Update zum EU Nature Restoration Law

#RestoreNature Unterschriftenübergabe an Steffi Lemke, 19.06.2023

Umweltrat hat abgestimmt, jetzt entscheidet das Europäische Parlament

Liebe Leserinnen und Leser, es ist gefühlt der hundertste Naturschätze.Retten-Blogbeitrag, den ich zum Nature Restoration Law, also der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, verfasse. Wir befinden uns auf den letzten Metern des EU-Gesetzgebungsverfahrens. Die Lage hat sich zugespitzt, wie Sie den Medien entnehmen konnten. Deswegen gibt es hier von mir heute erneut ein Update zu diesem Schlüsselgesetz für die Natur, das zugleich Teil des Europäischen Green Deals ist.

I. Umweltrat positioniert sich fürs Nature Restoration Law

Tweet mit Abstimmverhalten der einzelnen Mitgliedstaaten. Im Bild: die schwedische Umweltministerin.

Einer der beiden Co-Gesetzgeber der Europäischen Union, der Rat, hat sich positioniert. Am 20. Juni stimmten die Umweltminister*innen der EU-Mitgliedstaaten einer „allgemeinen Ausrichtung“ zu, der Ratsposition zum EU-Renaturierungsgesetz (hier der englische Text des Rates). Zwar gab es auch im Rat intensive Debatten, diese waren aber nicht von Falschmeldungen und Populismus geprägt.

Der Umweltrat hat ein paar „Verwässerungen“ am Kommissionsvorschlag des Nature Restoration Law (NRL) vorgenommen. Trotzdem findet sich die Grundstruktur und wichtiger Gehalt des Kommissionsvoschlags im Ratstext immer noch wieder. Diese Positionierung sendet ein wichtiges Signal, denn der Rat ist in der Regel weniger progressiv als das Europäische Parlament wenn es um Umweltrecht geht. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten die Gesetze letztendlich umsetzen, prüfen also umso genauer, ob die Vorschläge mit der nationalen Brille realistisch sind.

Wir vom NABU hatten die Rats-Einigung begrüßt, trotzdem auch kritisiert, dass wir gar nicht mehr über wichtige Ambitionslücken des Kommissionsvorschlags sprechen (hier unsere Pressemitteilung). Diese finden sich z.B. im wenig effektiv ausgestalteten Ziel für freifließende Flüsse (in Artikel 7 NRL), in der wenig vollzugsfreundlich formulierten Vorgabe für Landschaftselemente (in Art. 9 Abs. 2 NRL), oder in der nicht ausreichend ambitionierten Vorgabe für Moore (in Art. 9 Abs. 4 NRL).

 

II. Patt im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments

Der für dieses Dossier federführende Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hatte seine Abstimmung am 15. Juni am Rande der Plenarsitzung in Straßburg begonnen. Abgestimmt wurde über die gemeinsamen Kompromissanträge der Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken, sowie zahlreichen einzelnen Änderungsanträgen unter anderem der Europäischen Volkspartei (EVP). Die Europäische Volkspartei hatte sich zuvor aus den Verhandlungen zurückgezogen und angekündigt, das Gesetzesvorhaben pauschal abzulehnen (siehe auch unseren letzten Blogbeitrag hierzu von vor der Sitzung in Straßburg).

Namentliche Abstimmung über einen der wenig fortschrittlichen Änderungsanträge. Die EVP-Abgeordneten (in gelb hervorgehoben „ausgetauschte“ MdEPs) stimmten mit der rechtskonservativen ECR- und der rechtsnationalistischen ID-Fraktion.

In Straßburg wurde am 15. Juni zunächst über den Antrag der EVP abgestimmt, das Gesetz komplett zurückzuweisen. Dieser Antrag fand keine Mehrheit (44:44 Stimmen, insgesamt sind 88 Mitglieder stimmberechtigt im Umweltausschuss). Bei allem Ärgernis über das Blockieren der EVP: das war zunächst ein wichtiger Zwischenerfolgt, der zeigt, dass auch die EVP keine Mehrheit hat (unser Kommentar in der Pressemitteilung vom 15. Juni). Und das, obwohl die Fraktion ein Drittel der Umweltausschuss-Abgeordneten, die nicht „linientreu“ abgestimmt hätten, ausgetauscht hatte durch Stellvertreter*innen. Die Federführung für diesen Austausch liegt beim EVP-Umweltausschuss-Koordinator Peter Liese.

Sodann fanden aber auch die zahlreichen Kompromissvorschläge der „fortschrittlicheren“ Koalition aus Sozialdemorkaten, Liberalen, Grünen und Linken oftmals keine Mehrheit. Am Ende Stand ein löchriger und etwas willkürlicher Text aus einzelnen Kompromissvorschlägen und Änderungsanträgen. Das Abstimmen zog sich in die Länge, so dass die zeitlich befristete Ausschusssitzung insgesamt nicht reichte für die Abstimmung aller Änderungsanträge.

Der NABU war bei der Abstimmung am 27. Juni im Umweltausschuss in Brüssel dabei.

Die Abstimmung wurde deshalb am 27. Juni in der nächsten regulären Sitzung des Umweltausschusses fortgesetzt. Dort ging es etwas zügiger. An der Patt-Situation hatte sich aber nichts geändert. Insofern fanden die noch offenen Kompromissvorschläge ebenfalls keine Mehrheit. Nachdem durch die einzelnen Änderungsanträge gegangen war, wandte sich der Berichterstatter (der spanische Sozialdemokrat César Luena) nochmal an den Ausschuss, und betonte unter anderem, wie wichtig das Gesetz ist für die Ernährungssicherheit. Er warnte, dass die Abgeordneten nicht den Falschmeldungen glauben sollen, die im Umlauf sind, und dankte auch den Umweltverbänden für ihre Unterstützung.

Trotzdem reichte es in der dann folgenden finalen Abstimmung des Umweltausschusses nicht für eine Mehrheit, sondern erneut für das durch die EVP zu verantwortende Patt. Herr Peter Liese hatte bei der EVP erneut 8 Abgeordnete „ausgetauscht“, auch durch Mitglieder, die teils gar nicht im Umweltausschuss sind (v.a. durch deutsche Agrarausschuss-Abgeordnete). Auch der deutsche FDP-Umweltausschuss-Abgeordnete Andreas Glück stimmte, anders als der Großteil seiner RENEW-Fraktion, gegen die Kompromissvorschläge.

Die EVP stimmte damit übrigens bewußt im Einklang mit der rechtskonservativen ECR-Fraktion und der ID-Fraktion (der die AFD angehört). Die Brandmauer gegen Rechts scheint es für Manfred Weber und Peter Liese also nicht zu geben in Brüssel (einer der vielen guten guten Medienberichte hierzu ist dieser Kommentar in der Tagesschau).

 

III. Plenarabstimmung des Europäischen Parlaments am 11./12. Juli

Folge ist, dass der Bericht abgelehnt wurde, und nun formal als erstes im Plenum über die „Rejection“-Empfehlung des Umweltausschusses abgestimmt wird. Sodann können aber neue Änderungsanträge eingereicht werden, nicht mehr auf Basis des Berichts von César Luena, sondern direkt auf Basis des Kommissionsvorschlags. Das Taktieren der EVP hatte in der Sache deswegen (bisher) keinen Erfolg. Bei der Plenarabstimmung kann die EVP-Führung Abgeordnete auch nicht einfach „austauschen“ (aber natürlich anderweitig Druck ausüben).

Protest von NGOs mit dem Berichterstatter César Luena in Straßburg vor dem Parlament.

Die Frist fürs Einreichen der Änderungsanträge ist nun der 5. Juli. Bis dahin müssen die Fraktionen schauen, welche neuen Textvorschläge sie machen. Wir raten dazu, zumindest nicht hinter die Kompromissvorschläge zurückzufallen, die für den Umweltausschuss vorbereitet und von der fortschrittlicheren Koalition unterstützt wurden. Vereinzelt sollte das Parlament stattdessen über den Kommissionsvorschlag hinausgehen und wichtige Lücken schließen. Ein zu starkes Schielen auf die Position des Umweltrats bereits vor der Abstimmung im Plenum bzw. den Trilogverhandlungen stünde dem Parlament nicht gut, ist es doch eine eigenständige Institution. Die Ablehnung bisher lag nicht in der Sache (bzw. in einzelnem Gesetzeswortlaut) begründet, sondern folgte dem populistischen Wahlkampf-Kalkül vor allem der EVP, die am lautesten Stimmung gegen das Gesetz macht.

Am 11. Juli findet dann in Straßburg hoffentlich die Generaldebatte zum Nature Restoration Law statt. Die Abstimmung dürfte am 12. Juli erfolgen (vereinzelt fand sie sich aber auch schon für den 11. Juli auf Entwürfen der Tagesordnung). Natürlich ist das Datum nicht in Stein gemeißelt, die EVP könnte versuchen, mit prozessualen Tricks die Abstimmung weiter zu verzögern. Wir vom NABU planen trotzdem bereits unsere Reise nach Brüssel.

Wir appellieren erneut an alle Abgeordneten, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und für ein ambitioniertes EU-Renaturierungsgesetz zu stimmen. Nach jetzigen Erkenntnissen dürfte es wenn eine nur knappe Mehrheit geben. Aber: Populismus und Falschmeldungen über die angebliche „Enteignung“ von Landwirten oder die angebliche Beschränkung des Klimaschutzes (ein Witz: Klimaschutz erfolgt gerade durch Moor-Wiedervernässung) dürfen nicht siegen (hier findet sich ein ausführlicher Faktencheck auf Englisch zu den bekannten Vorwürfen).

Einen neuen Anlauf für das Nature Restoration Law wird es wegen der anstehenden Europawahl nicht geben. Es ist dringend Zeit für das Gesetz, auch um Dürren und Fluten zu bekämpfen, im Interesse der Menschheit!

 

Bisherigen Naturschätze.Retten Blog-Beiträgen zum Nature Restoration Law

Raphael Weyland
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