Auftakt für mögliche Zeitenwende: Das EU-Renaturierungsgesetz

Veröffentlichung des Nature Restoration Law. Graphik des Illustrators Seppo Leinonen, www.seppo.net.

NABU-Analyse: Der Kommissionsvorschlag einer EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur

Am gestrigen 22. Juni hat die EU-Kommission (federführend: Generaldirektion Umwelt bzw. Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius) ihr „Naturschutz-Paket“ des Europäischen Green Deals vorgestellt. Darin enthalten: a) der Verordnungs-Entwurf zur Wiederherstellung der Natur (aka das EU-Renaturierungsgesetz), und b) eine Überarbeitung der EU-Pestizid-Gesetzgebung (diese stellt der NABU in einem gesonderten Blogbeitrag vor). Mit diesem Naturschätze.Retten-Blogbeitrag gebe ich Euch und Ihnen einen ersten Überblick über das geplante EU-Renaturierungsgesetz (unsere gestrige Pressemitteilung hierzu findet sich hier). Beide Entwürfe müssen wir in den kommenden Wochen natürlich noch gründlicher analysieren (eine erste Möglichkeit zur Diskussion gibt es beim Deutschen Naturschutztag 2022, wo ich Donnerstag Nachmittag im Forum VIII hierzu referiere).

Was bedeutet der Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Wiederherstellung der Natur nun, was steht drin und wie geht’s weiter?

Worum geht’s?

  • Schützen alleine reicht nicht mehr, die Zerstörung der Natur schreitet voran. Deswegen müssen müssen in die (aktive/passive) Wiederherstellung einsteigen. Das schon in der letzten Biodiversitätsstrategie 2020 vorhandene Ziel zur Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen lief aber praktisch leer. Deswegen hatte die EU-Kommission in der auf den Green Deal folgenden Biodiversitätsstrategie 2030 verbindliche Renaturierungsziele angekündigt (siehe hierzu meinen Blogbeitrag). Der Entwurf war ursprünglich für Herbst 2021 vorgesehen, sollte dann März 2022 erfolgen, und war (unter dem Druck der Agrar-/Forst-/Energie-Lobby mit falschem Narrativ der Ernährungssicherheit wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine) nochmals verschoben worden (auch hierüber habe ich im Blog berichtet).
  • Dass der Kommissionsvorschlag nun endlich veröffentlicht wurde, ist ein wichtiges Signal, das wir ausdrücklich begrüßen. Wir hatten zuletzt befürchtet, dass ganze Unterziele (etwa zu Mooren/Wäldern) unter dem Druck der Agrar-/Forstlobby rausfallen. Dem ist nicht so. Zwar erfolgten vereinzelt Abschwächungen, an anderen Stellen wurden aber auch Nachschärfungen im Wortlaut vorgenommen. Mit diesem Entwurf kann die EU übrigens auch bei den Verhandlungen eines globalen Weltnaturabkommens ein Zeichen setzen, und reist nicht mit leeren Händen an.
  • Auch wenn wir mit unseren EU-Partnerverbänden eine andere, weniger detailliert-technische Herangehensweise gewählt hätten als die EU-Kommission, und der Entwurf diverse Schwächen enthält: nach unserer Einschätzung stellt der Vorschlag einen Meilenstein für den Naturschutz dar, der zu vielfältigen Maßnahmen in den Mitgliedstaaten führen dürfte, sollte er so verabschiedet werden.

 

Was besagt das Gesetz?

  • Zunächst enthält der Verordnungsentwurf (in Art. 1 Abs. 2) ein EU-übergreifendes (nicht Mitgliedstaaten-scharfes) flächengebundenes Oberziel, das besagt, dass alle im Gesetz genannten Maßnahmen zu einer Wiederherstellung auf 20% der EU-Fläche beitragen sollen (dieses hat m.E. aber eher indikative Wirkung, ist also nicht „einklagbar“).
  • Sodann folgen (in den Art. 4-10) zeitgebundene Unterziele mit den konkreten Renaturierungs-Vorgaben für verschiedene Ökosysteme etc. Diese sind teils flächengebunden, teils maßnahmengebunden, teils nur in Zielform verfasst.
    • Eines der wesentlichen Unterziele gilt terrestrischen/Küsten-/Süßwasser-Ökosystemen: Renaturierungsvorgaben erfolgen für solche in Anhang I der FFH-RL genannte Habitate. Auf 30% dieser nicht in gutem Zustand befindlichen Flächen sollen Maßnahmen durchgeführt werden bis 2030, auf 60% bis 2040, auf 90% bis 2050. Grundsätzlich sollen diese Maßnahmen die Konnektivität verbessern. Diese Vorgabe dürfte gewisse Überschneidungen mit bestehenden Natura 2000 – Management-Vorgaben enthalten, aber auch neue Verpflichtungen mit sich bringen.
    • Ähnliches gilt für marine Ökosysteme: auch wenn diese unter Verweis auf Anhang II des Verordnungsentwurfs definiert werden, gelten ähnlich gestaffelte Renaturierungsvorgaben. Hier dürfte ein Grundproblem sein, ob Art. 11 Grundverodnung der Gemeinsamen Fischereipolitik diese künftigen Renaturierungsmaßnahmen tatsächlich erlaubt (was man mit lex specialis und posteriore durchaus argumentieren kann).
    • Ein kurzes Unterziel besteht für Grünflächen in urbanen Räumen: Dort finden sich Vorgaben u.a. zum Baumbestand etc.
    • Der Entwurf sieht ein gesondertes Unterziel für Fließgewässer vor: Dieses enthält die Vorgabe, ein Inventar mit Dämmen, die die Durchgängigkeit beeinträchtigen, zu erstellen, und sodann im Renaturierungsplan festzulegen, welche davon entfernt werden, um zum EU-Gesamtziel beizutragen, 25.000 km freifließende Flüsse zu bekommen.
    • Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Zielvorgabe zur Trendumkehr von Bestäubern. Vermutlich dürfte die geplante Novelle der Pestizidgesetzgebung aber mehr zum Schutz der Bestäuber beitragen.
    • Detaillierte Renaturierungsvorgaben sind außerdem vorgesehen für die Agrarlandschaft: Hier wird regelungstechnisch auf gewisse Indiktatoren verwiesen, deren Zustände zu verbessern sind, etwa zu artenreichen Landschaftselementen. Bezüglich diesem wurde in letzter Minute die Nennung der 10%-Vorgabe (aus der EU-Biodiversitätsstrategie) gestrichen, findet sich kryptisch an anderer Stelle aber ansatzweise wieder. Ein weiterer Block innerhalb des Agrar-Artikels gilt Mooren. Hier besteht die Vorgabe, auf 30% der Moorflächen in der Agrarlandschaft (Forstfläche leider nicht einbezogen) Renaturierungsvorgaben bis 2030 umzusetzen, 1/3 davon durch Wiedervernässung. Allerdings kam in letzter Minute ein kryptischer Satz zum Torfabbau hinzu, der insofern als Abschwächung gelesen werden kann, also dort auch alternative Renaturierungsmethoden möglich sein sollen.
    • Zudem finden sich Vorgaben für Waldökosysteme: zwar fehlt es an „Schutzvorgaben“ (wie diese bereits in der EU-Biodiversitäts- oder Waldstrategie genannt sind), dafür bestehen Bewirtschaftungs-Vorgaben im Hinblick auf Totholz.
  • Steuerungstechnisch sollen diese Ziele dadurch erreicht werden, dass Mitgliedstaaten innerhalb von 2 Jahren ab Inkrafttreten der Verordnung einen nationalen Renaturierungsplan (ähnlich dem GAP-Strategieplan) erstellen. Dieser wird dann von der Kommission kommentiert und ggf. erfolgt Aufforderung zur Nachbesserung. Bei der Erstellung des nationalen Renaturierungsplans soll die Zivilgesellschaft einigebunden werden.

 

Wie geht’s weiter?

  • Nun startet das reguläre EU-Gesetzgebungsverfahren im (Umwelt-)Rat und im Europäischen Parlament. Nachbesserungen erhoffen wir uns vor allem durch das Europäische Parlament: hier wird vor dem Sommer zunächst die Frage der Berichterstatter*innen etc. geklärt. Nach der Sommerpause dürfte dann die inhaltliche Befassung mit dem Entwurf losgehen.
  • Insgesamt dürfte sich das Gesetzgebungsverfahren 1-2 Jahre hinziehen, bis die finale Positionen der Ko-Gesetzgeber gefunden und diese dann im Trilog zu einer Gesamtposition verhandelt sind. Wenn mit dieser dann das Renaturierungsgesetz in Kraft tritt, ist es, da es sich um eine EU-Verordnung und nicht um eine Richtlinie handelt, unmittelbar verbindlich.
  • Für die Erstellung des Renaturierungsplans ist im Entwurf eine Frist von 2 Jahren ab Inkrafttreten des Gesetzes vorgesehen. Insgesamt sollte die Bundesregierung und auch die Länder aus unserer Sicht aber bereits während dieser Zeit parallel anfangen, die planerischen Grundlagen zu setzen und sich auch über die „Umsetzungs-Governance“ im Föderalismus Gedanken zu machen.

Wer nun tiefer in die Details einsteigen möchte: hier findet sich der Gesetzesentwurf (auf Englisch; der eigentliche Gesetzestext beginnt auf Seite 33). Meine abschließende Bitte: Lasst uns gemeinsam diesen wichtigen Meilenstein zum Erfolg führen, um endlich die Trendumkehr in der Naturkrise einzuleiten!

Raphael Weyland
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3 Kommentare

Ulrich Me. Sorg

14.07.2022, 21:05

Wenn sich jetzt die Agrarförderung nicht grundlegend ändert, dann tritt das ein, wie die österreichische Klimaaktivistin Katharina ROGENHOFER ihr jüngst vorgelegtes Buch überschrieb: ÄNDERT SICH NICHTS _ ÄNDERT SICH ALLES

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Raphael Weyland

15.07.2022, 11:25

Deswegen arbeiten wir ja u.a. auch separat zum Thema Agrarförderung (GAP). Aber die Bretter sind dick, bitte alle mithelfen. Und: die EU-Renaturierungsverordnung geht ja über Agrar-Ökosysteme hinaus, wird also auch jenseits der GAP Wirkung erzielen können wenn umgesetzt.

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Hartmut Wittenberg

25.04.2023, 08:40

Schutz der Biodiversität beginnt immer bei der Landwirtschaft. Hierfür werden Moore trocken gelegt, Hecken und Brachflächen vernichtet. Selbst hier im Oberbergischen, wo es fast nur Grünland gibt, wird mit Gülle übermäßig gedüngt und mit schnell rotierenden Mähern die insektenwelt regelrecht geschreddert (mein Nachbar ist Imker und bemerkt eindeutig an der Stärke der Völker, wann die anliegende Wiese gemäht wurde). Was macht der grüne Landwirtschaftsminister? Keiner will sich mit der Landwirtschaft anlegen. Das war früher vor allem die CSU aber heute muss endlich mehr getan werden gegen diese Vernichter der natürlichen Umwelt. Weniger Milch und Fleisch, mehr gesunde Lebensmittel und eine Landschaft, die nicht geprägt ist von Kunststoffballen und Maisfeldern.

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