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Vom Staunen zum Handeln: Zwei seltene Entdeckungen und die Artenvielfalt

Vom Staunen zum Handeln: Zwei seltene Entdeckungen und die Artenvielfalt

Oft widme ich meine Blogeinträge ja den gefiederten Freunden um mich herum. Doch diesmal möchte ich von zwei Entdeckungen erzählen, die auch fliegen – aber ohne Federn und was sie mit der Shifting Baseline zu tun haben.

Seltene Bewohnerin der Salzwiesen

Die Strandaster (Aster tripolium) ist eine charakteristische Art der Salzwiesen, die diese im Spätsommer und Frühherbst mit ihren zartlila Blüten schmückt. Ende August suchte ich dichte Bestände der Strandaster gezielt ab, um eine ganz besondere Bewohnerin der Salzwiesen zu finden: Die Strandaster-Seidenbiene (Colletes halophilus). Und schon nach wenigen Minuten hatte ich Glück: Zwei Weibchen dieser seltenen Wildbienenart sammelte emsig Pollen an den vielen Blüten. Was für ein Glück!

Blühende Strandastern (Aster tripolium) auf Trischen

 

Strandaster-Seidenbiene (Colletes halophilus) beim Pollen sammeln

Die Standaster-Seidenbiene wurde 2019 das erste Mal sicher auf Trischen nachgewiesen und 2015 erstmals in Schleswig-Holstein. Eine Bekannte, die sich seit Jahren mit Wildbienen in Schleswig-Holstein beschäftig, erzählte mir noch einige spannende Fakten: In Deutschland ist die Art extrem selten. Das liegt vor allem an ihrem speziellen Lebensraum: Die Strandaster-Seidenbiene gräbt ihre Brutröhren in den Sand, dort legt sie ihre Eier mit einem Vorrat an Pollen der Strandaster als Nahrung für die Larven ab. Da die Gefahr von Überflutungen groß ist, hat die Seidenbiene vorgesorgt: Sie produziert einen polyesterartigen Kokon für ihren Nachwuchs. Wenn das Meer die Brutröhren überspült, sind die Eier bzw. Larven in ihrem Luftsack sicher und ertrinken nicht. Eine geniale Erfindung, finde ich!

Heimliche Hüttengäste

Ein paar andere fliegende Gäste habe ich nicht gezielt aufgesucht. Diese haben sich ein besonders lauschiges Plätzchen, zwischen der Hüttenwand und meinem Duschsack, ausgesucht. Als ich ihn abhängte, um ihn mit Wasser zu befüllen staunte ich nicht schlecht als ich in die Augen von fünf kleinen Fledermäusen schaute. Die Fünf waren mindestens genauso überrascht wie ich, suchten sich aber nach einem kurzen Schock eine andere Bleibe um den Tag zu überdauern. Wie sich abends herausstellte allerdings nicht unbedingt eine geeignete: Als es dunkel wurde flatterte nämlich plötzlich einer der Kollegen in meiner Hütte umher. Wieder einmal waren beide Seiten etwas überrascht und überfordert, doch nach ein wenig Zeit und Überwindung (die Handhabung von Vögeln bin ich durch viele Jahre Vogelberingung gewohnt, aber eine Fledermaus hatte ich noch nie in der Hand) schaffte ich es den armen Irrgast in einem Karton nach draußen zu bringen. Beim Umgang mit Fledermäusen gilt: Immer Handschuhe anziehen! (Hier gibt es mehr Informationen zum Umgang mit verirrten Fledermäusen.)

Meine Recherche ergab, dass es sich vermutlich um Rauhautfledermäuse (Pipistrellus nathusii) handelte. Sie wurden von einigen Vorgänger*innen schon im Frühjahr und Herbst durch Feldermausdetektoren auf Trischen nachgewiesen. Da Fledermäuse viel heimlicher, als die meisten Vogelarten leben, ist es recht unbekannt, dass auch Fledermäuse weite Strecken zwischen Brut- und Winterquartieren zurücklegen – Rauhautfledermäuse sogar bis zu 1.500 km! Sie waren bei mir etwa eine Woche zu Gast, bis ich sie nicht mehr abends um die Hütte jagen sah. Bei der Ansammlung könnte es sich sogar um ein sogenanntes Balzquartier gehandelt haben, denn Rauhautfledermäuse paaren sich in Balzquartieren während des Zuges (Quelle: Bundesamt für Naturschutz).

Potenzielle Rauhautfledermäuse (Pipistrellus nathusii) an der Hütte

 

Artenvielfalt im Rückgang – das Phänomen der Shifting Baseline

Und wieder einmal zeigt es mir wie vielfältig die Natur ist und wie viel es zu entdecken gibt. Neben der Strandaster-Seidenbiene gibt es noch viele andere Wildbienenarten in Deutschland, die teilweise sehr selten geworden sind. Bei den heimischen Fledermäusen sieht es nicht besser aus: Alle in Deutschland vorkommenden Fledermausarten sind stark zurück gegangen und stehen ausnahmslos auf der Roten Liste (Quelle: Landesfachausschuss Fledermausschutz NRW).

Doch das sind nur zwei Beispiele für das was wir Artensterben nennen. Und wir sind mittendrin. Neben dem menschengemachten Klimawandel ist vielen Menschen nicht bewusst, dass dieser Hand in Hand mit dem 6. Artensterben geht – ebenfalls menschengemacht. Dass die Artenvielfalt abnimmt merken wir oft nicht, da solche Prozesse schleichend gehen und sich oft über mehrere Generationen ziehen: Waren für unsere Großeltern Rebhuhn, Kiebitz und Wachtel noch Allerweltsvögel, kennen sie viele junge Menschen gar nicht mehr und dass kaum noch Insekten auf der Autoscheibe kleben ist heute normal, vor 50 Jahren war das anders. Dieser Effekt wird Shifting Baseline genannt. Die Basislinie, also das was wir als „normal“ empfinden, verschiebt sich bei der Artenvielfalt langsam und schleichend nach unten…

„Man kann nur Schützen was man kennt“

Doch wir müssen diesem Prozess nicht hilflos zusehen! Ich bin mir sicher, dass das viele von Euch wissen und schon so handeln, aber ich möchte diesen oft gelesenen und so wahren Satz hier noch einmal zitieren: „Man kann nur schützen was man kennt.“

Deshalb: Lernt die Tieren und Pflanzen in eurer Umgebung kennen, macht Ausflüge in die Natur(schutzgebiete), nehmt an Führungen teil, gebt das Wissen und eure Begeisterung an eure Mitmenschen, eure Kinder, weiter. Der NABU hat eine Plattform entwickelt, auf der man sein Artenwissen kostenlos erweitern kann: Die NABU-Naturgucker-Akademie. Naturschutzzentren bieten Veranstaltungen für Groß und Klein. So können wir dem Gewöhnungseffekt etwas entgegen setzen. Wir profitieren alle davon und es macht sogar Spaß!

 

Dieser Blogartikel ist länger geworden als sonst, aber mir liegt das Thema sehr am Herzen und ich danke Euch, dass ihr in bis zum Ende gelesen habt! 😊

 

Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike

 

Hier sind noch einige nützliche links:

Wildbienen helfen im Garten, auf dem Balkon und der Fensterbank: https://www.wildbiene.org/allgemein

Fledermausfreundliches Haus: https://schleswig-holstein.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/fledermaeuse/fledermausschutz/ffh/19035.html

Naturnahe Gartengestaltung: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/grundlagen/index.html

Zum Weiterlesen:

https://www.klimawiese.de/artensterben-in-deutschland-das-kannst-du-tun-um-artensterben-zu-verhindern/

https://www.wissenmachtklima.de/shifting-baseline-umweltforschung/

 

Das Geheimnis vom Ring am Vogelfuß

Das Geheimnis vom Ring am Vogelfuß

Die Südspitze von Trischen ist bei auflaufendem Wasser einer meiner Lieblingsorte. Wenn die Flut das Watt langsam verschluckt, rücken die riesigen Schwärme von Watvögeln immer näher an die Insel. Dann ist meine Zeit gekommen: Zusammengekauert und gut versteckt sitze ich zwischen Strandhafer und Meersenf, das Spektiv auf die Vögel gerichtet, und warte. Das Wasser steigt, die Vögel rücken näher und scheinen mich in ihrem Drang, den besten Ruheplatz zu ergattern, kaum noch zu bemerken. Genau auf diese Momente hoffe ich, denn sie bieten die beste Gelegenheit für eine ganz besondere Art der Beobachtung: Das Ablesen von Vogelringen.

Gut versteckt und gleichzeitig mit gutem Blick auf die sich nähernden Vogelchwärme

 

Wie ich in einem früheren Beitrag schon einmal erzählt habe (link) werden viele Vögel mit Farbringen versehen, die wie ein individueller Personalausweis funktionieren. Einen solchen Vogel in einem Schwarm von Tausenden zu finden, ist der erste Schritt. Mit dem Spektiv scanne ich Bein für Bein, immer auf der Suche nach einem Farbtupfer. An manchen Tagen hat man Pech, doch vor ein paar Wochen war das Glück auf meiner Seite. Es schien, als hätte sich eine ganze Reisegruppe beringter Knutts an der Südspitze Trischens versammelt.

Rastende Knutts mit Alpen- udn Sichelstrandläufern

Rastende Knutts mit Alpen- und Sichelstrandläufern

 

Plötzlich blitzt etwas Buntes im Spektiv auf. Ein Knutt mit einer Kombination aus farbigen Ringen an den Beinen. Jetzt beginnt der spannende Teil: Ich muss die Farbkombination ablesen, bevor der Vogel im dichten Schwarm wieder untertaucht oder sich so dreht, dass die Ringe nicht mehr zu sehen sind. Das Herz klopft, ich konzentriere mich, notiere die Farbreihenfolge. Geschafft!

Die Eingabe draußen erfolgt über die BirdRing- App. Später in der Hütte beginnt der zweite Teil der Recherche: Die App ist mit der Website cr-birding.org verknüpft, sodass ich schnell die passenden Beringungsprojekte finde und dem Projektkoordinator meinen Funde zusenden kann. Dieser freut sich natürlich, dass ein von ihm beringter Vogel abgelesen wurde. Im Gegenzug erhalte ich die gesamte Lebensgeschichte in Form des Beringungsdatums und aller Ablesungen mit Ort und Datum.

Farbberingter Knutt

 

Die Antwort, die ich bekomme lässt mich staunen: Dieser Knutt wurde im Jahr 2003 in Kanada beringt. Zu diesem Zeitpunkt war er, basierend auf seinen Gefiedermerkmalen, bereits mindestens zwei Jahre alt. Eine kurze Rechnung macht klar: Dieser kleine Vogel ist heute, im Jahr 2025, mindestens 24 Jahre alt. Man muss sich das einmal vorstellen: Knutts fliegen von ihren Brut- in ihre Überwinterungsgebiete bis zu 15.000 km, dabei können sie 8.000 km non-stop durchfliegen! Es gibt verschiedene Unterarten: Zwei davon nutzen die ostatlantische Zugroute, auf der das Wattenmeer als wichtiger Zwischenstopp liegt: C.c. canutus brütet im südwesten Russlands, die Überwinterungsgebiete liegen in Süd- und Westafrika, die Brutgebiete von C. c. islandica liegen in Kanada, Grönland und Spitzbergen, den Winter verbringen sie in Westeuropa und dem Mittelmeerraum (Trepte, A., 2024). Unser Knutt gehört der Unterart islandica an, in seinem langen Leben hat er unzählige Gefahren überstanden, Stürme über dem Atlantik überlebt und immer wieder seinen Weg gefunden. Dass ein so kleiner Körper eine solche Leistung über Jahrzehnte vollbringen kann, ist absolut faszinierend. Durch diese eine Ablesung erfahren wir nicht nur, welche Zugrouten er nutzt, sondern auch, welch biblisches Alter diese Weltenbummler erreichen können.

Natürlich hat sich die Technik weiterentwickelt. Heutzutage gibt es winzige, federleichte Sender, die Vögeln aufgesetzt werden können. Sie liefern noch viel detailliertere Daten und zeichnen automatisch auf, wo und wie lange sich ein Vogel aufhält. Doch die klassische Farbberingung ist nach wie vor unersetzlich. Sie ist günstiger, der Aufwand ist geringer und sie ermöglicht es, eine Vielzahl von Vögeln zu markieren.

Und sie hat ihren eigenen Reiz: Dieses geduldige Suchen, die Spannung, ob man einen farbberingten Vogel im Schwarm entdeckt und ob man den Code entziffern kann und die pure Freude, wenn es klappt. Wenn ich da in den Dünen kauer, der Rücken schmerzt und die Beine eingeschlafen sind, vergesse ich alles um mich herum. In diesem Moment zählt nur der Vogel und die Hoffnung, einen kleinen Teil seiner Geschichte zu enthüllen. Und ich weiß: Irgendwo auf der Welt freut sich gerade ein*e Forscher*in riesig über meine Nachricht, denn er oder sie hat nach langer Zeit wieder etwas von „seinem“/“ihrem“ Vogel gehört. Dieser Austausch und das Gefühl etwas zur Forschung beitragen zu können ist einfach schön.

 

Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike Espenschied

 

Perspektivwechsel: Überlebenskünstler und unscheinbare Inselschätze

Perspektivwechsel: Überlebenskünstler und unscheinbare Inselschätze

Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu und mit ihm verabschieden sich auch die letzten Brutvögel von der Insel. Dadurch können jetzt Bereiche betreten werden, die wochenlang den Vögeln und ihren Küken vorbehalten waren. Jetzt wird die Zeit genutzt für einen genaueren Blick auf das, was auf Trischen wächst und krabbelt: Die Salzwiese, Flechten, Moose und hochspezialisierte Käfer. Hierfür waren die vergangene Woche drei Experten vor Ort.

Die Pflanzen der Salzwiese

Salzwiesen sind ein Lebensraum für Spezialisten, denn sie müssen mit häufigen Überschwemmungen und einem hohen Salzgehalt klarkommen.  Auf Trischen bedecken sie immerhin gut 80 % der Inselfläche. Seit über 20 Jahren wird ihre Entwicklung hier genauestens dokumentiert. Dafür gibt es über die Insel verteilt Probeflächen von jeweils einem Quadratmeter. Hier wird zum einen die Sedimentation gemessen, also ob und wie hoch die Bodenoberfläche anwächst. Zum anderen werden alle Pflanzenarten dokumentiert, sowie der Anteil der Fläche, den sie in diesem Quadratmeter bedecken.

Jede Salzwiesenpflanze ist eine Spezialistin für ihren Standort. Wie salz- und überflutungstolerant die Pflanze ist bestimmt, wie nah sie an der Wasserkante wächst. Der Queller ist der Pionier unter den Salzwiesenpflanzen, er keimt als erstes im schlickigen Wattboden, hält den Schlick durch seine Wurzeln vom Wegschwemmen ab und sorgt dafür, dass sich noch mehr Schlick anhäuft. Ist der Boden hoch genug können die nächsten Spezialisten, wie Strandflieder und Andelgras Fuß fassen. Der Strandflieder ist dabei besonders clever und wächst einfach mit dem Boden mit nach oben. Er kann durch Rhizombildung, einer Art Wurzel, in die Höhe wachsen und oben seine Blätter und Blüten entfalten. Eine einzige Pflanze kann so Jahrzehnte alt werden!  In der nächsten Salzwiesenzone – die nicht mehr so häufig überflutet wird – ist die Artenanzahl besonders hoch: Strandwegerich, Portulak-Keilmelde und der intensiv duftende Strandwermut sind hier nur drei typische Vertreter. Im oberen Teil schließlich dominiert die Strandquecke das Geschehen, durchbrochen von Rotschwingel und Strand-Tausendgüldenkraut.

Unsere Kartierungsarbeit wurde dieses Jahr allerdings von einer kleinen Plage begleitet: Unzählige Stechmücken schwirrten um unsere Köpfe – eine Folge der hohen Niederschläge der letzten Wochen. Aber wir haben uns tapfer geschlagen und uns die Freude an den Entdeckungen nicht nehmen lassen.

Die unscheinbare Welt der Flechten und Moose

Einen völlig neuen Blick auf die Insel bekam ich, als ich mit dem Moos- und Flechtenexperten unterwegs war. Die meisten Flechtenarten auf Trischen wachsen an den Pfählen und Balken der Vogelwärterhütte. Doch selbst ein alter Pfahl in der Salzwiese oder ein angespülter Ziegelstein an der Dünenkante dienen als Lebensraum von zahlreichen Moos- und Flechtenarten. Man muss nur lernen, genau hinzuschauen.

Ein Ziegelstein in der Salzwiese, auf dem zwei verschiedene Moose und eine Flechte wachsen

Der Moos- und Flechtenexperte konnte auf Trischen schließlich 15 verschiedene Moos- und mindestens 44 verschiedene Flechtenarten finden. Unter ihnen war auch die Baltische Astflechte, die auf der Roten Liste der Moose und Flechten von 2010 noch als ausgestorben gilt.

Überlebenskünstler im Wattboden

Auch der Käferexperte hatte es auf die Salzwiesen abgesehen. Mit geübtem Blick suchte er nach winzigen Häufchen in Sand und Schlick, die die Wohnröhren der wenige Millimeter großen Salzkäfer verraten. Diese Käfer aus der Familie der Kurzflügler haben einen genialen Trick entwickelt, um die täglichen Überflutungen zu überleben: Sie nutzen den Siphon-Effekt und bauen einen Knick in ihre Wohnröhre, damit diese bei Flut nicht mit Wasser vollläuft.

Unter jedem Schlickhäufchen verbirgt sich eine Wohnröhre des Salzkäfers

Die genaue Bestimmung der verschiedenen Arten der winzigen Käfer ist nur unter dem Mikroskop möglich, doch die zahlreichen Funde allein sind schon erfreulich. Die Insektenfauna der Salzwiesen ist durch häufiger werdende Sturmfluten und den steigenden Meeresspiegel, sowie durch menschliche Eingriffe, wie Deiche gefährdet. Hier bietet Trischen einen selten gewordenen Lebensraum: Da kein Deich die Salzwiese unterbricht kann sie durch Sedimentation mitwachsen und sich verlagern, somit haben auch die Salzkäfer und die vielen anderen Insektenarten der Salzwiese die Möglichkeit sich anzupassen.

Dank der Experten habe ich einen anderen Blickwinkel eingenommen, der mir zeigte, dass die Besonderheit von Trischen nicht nur in den großen Vogelschwärmen liegt, sondern auch im Verborgenen. Man muss nur die Perspektive wechseln, um einen ganz anderen Kosmos zu entdecken.

 

Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike Espenschied

 

Ein Hauch von Spätsommer

Ein Hauch von Spätsommer

Es ist Anfang August – die Zeit vergeht wie im Flug. Trotz vieler Regentage liegt der Spätsommer spürbar in der Luft. Das markante Rufen der Rotschenkel ist inzwischen dem gleichmäßigen Zirpen der Heuschrecken gewichen. Die Jungmöwen, die wir vor ein paar Wochen beringt haben, sitzen nun unter den anderen Möwen am Strand. Nur ihr dunkelgraues Federkleid verrät, dass sie erst vor ein paar Monaten aus einem Ei geschlüpft sind. Es ist schön zu sehen, dass es doch einige der Küken geschafft haben groß zu werden.

Auch die nordischen Brutvögel kehren zurück. Tausende Alpenstrandläufer und Knutts sind wieder im Wattenmeer angekommen. Manche von ihnen werden den ganzen Herbst und Winter hier verbringen – andere fressen sich auf dem reich gedeckten Tisch der Wattflächen ausreichend Fettreserven für den Weiterflug an.

Noch viel überwältigender sind die Zahlen der Brandgänse und Eiderenten, die sich zurzeit auf und um Trischen aufhalten. Zehntausende sind hier, um ihr Federkleid zu erneuern. Dieser Prozess wird mausern genannt. Brandgänse und Eiderenten vollziehen eine sogenannte Vollmauser. Dabei wechseln sie all ihre Federn in einem Zeitraum von wenigen Wochen, einschließlich der Schwungfedern, was bedeutet, dass sie mehrere Wochen lang flugunfähig sind. Gerade in dieser störungsempfindlichen Phase brauchen sie viel Ruhe und ausreichend Nahrung, was sie hier um Trischen vorfinden.

Auch die Salzwiesen zeigen sich von ihrer schönsten Seite: Der Strandflieder steht in voller Blüte und taucht ganze Flächen in ein sanftes Lila. Mein aus Treibholz gebautes „Lockgebüsch“, vom Hüttenfenster aus gut sichtbar, wird inzwischen wieder regelmäßiger von Singvögeln aufgesucht. Besonders der Fitis macht derzeit häufig Halt – mal nur für eine Nacht, manchmal auch für mehrere Tage. Die Überwinterungsgebiete des Fitis liegen südlich der Sahara. Um diese Strecke zu bewältigen, ist der 8 Gramm schwere Vogel mit etwas längeren Flügeln als seine Schwesternart, der Zilpzalp, ausgestattet und verlässt seine Brutgebiete auch früher.

Zu Hochwasser sitze ich momentan am liebsten an der Südspitze, gut versteckt in den Dünen. Von dort aus lassen sich die rastenden Watvögel besonders gut beobachten. Ich konnte schon einige beringte Individuen ablesen – und auch ein paar besondere Gäste entdecken: Ein Sumpfläufer war dabei, und sogar einen ungewöhnlich weißen Austernfischer konnte ich entdecken.

Es ist schön sich wieder freier auf der Insel bewegen zu können, durch die Salzwiesen zu streifen und sich auch mal irgendwo in die Dünen zu setzten,ohne einer Schar an warnenden Brutvögeln über sich zu haben.

 

Bis bald,
Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike Espenschied

 

(Nichts) neues von Familie Sandregenpfeifer: Eine schwierige Brutsaison geht zu Ende

(Nichts) neues von Familie Sandregenpfeifer: Eine schwierige Brutsaison geht zu Ende

Die letzten Wochen auf Trischen waren einerseits von vielen schönen Beobachtungen geprägt: Immer wieder konnte ich junge Rotschenkel mit ihren blassorangenen Beinen bei der Nahrungssuche im Watt beobachten. Die Weißwangengänse watschelten mit ihren frisch geschlüpften Küken im Gänsemarsch durch die Salzwiesen. Jetzt ein paar Wochen später sind die kleinen schon richtig groß geworden und es wird nicht mehr lange dauern bis sie ihre ersten Flugversuche unternehmen. Auch einen großen Brandgans-Kindergarten kann ich immer wieder von der Hütte aus beobachten. Brandgansweibchen teilen sich die Aufsicht über den Nachwuchs und bilden Gruppen mit mehr als 100 Küken. Auf Trischen habe ich bis jetzt „nur“ einen Kindergarten mit 24 Küken gezählt. Auch junge Austernfischer flitzten durchs Watt, begleitet von warnenden Eltern. Und selbst bei den Löfflern scheint es nach einem schwierigen Start nun doch Nachwuchs zu geben – Anfang Juli sind die ersten Küken geschlüpft.

Wenige Tage alte Löffler-Küken im Nest

Andererseits gab es für viele Brutvögel große Schwierigkeiten. Im Mai hatte ich bereits über die ersten Sandregenpfeiferküken berichtet (zum Artikel). Leider konnte ich sie schon eine Woche später trotz intensiver Suche nicht mehr entdecken. Auch bei einem zweiten Sandregenpfeiferpaar, das Nahe der Hütte brütete, blieben zwei Brutversuche erfolglos.
Und sie waren nicht die Einzigen mit Schwierigkeiten: Küsten-, Fluss- und Zwergseeschwalben begannen spät und zögerlich mit der Brut. Es waren deutlich weniger Paare als in den Vorjahren, die Kolonien fielen kleiner aus – und bis Ende Juni waren sie ganz aufgegeben, ohne dass ein Bruterfolg verzeichnet werden konnte.
Die Lachmöwen gaben nach drei Brutversuchen bereits Mitten Juni auf. Bei den Löfflern schien es im Mai ebenfalls so, als würde es dieses Jahr keinen Nachwuchs geben. Doch wie eingangs erwähnt, sind nun doch einige Küken geschlüpft.
Ein ernüchterndes Bild zeigte sich auch bei der Beringung der Silber- und Heringsmöwenküken vor rund zehn Tagen (zum Artikel): Wir fanden viele recht magere und einige tote Küken vor.

Doch warum verlief die Brutsaison 2025 auf Trischen scheinbar so schlecht?

Ein Teil-Landunter in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni kann als Ursache weitestgehend ausgeschlossen werden – zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten Koloniebrüter bereits aufgegeben.
Stattdessen deuten viele Beobachtungen auf einen Nahrungsmangel als zentralen Grund hin. Untersuchungen ergaben, dass im Frühjahr kaum kleine Heringe im Wattenmeer zu finden waren, was aber die wichtigste Nahrung für den Nachwuchs der Küsten- und Flussseeschwalben darstellt (Thünen-Institut für Ostseefischerei). Das könnte die Seeschwalben dazu bewogen haben, die Bruten abzubrechen bzw. gar nicht erst anzufangen.
Auch bei den Silber- und Heringsmöwen gab es Hinweise auf Nahrungsmangel: Zum einen die mageren und toten Küken bei der Beringungsaktion. Zum anderen bei der Nahrungswahl: Beide Arten hatten es dieses Jahr vermehrt auf die Gelege der Lachmöwen und Löffler abgesehen. Das brachte die Lachmöwen vermutlich zur Aufgabe der Kolonien und die Löffler zu einer sehr späten Zweitbrut. So fand ich auch viele ausgefressene Weißwangengansnester vor.

Normalerweise ernähren sich Silbermöwen im Watt von Krebsen und Fischen, Heringsmöwen jagen auf der offenen See. Beide Arten nutzen auch Äcker und Wiesen auf dem Festland zur Nahrungssuche. Doch das Frühjahr war sehr trocken, was auch dort die Nahrungssituation verschlechtert haben dürfte. Möglicherweise kam ein zusätzlich schlechtes marines Nahrungsangebot hinzu.

In der Folge scheinen sie ihren Nahrungsbedarf dieses Jahr verstärkt durch Eier und Küken anderer Brutvögel (und untereinander) gedeckt zu haben – mit sichtbaren Konsequenzen: Brutaufgaben oder sehr geringer Bruterfolg bei vielen Arten. Für diesen Zusammenhang gibt es bisher keine wissenschaftlich gesicherten Belege und die Auswertung der Brutvogelkartierungen sind noch nicht abgeschlossen, doch wurden ähnliche Entwicklungen auch andernorts beobachtet: In anderen Möwenkolonien des Wattenmeeres war der Bruterfolg ebenfalls auffallend gering. Auf Norderoog, wo sich eine der letzten Brandseeschwalbenkolonien Deutschlands befindet, brütete dieses Jahr erstmals seit 100 Jahren kein einziges Paar (siehe Fernsehbeitrag und Verein Jordsand).

Mit großer Wahrscheinlichkeit landete auch der Nachwuchs der Sandregenpfeifer in einem Möwenmagen. Doch die Silber- und Heringsmöwen dürfen deshalb nicht als Bösewichte verurteilt werden. Auch sie sind abhängig vom Nahrungsangebot und wollen ihren Nachwuchs durchbringen. Ihr Verhalten folgt biologischen Notwendigkeiten, nicht menschlichen Maßstäben.

Weißwangengänse mit Nachwuchs

Es stimmt mich nachdenklich, dass selbst auf einer Insel wie Trischen, auf der viele Störfaktoren wegfallen, der Bruterfolg so gering ausfällt.

Ob sich die Situation im kommenden Jahr verbessert, bleibt offen. Es hat immer Jahre mit geringen Bruterfolgen gegeben – natürliche Schwankungen sind normal. Doch wenn sich die marine Nahrungsverfügbarkeit dauerhaft verschlechtert oder sich Entwicklungszyklen verschieben muss früh genug gehandelt werden.

Die systematische Erfassung der Brutvögel auf Trischen liefert wichtige Daten zu Bestandsentwicklungen.  Die Daten können helfen Negativtrends früh zu erkennen und als Grundlage für weitere Bemühungen und Schutzziele im Lebensraum Wattenmeer beitragen.

 

Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike Espenschied