Wenn Beschleunigung zum Bumerang wird

Wenn Beschleunigung zum Bumerang wird

Mit dem Offshore-Ausbau noch schneller in die Krise?

Ein Beitrag von Anne Böhnke-Henrichs (Referentin Meeresschutz & Stellv. Teamleiterin Meeresschutz)

Klimakrise und Naturkrise bedrohen gleichermaßen unsere Lebensgrundlagen. Beide Krisen können wir nur gemeinsam lösen – und das muss schnell gehen, keine Frage.

Aber wenn die Bundesregierung in aller Eile Klimaschutz priorisiert, wenn sie den Ausbau der Offshore-Windenergie im Namen der Beschleunigung rücksichtslos gegen die Meere durchsetzt, wenn den überstürzt genehmigten Anlagen womöglich zunächst die Netzanbindung fehlt oder die Übertragungsnetze die steigenden Strommengen nicht aufnehmen können, dann drohen Parks, die bis zur Netzanbindung mit Dieselgeneratoren betrieben werden, dann müssen angebundene Parks immer häufiger abgeschaltet werden und dann wird Beschleunigung zum Bumerang, der alle trifft: Meere, Klima und letztlich uns selbst. Nicht ausgeschlossen, dass die Bundesregierung mit ihrer aktuellen Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes genauso einen Bumerang auf den Weg schickt.

Klima gegen Meere? Eine erneute Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes

Das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) regelt den Ausbau der Offshore-Windenergie. Es legt zum Beispiel Genehmigungsverfahren fest, bestimmt, wie viel Windenergie auf dem Meer installiert werden soll und welche Umweltprüfungen notwendig sind. Dieses Gesetz hatte die Bundesregierung bereits im Jahr 2022 als Teil des sogenannten Osterpakets novelliert. Darin wurde dem Klimaschutz ein Vorrang vor dem Meeresschutz eingeräumt, die Ausbauziele von 40 Gigawatt auf 70 Gigawatt erhöht und als Ausgleich eine Abgabe für den Meeresschutz und die Fischerei eingerichtet, die inzwischen durch die Hintertür zum Stopfen von Haushaltslöchern zu 60 Prozent einkassiert wurde.

Aktuell wird das WindSeeG erneut novelliert. Vorgeblich, um die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive, RED) aus dem letzten Jahr umzusetzen. Aber ein Blick in den aktuell vorliegenden Referentenentwurf für die Windenergie auf See zeigt: Er schießt weit darüber hinaus und fußt schon auf der völlig falschen Grundannahme, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) den Offshore-Ausbau bremsten und im Umkehrschluss deren Beseitigung zu Beschleunigung führe. Dass die Bundesregierung hier auf dem Holzweg ist, zeigen auch immer wieder Äußerungen der Branche. Die Befürchtung ist, dass der Wegfall der UVP zu Wissenslücken und Rechtsunsicherheiten führt.

UVP-Pflicht und RED – wie hängt das eigentlich zusammen? Zunächst regelt die RED ganz unterschiedliche Aspekte der erneuerbaren Energien, auch Wind an Land und Solar. An dieser Stelle soll es nur um den Offshore-Windausbau gehen. Dort betreffen die gravierendsten Regelungen sogenannte „Beschleunigungsgebiete“. Diese sollen in „ausreichendem“ Umfang ausgewiesen werden, um die Ausbauziele zu erreichen. In diesen Beschleunigungsgebieten entfällt die UVP, Genehmigungsverfahren für Offshore Windparks dürfen höchstens 24 Monate dauern, ausnahmsweise kann diese Frist um sechs Monate verlängert werden.

Bis zu 68% der Trottellummen in der deutschen Nordsee verlieren durch den Offshore-Ausbau ihren Lebensraum. Diese kumulativen Auswirkungen in den Blick zu nehmen ist Aufgabe der UVP. Foto: Johnnes Klemenz/www.naturgucker.de

Was macht die WindSeeG-Novelle aus diesen Vorgaben? Aus der Möglichkeit, Beschleunigungsgebiete auszuweisen, wird im Entwurf ein Muss; neben der UVP wird auch die artenschutzrechtliche Prüfung mit abgeräumt; der Zeitraum für Genehmigungsverfahren wird auf 12 Monate halbiert. Zudem setzt der Entwurf Habitatschutzrecht und die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie beim Ausbau außer Kraft. Damit begeht die Bundesregierung, begeht das federführende Wirtschaftsministerium Wortbruch am Koalitionsvertrag, der verspricht: „Die Energiewende werden wir ohne den Abbau von ökologischen Schutzstandards forcieren.“ Noch ist es möglich, dieses Versprechen zu retten.

Der NABU und viele andere Verbände nehmen Stellung zum Referentenentwurf und fordern entsprechende Korrekturen. Diese Stellungnahmen müssen ernst genommen werden und jetzt ist das Parlament, ist jede*r einzelne Abgeordnete aufgefordert, diese überschießende deutsche Umsetzung der RED zu verhindern.

Ist Deutschland nach RED verpflichtet, Beschleunigungsgebiete auszuweisen und die UVP dort abzuschaffen?

Die Antwort ist ganz klar: Nein! Denn die RED lässt hier durchaus Spielraum. Wenn die Ausbauziele auf anderem Wege erreichbar sind, braucht es keine Beschleunigungsgebiete, die UVP-Pflicht kann komplett beibehalten werden. Genau das trifft für Deutschland zu, wo es mit dem Flächenentwicklungsplan ein bewährtes Instrument gibt, um den Offshore-Ausbau fristgerecht zu steuern. Der aktuelle Plan, der noch mit flächendeckender UVP-Pflicht erstellt wurde, zeigt: Die gesetzlichen Ausbauziele sind erreichbar, auch und gerade, wenn bewährte Planungs- und Umweltstandards eingehalten werden.

Und wo hakt es wirklich beim Offshore-Ausbau?

Der Flächenentwicklungsplan nimmt nicht nur den Bau der Parks in den Blick, sondern plant auch die benötigten Netzanbindungen. Beides muss zusammenpassen, aber hier hakt es. Selbst wenn Windparks schneller genehmigt würden, stehen Netzanbindungen nicht schneller bereit. Genau die braucht es aber, damit wir den Windstrom auch nutzen können. Andernfalls müssen die fertiggestellten Windparks, etwa für die Beleuchtung, mit Dieselgeneratoren betrieben werden, bis die Netzanbindung steht. Eine völlig absurde Vorstellung. Gerade die Netzanbindungen sind aber ein tatsächlicher Bremsklotz des Offshore-Ausbaus. In einer Stellungnahme des zuständigen Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie aus dem Januar 2024 werden Verzögerungen bei mehreren Anbindungssystemen von ein bis über zwei Jahren angekündigt. Das gilt es aufzulösen, wenn wir wirklich etwas fürs Klima erreichen wollen. Mit der Abschaffung der UVP landet jedenfalls kein Kilowatt Offshore-Strom schneller in der Steckdose, aber wir verlieren ein wichtiges Instrument für einen naturverträglichen Ausbau.

Doch das Problem liegt nicht allein bei den Netzanbindungen auf See. Es liegt auch an der fehlenden Hafeninfrastruktur, zu wenig Fachpersonal und der Ausbau der Übertragungsnetze an Land kommt nicht rechtzeitig voran, hält schon heute nicht Schritt mit dem Offshore-Ausbau. Wenn viel Wind weht, passiert es immer häufiger, dass zwar viel Strom erzeugt wird, aber die Netze den grünen Strom nicht aufnehmen können. Um sie vor Überlastung zu schützen, müssen Windparks immer wieder vom Netz genommen werden. Das ist teuer für uns alle, denn die Betreiber der abgeregelten Parks werden dafür entschädigt. Die Kosten landen als Netzentgelte auf unserer Stromrechnung. Aber auch für die Natur ist das teuer, denn mit ausreichend leistungsfähigen Netzen könnten wir ihr den ein oder anderen Windpark ersparen. Die Menge des so „verlorenen“ Stroms ist erheblich. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage mussten allein im ersten Quartal 2023 2,2 Terawattstunden abgeregelt werden. Das ist in drei Monaten etwa so viel, wie der Windpark Butendiek im Vogelschutzgebiet Östliche Deutsche Bucht pro Jahr (!) unter Volllast erzeugen könnte. Hochgerechnet aufs Jahr gehen so rund 8,8 Terawattstunden verloren, das ist mehr als ein Drittel des im Jahr 2023 erzeugten Offshore-Stroms in Deutschland.

Wie verhindern wir also, dass die von der Bundesregierung gewollte Beschleunigung zum Bumerang wird?

  • Grundsätzlich müssen Natur- und Klimakrise gleichberechtigt und gemeinsam gelöst werden. An Wissen fehlt es nicht: Die Berichte der regionalen Meeresschutzabkommen OSPAR und HELCOM sowie der nationale Bericht nach Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie dokumentieren den desaströsen Zustand unserer Meere. Hier braucht es den politischen Willen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen und durchzusetzen. An Geld mangelt es nicht.
  • Vor allem braucht es eine kluge Standortwahl. Wo Windräder naturverträglich gebaut werden könnten, das gibt die Natur vor. Wie so ein Ökosystemansatz in der Raumplanung aussehen kann, das zeigt eine NABU-Studie aus dem vergangenen Jahr.
  • Wir brauchen einen zielgerichteten Netzausbau, damit der grün erzeugte Strom auch vollständig genutzt werden kann und so Natur und Landschaft entlastet werden.
  • Die WindSeeG-Novelle muss grundsätzlich in Einklang mit Europarecht stehen. Daran habe ich aktuell gravierende Zweifel, Stichwort: Aushebelung Habitatschutzrecht und Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie.
  • Deshalb muss die Novelle von blinder Beschleunigungswut zu vernünftig durchdachten Regelungen finden. Ganz zentral dabei: Wir brauchen keine Beschleunigungsgebiete, wir können unser bewährtes Planungsrecht fortführen und können im Sinne des Vorsorgeprinzips auf die UVP bauen, auch im Sinne der Rechtssicherheit.

Deutschland hat als einer der Vorreiter des Offshore-Ausbaus einen großen Vorsprung vor anderen EU-Mitgliedsstaaten. Das bedeutet auch die Verantwortung zu zeigen, wie der Ausbau naturverträglich gelingt. Daran muss sich die WindSeeG-Novelle messen lassen, das hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen.

Ein Beitrag von Anne Böhnke-Henrichs (Referentin Meeresschutz & Stellv. Teamleiterin Meeresschutz)

Update 22. März:

NABU-Stellungnahme zum „Referentenwurf zur Umsetzung der RED III im Bereich Windenergie-auf-See“ (02/24)

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Anne Böhnke-Henrichs

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