Alles schneller ohne Umweltverträglichkeitsprüfung?

Alles schneller ohne Umweltverträglichkeitsprüfung?

Nein! Umweltverbände und Energieunternehmen fordern gemeinsam den Erhalt für Offshore Wind

Glaubt man der Politik der Ampel-Koalition, ist die Abschaffung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) das Allheilmittel für ein schnelleres, moderneres, zukunftsfähiges Deutschland, das im „Deutschland-Tempo“ tickt. Ist es tatsächlich so einfach? Und was ist der Wert der UVP – gerade für Umwelt- und Naturschutz?

Beispiel Erneuerbare-Energien-Richtlinie und die aktuelle Windenergie-auf-See-Novelle

Aktuell setzt Deutschland die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie für den Offshore-Ausbau um. Dazu wird das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) novelliert. Der Gesetzesentwurf verpflichtet zur Ausweisung sogenannter Beschleunigungsgebiete, in denen die UVP entfällt. Kritik daran kommt nicht allein von Seiten des Naturschutzes. Weil die Abschaffung der UVP keine Beschleunigung beim Offshore-Ausbau bringt, aber dessen Naturverträglichkeit aufs Spiel setzt, ruft ein gemeinsames Statement von NABU, WWF, DUH und den Energieunternehmen Orsted, Vattenfall und RWE dazu auf, die UVP zu erhalten. Das federführende Wirtschaftsministerium ist gefordert nachzusteuern. Alles andere widerspräche dem Koalitionsvertrag. In den Niederlanden ist man hier schon weiter und will keine Beschleunigungsgebiete ausweisen.

Beispiel LNG-Beschleunigungsgesetz und das Terminal Mukran auf Rügen

Nach dem Angriff auf die Ukraine war im Frühjahr 2022 der Impuls zum beschleunigten Bau von LNG-Terminals zumindest nachvollziehbar, doch schon damals stark kritisiert – auch, weil das dafür erlassene LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) Tür und Tor dafür öffnet, auf eine UVP für die Terminals zu verzichten. Obwohl diese ökologisch sensible Gebiete wie das Wattenmeer oder die Meeresschutzgebiete um die Ostseeinsel Rügen bedrohen. Heute ist das LNGG mahnendes Beispiel dafür, wie Beschleunigung außer Kontrolle gerät. Denn die wie Pilze aus dem Boden schießenden Terminals zementieren mit ihren langen Betriebszeiten die Abhängigkeit von fossiler Energie und steuern so sehenden Auges auf eine Verletzung der Klimaziele zu. Abhilfe soll nach jüngsten Plänen des Wirtschaftsministeriums die CO2-Speicherung im Meeresboden schaffen, auch für die Emissionen aus Gaskraftwerken. Auf einen falschen Schritt folgt der nächste – wieder auf Kosten der Meere.

Im Greifswalder Bodden durchzieht die Pipeline von Mukran nach Lubmin den Lebensraum der Kegelrobben. Foto: NABU/Marc Scharping

Aber beim LNGG sind nicht nur die Laufzeiten, sondern auch die Anzahl der Terminals außer Kontrolle geraten. Obwohl die in Betrieb befindlichen Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin insgesamt zu weniger als 60 Prozent ausgelastet sind und die Bundesnetzagentur schon im Sommer 2023 Entwarnung bei der Gasversorgung in Deutschland gab, sollen im Jahr 2024 drei weitere Terminals in Betrieb gehen. Darunter ganz frisch im Probebetrieb Mukran auf Rügen.

Das Projekt wurde ohne UVP durchgepeitscht, etliche Umweltfolgen aus NABU-Sicht bagatellisiert. Dabei zeigt gerade dieses Projekt, dass eine solide Planung Zeit braucht und nicht im Schnellverfahren zu haben ist. Allein für den ersten Pipelineabschnitt gab es schon zwei Änderungsverfahren, weil die offensichtlich unausgegorene Planung nicht eingehalten werden konnte. Mit jeder Planänderung vergrößerten sich die Umweltauswirkungen.

Geht „Deutschland-Tempo“ auch naturverträglich? Die Rolle der UVP

Die Beispiele zeigen: Es lohnt sich genauer hinzuschauen und zu hinterfragen, ob der Verzicht auf eine UVP wirklich zielführend (Quelle S. 16) oder eher eine Nebelkerze ist. Betrachtet man, was eine UVP tatsächlich leistet, spricht vieles für die Nebelkerze. Die UVP ist ein umfassendes Projektoptimierungs-Instrument, das Projektalternativen prüft und Umweltauswirkungen nach einheitlichen Standards erfasst und bewertet sowie notwendige Vermeidungs- und Minderungs- und Ausgleichsmaßnahmen ableitet. Dabei berücksichtigt sie nicht nur Arten und Lebensräume, sondern auch den Menschen und seine Gesundheit als Schutzgut.

Eine wichtige Aufgabe ist es auch, Auswirkungen nicht nur isoliert zu betrachten, sondern gezielt das Zusammenwirken mit anderen Vorhaben und Vorbelastungen in den Blick zu nehmen. Dadurch soll vermieden werden, dass sich Einzeleffekte zu einem großen Gesamtschaden akkumulieren. Es geht insgesamt also darum, vorausschauende, informierte Genehmigungsentscheidungen zu ermöglichen und damit das auch im europäischen Umweltrecht verankerte Vorsorgeprinzip umzusetzen.

Ein weiterer wichtiger Effekt der UVP ist es, die Öffentlichkeit und Umweltverbände zu beteiligen. Das ist eine grundlegende Voraussetzung für einen transparenten Entscheidungsprozess. Es hilft, Konflikte frühzeitig zu erkennen, zu lösen und so die Akzeptanz zu erhöhen und Klagen zu vermeiden. Die UVP ist dabei in das Genehmigungsverfahren integriert, stellt also keinen separaten, zeitaufwendigen Schritt dar.

Zügige, effiziente Genehmigungsverfahren und die UVP können durchaus Hand in Hand gehen. Dafür braucht es genügend Personal in den Genehmigungsbehörden und eine Digitalisierung der Prozesse. Auch das fordert das gemeinsame Statement von Unternehmen und Umweltverbänden für die WindSeeG-Novelle. Beschleunigung ist eben nicht zum Nulltarif zu haben, aber Beschleunigung auf Kosten der Zukunft, auf Kosten unserer Lebensgrundlagen wird absehbar noch viel teurer.

Der NABU-Blog zu Planung und Naturschutz

Wie planen wir besser, schneller und nachhaltiger? In diesem NABU-Ticker schauen wir unter die wohlfeilen Überschriften von Deutschland-Tempo und Bürokratieabbau und in die Hinterzimmer der politischen Verhandlungen. Unterstützt durch Gastautor*innen sowie Kolleg*innen aus den NABU-Landesverbänden und der Bundesgeschäftsstelle gehen wir ins Detail: Welche Vorhaben zur Planungsverbesserung gibt es, welche steigern, welche vermindern unsere Chancen die Klima- und Biodiversitätskrise in den Griff zu bekommen? Wie positionieren sich einzelne Akteure in der Debatte und was passiert konkret in der Gesetzgebung? Abonnieren Sie den Blog Naturschätze.Retten um keine Folge des Tickers zu Planung und Naturschutz zu verpassen.

Anne Böhnke-Henrichs

2 Kommentare

Marlies Küpper

12.03.2024, 13:54

Projekte ohne UVP sind ein immenser Rückschritt. Die Natur wäre die große Verliererin

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Angelika Heitmann

13.03.2024, 12:39

Ich möchte hier die erste Strophe eines Heinrich Heine Gedichtes "Nachtgedanken" zitieren: Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen. Und meine Ergänzung zu dieser 1. Strophe von Heinrich Heine: Denn dich liebes Deutschland als flächendeckendes naturzerstörendes Gewerbegebiet kann kein Lebewesen mehr genießen. Wird dies das moderne Deutschland sein? Für meine Enkel hoffe ich, dass es nicht so kommen wird.

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