Überholspur oder Sackgasse? Der neue Pakt für Planungsbeschleunigung

Überholspur oder Sackgasse? Der neue Pakt für Planungsbeschleunigung

Unser Land kann Aufbruch und Tempo“ sagte Bundeskanzler Olaf Scholz stolz zur Einweihung des ersten Flüssigerdgasterminals im Dezember vergangenen Jahres in Wilhelmshaven. Und er fügte hinzu: „Das ist das neue Deutschland-Tempo. Bereits im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung findet sich das Vorhaben, einen „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung mit den Ländern“ zu schließen. 

Am vergangenen Montagabend schließlich, als dieser Pakt vereinbart in 28 Seiten auf dem Tisch lag, verkündete der Kanzler, dass jetzt „wirklich“ etwas passiere und Politiker*innen nicht mehr nur davon reden würden, dass Deutschland schneller werde. Zuvor machte er sich noch ein wenig lustig über die in den vergangenen Jahren entwickelten Standards und Verfahren für den Bau von Infrastruktur und Gebäuden. In den vergangenen Jahrzehnten hätten Bund und Länder „mit großer Liebe und Zuneigung“ immer mehr Vorschriften erfunden. 

Gegen Vereinfachung und Verfahrensbeschleunigung hat zunächst einmal wohl niemand etwas. Viel Zuspruch kann sich die Politik erhoffen, wenn pauschal und oft etwas wohlfeil gegen „Vorschriften und Bürokratie“ gewettert wird. Beifall ist aber auch dann in vielen Kreisen garantiert, wenn man vermeintlich absurde Regelungen zum Schutz einzelner (meist eher unscheinbarer) Tiere oder Pflanzen anprangert. Zunehmend wird es nun auch salonfähig, die Klagerechte von Umweltverbänden und die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern als unnötiges Hemmnis für den Fortschritt des Landes zu diskreditieren. Bis hinein in Teile der Klimaschutzbewegung gilt der Natur- und Artenschutz als eher störend für den Fortschritt. 

Der NABU und andere Umweltverbände haben den am Montag beschlossenen Beschleunigungspakt scharf kritisiert. Statt „schneller, moderner und sicherer“ mache diese Politik Deutschland „verwundbarer, unsicherer und ungesünder“. Dahinter steht unsere Sorge, dass jetzt viele in den letzten Jahrzehnten entwickelte, erkämpfte und demokratisch beschlossene Verfahren und Standards über Bord geworfen werden. Und dass dies geschieht, obwohl die Begründung für diese, nämlich die Notwendigkeit Natur, Umwelt und Klima vor negativen Auswirkungen unserer Bauvorhaben möglichst weitgehend zu bewahren weiterhin, ja dringlicher als je zuvor, besteht.  

Der Pakt sieht vor, dass Artenschutzstandards mit dem Ziel festgelegt werden, schnellere Genehmigungen für die Modernisierung des Straßennetzes zu ermöglichen – hier gilt es eine Abschwächung der Standards zu verhindern!

Einen ähnlichen, teils sehr populistisch geführten Angriff auf den Natur- und Artenschutz gab es übrigens um das Jahr 2015 herum, als die Regelungen der EU-Naturschutzrichtlinien verantwortlich gemacht wurden für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Wirtschaft. Nach zwei aufreibenden aber aufschlussreichen Jahren der Debatte und der Evaluierung des Naturschutzrechts bestätigten alle EU-Regierungen, darunter auch das damals CDU geführte Bundeskanzleramt, dass die Vorgaben zum Arten- und Gebietsschutz der EU „fit for purpose“ sind und keinesfalls ein Hemmnis für die Wirtschaft, sondern eine Notwendigkeit für eine nachhaltige Entwicklung. 

Modernisierungsbedarf gibt es natürlich immer. Viele Regelungen sind schlecht aufeinander abgestimmt, es fehlt allerorten an gut ausgebildetem Personal in den Behörden und die Digitalisierung kommt zu langsam voran. So unterstützt auch der NABU ausdrücklich jede Initiative, die die Effizienz und auch Geschwindigkeit von Behördenhandeln und Planungsverfahren erhöht – solange hierbei die Qualität von Entscheidungen verbessert und nicht verschlechtert wird. Dies muss aber auch für die Anstrengungen gelten, die wir aktiv für Biodiversität, Klima und Naturschutz unternehmen müssen. Die vor einem Jahr in Montreal eingegangene Verpflichtung, auf 30 Prozent der Fläche Schutzgebiete auszuweisen und das Ziel Moore, Meer und Wälder wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen, sind Beispiele für Bereiche, in denen eine Beschleunigung ebenfalls dringend nottut. Der NABU hat hier bereits eine Fülle von Vorschlägen gemacht, in Form von Rechtsgutachten und in der Debatte um das Naturflächengesetz, doch hier fehlt das Deutschland-Tempo noch….

Der NABU-Blog zu Planung und Naturschutz

Ab heute wollen wir in diesem Blog in unregelmäßiger Folge unter die wohlfeilen Überschriften, zwischen die Zeilen und in die Hinterzimmer der Politik schauen. Unterstützt durch Gastautor*innen sowie Kolleg*innen aus den NABU-Landesverbänden und der Bundesgeschäftsstelle wollen wir ins Detail gehen: Welche Vorhaben zur Planungsverbesserung gibt es, welche steigern, welche vermindern unsere Chancen die Klima- und Biodiversitätskrise in den Griff zu bekommen? Wie positionieren sich die Akteure in der Debatte und was passiert konkret in den Gesetzgebungsprozessen dazu? Und was verbirgt sich wirklich hinter den Begriffen, mit denen der neue „Pakt“ gespickt ist: Erörterungstermine, Stichtagsregelungen, Genehmigungsfiktion, vorzeitiger Maßnahmenbeginn, Legalplanung, UVP, materielle Präklusion… Wir laden Sie dazu ein den Blog „Naturschätze.Retten“ zu abonnieren, dann verpassen sie keine Folge unseres neuen NABU-Tickers zu Planung und Naturschutz! 

3 Kommentare

Paul H.

27.11.2023, 14:29

Das ist sehr interessant!

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Franz Janiel

06.12.2023, 12:39

Ich freue mich sehr, dass der NABU sich in dieser Thematik mutig und offensiv aufstellt und möchte gerne im Verteiler bleiben, ohne dass ich irgendwelche weitere Verpflichtungen eingehen muss.

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Herbert Weiss

13.12.2023, 00:52

Das ist allerdings "sehr populistisch". Im Namen des Fortschritts bzw. der Rettung der Welt sollen künftig die besten CO"-Abscheider und -Speicher, die es gibt - die Bäume - abgeholzt werden können. Und wer soll auf den neuen Fernstraßen fahren, wenn es ab 2030 keine neuen Verbrenner mehr geben soll? Wo soll das ganze Lithium herkommen? Wieviel Landschaften sollen für den Abbau dieses Zeugs noch zugrunde gerichtet werden? Tut lieber was für den Erhalt des Vorhandenen - insbesondere bei der Bahn. Es gibt übrigens auch kleinteilige Lösungen für die Energiegewinnung. Jede Hundehütte kann z.B. mit Solarmodulen bestückt werden.

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