ein Zuhause für Tiere zu werden. Sorry, aber das Loblied auf die Grünen zieht nicht mehr,was die Wahlergebnisse auch zeigen. Heute werde ich es sein, keine Grüne( nie gewesen ), die bereit ist, sich an einen Baum zu ketten,wenn sie in "meinem" Wald die Windräder gegen unseren Willen aufstellen wollen.

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Lukas Traup

21.06.2024, 14:44

Liebe Kerstin, danke für deine Einschätzung und deine Kritik. Ich denke es ist wichtig in diesem Falle zu betonen, dass es sich um eine europäische Perspektive handelt. Die Parteien des Europäische Parlaments sind nicht in Regierungsverantwortung. Die Fraktion der Europäischen Grünen sind, genauso wie die anderen Fraktionen des EU-Parlaments, dadurch auch nicht dazu gezwungen so viele Kompromisse einzugehen. Auch wir sind entäuscht von der derzeitigen deutschen Regierung und den Kompromissen, die die Grünen hier vielfach eingegangen sind. Wenn man sich jedoch das Abstimmungsverhalten der Europöischen Fraktionen im EU-Parlament im Vergleich zu den Positionen der EU-Umwelt-NGOs anschaut, ist das Ergebnis weniger enttäuschend. Hier ist die Grüne Fraktion nach wie vor an erster Stelle und neben der Fraktion der Linken fast auf Linie der NGOs. In dieser Auswertung wird auch deutlich, dass die Parteien rechts der liberalen Fraktion in mehr als 75% der Fälle gegen den Naturschutz gestimmt haben. https://www.birdlife.org/news/2024/04/15/leading-environment-and-climate-organisations-score-european-parliaments-2019-2024-performance/ Viele Grüße

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Eberhard Holdt

20.06.2024, 21:11

Ja, es ist entmutigend. ABER! Der Arbeitsaufwand für menschliche Bedürfnisse sinkt mit den neuen Techniken weiter. Vorläufig gehen Energie, Material und Geld zunehmend für den Zwang zu ruinösem Wettbewerb der Großunternehmen untereinander drauf. Doch es kommt die Zeit, wo sich Länder, Landkreise und Gemeinden selbst organisieren. Dann entfällt der Tribut an die Absahner namens Cerberus, Black Stone und Co. Man wird staunen, mit welch geringen Aufwand an Energie das Leben weiter geht. Dafür hab ich meine Lebensarbeitszeit gegeben, als Automatisierer.

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Anja Kunze

20.06.2024, 18:19

Die bisherigen Parteien haben, meiner Ansicht nach, viele Änderungen in die Wege geleitet, die der Natur, dem Arten,- und Landschaftsschutz eher schaden als nützen. Ich denke da an die Streichung ( ehemals) geschützter Tierarten von der Roten Liste, die Minister Habeck verantworten muss, das Aufweichen des Schutzstatus von Waldflächen zugunsten der Windkraftindustrie, der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung in Deutschland, das Ignorieren vieler anderer Themen, wie ein Plastikverbot im Handel uvm. Was die neu gewählten Parteien hier nun anpacken oder nicht, wird sich zeigen. Keinesfalls , und da sind sich viele Naturschützer einig, darf es ein Weitet so!! geben, wer Veränderung möchte, gerade im Sektor Arten,- und Naturschutz MUSS auch Veränderung wählen. Die Altparteien haben hier wenig Gutes geleistet.

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Wolfgang Heep

20.06.2024, 17:33

Ich denke der Natur,- und Umweltschutz wird immer mehr unter Druck geraten. Auch die Entscheidungen der EU zum Umwelt,- und Naturschutz werden sich mehr und mehr dieser Wählerverschiebung beugen. Die konservativen und rechten Parteien haben es geschafft die öffentlich Meinung und damit auch die Werte so zu verschieben, dass Umweltbelange eine Last sind und die individuelle Wohlstandssicherung Vorrang haben müssen. Es ist nicht geschafft worden eine generelle Umgestaltung der Wirtschaft und des Energiesektors der breiten Masse positiv zu vermitteln. Es wurde gedacht, dass wir die Strukturen geschaffen haben um im Hintergrund in aller Stille die Umstrukturierung laufen zu lassen. Man sieht jetzt wie schnell eine solche Position verloren gehen kann. Es ist immer wichtig unsere Werte öffentlich zu vertreten und die Mehrheit faktisch zu überzeugen das wir den Wandel brauchen. Wolfgang Heep (NABU Leverkusen)

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Justin Hahn

20.06.2024, 17:25

eventuell ist dass etwas übertrieben aber die Bauern werden mit ihren (wie ich finde extrem brutalen und Einschüchterungsmäßigen )Methoden es so weit bringen dass sie die Umwelt maximal verschmutzten dürfen und es keine Gesetzte mehr für sie gibt .Bauern sind für mich teilweise alteingesessene Leute die sagen , die Umwelt haben wir schon immer geschädigt, dass werden wir auch weiter tun , bis alles kaputt ist. traurig aber wahr .

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Gerhard Süß

18.06.2024, 13:20

Neben der Restaurierung von Natur könnte die Veränderung der Bewirtschaftung von Kulturlandschaft eine gute und positive Rolle spielen, weil sie unmittelbaren Nutzen für Landwirte mit sich bringt, wie z. B. Erhält und Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, Bindung von Niederschlagwasser, Vermeidung von Humus-Verlust durch Erosion und Dürre. Daher sollte man GEMEINSAM mit konservativen Kreisen darauf hinwirken, dass sich das dazu erforderliche Praxiswissen verbreitet. #Bodengesundheit

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