NABU-GAP-Ticker: Können wir uns Umweltschutz in der Agrarpolitik jetzt noch leisten?

NABU-GAP-Ticker: Können wir uns Umweltschutz in der Agrarpolitik jetzt noch leisten?

Im letzten Beitrag haben wir beschrieben, wie sich die gegenwärtige Corona-Pandemie auf den Reformprozess der GAP in den Brüsseler Institutionen auswirkt. Es mehren sich nun die Anzeichen, dass manche Akteure die Krise nutzen wollen, um unliebsame Umweltauflagen und Förderprogramme über Bord zu werfen. Bereits jetzt wird aus verschiedener Richtung entsprechend argumentiert, dass der Klima- und Naturschutz zurückstecken müsse, um den Kampf gegen das Virus nicht zu blockieren. Gerade die Landwirtschaft sei wegen der Erzeugung von Lebensmitteln jetzt so „systemrelevant“, dass man sich höhere Umweltambitionen nicht leisten könne.

Die unliebsame Greta – von der Bühne verschwunden?

Der einflussreiche Südtiroler EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann von der EVP (die Parteienfamilie der CDU/CSU) gab in einem Interview gegenüber Politico zu verstehen, dass für ihn Greta Thunberg „nun von der Bühne verschwunden“ sei und man in der Agrarreform „neu denken“ müsse. So forderte die EVP kurz darauf die Verschiebung des European Green Deal und der für das Frühjahr angekündigten Lebensmittelstrategie („Farm to Fork“) der EU, in der es auch um Pestizidreduzierungen gehen wird. Die EU-Agrarminister fordern nach ihrer Videokonferenz letzte Woche, geltende Umweltauflagen (innerhalb des sogenannten Greenings) auszusetzen. Ein weiteres Beispiel sind der Deutsche Bauernverband und die Protestbewegungen „Land schafft Verbindung“, welche letzte Woche mit den „Corona-Argument“ massiv Druck auf die Politik ausübten, um im Bundesrat einen Aufschub der Verschärfung der Düngeverordnung zu erzwingen, letztendlich glücklicherweise ohne Erfolg.

Diese Liste lässt sich weiter fortsetzen. Das Narrativ ist bei allen Vorstößen sehr ähnlich: Umweltauflagen gefährdeten die Ernährungssicherheit, weil sie Landwirte bei der Versorgung der Bevölkerung behindern würden. Während also auf der einen Seite zu Recht bekräftigt wird, dass die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert sei und kein Anlass für Hamsterkäufe bestehe, wird doch immer wieder mit den Ängsten der Menschen vor den leeren Regalen gespielt, um den Umweltschutz in die Defensive zu bringen. Selbst die Bundeslandwirtschaftsministerin kann dieser Versuchung nicht immer widerstehen. Können wir uns also Umweltschutz in der Agrarpolitik jetzt nicht mehr leisten?

Versorgungslage und Reformbedarf

Wie es um die Versorgungssicherheit und mögliche Auswirkungen der Corona-Krise steht, hat Prof. Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Universität Rostock kürzlich sehr ausführlich skizziert. Er sieht die Hauptherausforderung bei der Verfügbarkeit von Saisonsarbeitskräften, gerade im Bereich des Obst- und Gemüsebaus. Betriebe, die hierfür Lösungen finden, könnten dann aber sogar von steigenden Preisen profitieren. Beim Getreide seien eher geringe Probleme zu erwarten.

Vor allem bei Gemüse und Obst ist Deutschland auf Importe angewiesen. www.bmel-statistik.de/ernaehrung-fischerei/versorgungsbilanzen/

Es erschließt sich nicht wirklich, warum die seit Jahrzehnten angemahnten Beschränkungen beim Ausbringen von Gülle jetzt die Lebensmittelsicherheit gefährden sollten. Im Gegenteil – gemeinsam mit über 3600 Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft hat Prof. Lakner vor wenigen Wochen grundlegende Reformen der EU-Agrarpolitik angemahnt. Denn diese versage bei der Lösung der Umweltprobleme der Landwirtschaft. Daran ändert auch das Corona-Virus nichts. Ohne die Eindämmung der Erderhitzung und den Stopp des Insektensterbens wird unsere Landwirtschaft immer krisenanfälliger. Die nächsten Dürreperioden sind vorprogrammiert, mit dem Artensterben verarmen die Böden und sinkt die Widerstandskraft gegen Schädlinge. Krisen sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, sie müssen klug gemeinsam adressiert werden.

Falsche Impulse könnten die nächste Krise auslösen

Es ist richtig und wichtig, dass momentan alle Aufmerksamkeit auf Maßnahmen für die Bewältigung der Corona-Pandemie liegt, dazu gehört auch die Gewährleistung der Lebensmittelversorgung, einschließlich Produktion, Transport und Einzelhandel. Wie viele Unternehmen anderer Branchen benötigen sicher auch manche landwirtschaftliche Betriebe, die in ökonomische Not geraten, kurzfristig finanzielle Unterstützung. Als nächsten Schritt muss es auch für die Landwirtschaft Impulse für eine nachhaltige Erholung von der Krise geben. Es wäre jedoch höchst fahrlässig, wenn diese Impulse nicht in Richtung Klimaneutralität und Naturverträglichkeit weisen würden. Jetzt besteht die Chance für viele Betriebe, mit staatlicher Hilfe in eine Umstellung zu investieren, die ohnehin ansteht. Gerade kleine und mittlere Betriebe sind auf Investitionshilfen angewiesen, wenn sie lebensfähig bleiben wollen in einem Europa, das den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln stärker reguliert und das seine Auflagen bei Natur- und Tierschutz zwangsläufig erhöhen wird. Wenn jetzt eine „Corona-Pause“ beim Umweltschutz durchgesetzt wird, oder gar kontraproduktive staatliche Anreize gesetzt werden, dann geht Planungssicherheit für Investitionen verloren. Denn Greta wird mit ihren unbequemen Nachrichten die Bühne wieder betreten.  Dann droht die nächste Krise, eine Krise der Betriebe. Sie haben es dann um so schwerer, denn das Steuergeld für ein sozialverträgliches ökologisches Umsteuern könnte dann nicht mehr da sein.

In dem Zusammenhang muss die Gemeinsame Argarpolitik der EU (GAP) mehr denn je ihren Beitrag leisten. Anstatt die Landwirte in einem Subventionssystem gefangen zu halten, das weder auf soziale Bedürftigkeit noch auf konkrete Leistungen für die Gesellschaft Rücksicht nimmt. sollten die jährlich fast 60 Milliarden Euro der GAP für eine nachhaltige Transformation eingesetzt werden. Können wir uns in der jetzigen Lage Umwelt- und Naturschutz in der Landwirtschaft also noch leisten? Wir können es uns nicht leisten, jetzt darauf zu verzichten!

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titefoto: Europäische Union 2013

2 Kommentare

Martin Schmidt

29.03.2020, 13:18

Vielen Dank für diesen sehr wichtigen Blick auf Landwirtschaft in Zeiten der aktuellen Krise. Eine Krise lässt sich dann am besten meistern, wenn sie als Boost für längst überfällige Reformen genutzt wird.

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Guido Sistermans

07.10.2020, 10:02

Hallo Martin, stimme die bedingungslos zu

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