EU-Strategien ambitionierte Blaupausen für Schutz der Biodiversität

Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Foto: Europäische Union 2016.

Die NABU Einzelbewertung: EU-Biodiversitätsstrategie und Farm-to-Fork-Strategie

Am Mittwoch hat die EU-Kommission die ursprünglich bereits für den 26. Februar angekündigten zwei Strategien vorgestellt (zur Verzögerung siehe z.B. diesen Naturschätze-Retten Blog). Diese sind Teil des Gesamtpakets des European Green Deals und sollen nichts weniger als die Europäische Union weltweit führend machen beim Schutz der Biodiversität und das Ernährungs- und Landnutzungssystem nachhaltig „vom Acker bis zum Teller“. In der ersten kurzen NABU-Pressereaktion waren wir uns mit vielen anderen Naturschützern einig: alles in allem ist der EU-Kommission ein großer und ambitionierter Wurf gelungen. Hier im Naturschätze.Retten-Blog analysiere ich für den NABU nun ausführlicher die Stärken und naturgemäß vorhandenen Schwächen der beiden Kommissionsmitteilungen und liefere eine Einzelanalyse der verschiedenen Ziele und Verpflichtungen. Außerdem zeige ich auf, wie es nun weitergeht. Der Text fällt deswegen etwas länger aus. Viel Spaß beim Lesen!

 

A. Massive Widerstände auf letzten Metern

Pressekonferenz der EU-Kommission am 20.05.2020, Standbild. Die Strategien werden wie üblich von den Kommissar*innen der federführenden Ressorts vorgestellt.

Bevor ich in die Inhalte einsteige, ein paar Einblicke hinter die Kulissen: in den letzten Tagen vor der Veröffentlichung gab es hier in Brüssel massive Widerstände gegen die beiden Strategien. Vor allem die Agrarlobby und die Forstlobby hatten sich gegen die im Vorfeld durch Leaks bekannt gewordenen Biodiversitätsziele ausgesprochen. Unter Beschuss standen zum Beispiel die geplanten biodiversitätsreichen Landschaftselemente in der Agrarlandschaft oder strenge Gebietsschutzvorgaben. Lobbygruppen hatten Minister*innen ihrer Mitgliedstaaten und hierüber auch verschiedene EU-Kommissar*innen auf ihre Seite gezogen (siehe z.B. diesen Tweet der Organisation FERN). Am Montagnachmittag gab es ein spezielles Kompromissfindungs-Treffen von Kommissarsmitarbeiter*innen. Dort wurden mutmaßlich auch Punkte wie die behauptete Gefährdung der Lebensmittelsicherheit diskutiert. Im Hinterkopf zu halten ist hierfür, dass die dort besprochenen Textentwürfe in den letzten Wochen bereits mehrfache abgeschwächt worden waren. Insgesamt blieb das Team rund um den Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans und den Umweltkommissar Virginius Sinkevicius bei vielen wichtigen Punkten sodann aber standhaft. Ich selbst habe in den Tagen vor der Veröffentlichung durchaus gespannt auf das Ergebnis dieser Kompromissfindung gewartet. Die dort finalisierten Texte wurden von den EU-Kommissar*innen bei der Kollegiumssitzung am Mittwoch früh angenommen, so dass die federführenden Ressorts die Strategien mit einem Paukenschlag am 20. Mai mittags veröffentlichen konnten.

 

B. Einordnung der beiden Strategien

Die beiden Dokumente stellen Mitteilungen der EU-Kommission an die anderen Europäischen Institutionen, insbesondere Rat und Europäisches Parlament, dar. Der Text der EU-Biodiversitätsstrategie umfasst mit Anhang (auf Englisch) 27 Seiten, die EU-Farm-to-Fork-Strategie mit beigefügten Aktionsplan 23 Seiten (Link zu den Dokumenten am Ende des Blogbeitrags). Gerade die EU-Biodiversitätsstrategie liest sich dabei auch sprachlich gut. Die wesentlichen Ziele und Verpflichtungen sind in Textkästen nach jedem Kapitel zusammengefasst, im Text selbst finden sich weitere Erläuterungen.

Was ist für die Bewertung nun zu bedenken:

  • Zunächst gilt es, beide Strategien gemeinsam als Gesamtpaket zu sehen. Verschieden Biodiversitätsziele mit Bezug zur Landwirtschaft werden beispielsweise in der EU-Biodiversitätsstrategie festgelegt und in der EU-Farm-to-Fork-Strategie aufgegriffen sowie weiter operationalisiert (z.B. das Pestizidreduktionsziel). Eine solche Kohärenz ist zu begrüßen.
  • Insgesamt ist festzustellen, dass die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie vielfach konkreter wirken und auch mit besserer Umsetzungskontrolle verbunden scheinen, als dies bei verschiedenen Zielen der Landnutzungs- und Lebensmittelstrategie der Fall ist (zum Beispiel bei den recht vage bleibenden Zielen zur Verringerung der Lebensmittelabfälle und eines nachhaltigeren Konsums von tierischen Produkten).
  • Der NABU hatte von Beginn an auf die große Schwäche des European Green Deals hingewiesen, die auch hier zum Tragen kommen: natürlich gelingt es über diese beiden Strategien nicht unmittelbar, andere wichtige Politiken der EU abzuändern. Die Verhandlungen der Verordnungsvorschläge zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) oder auch zum Europäischen Fischereifonds laufen an anderer Stelle weiter. Auch die Verhandlungen über den EU-Haushaltsrahmen (MFR) mögen durch ein Finanzierungsziel in den Strategien nicht direkt, aber hoffentlich indirekt beeinflusst werden. Gleiches gilt auch für die europäische Handelspolitik, die ebenfalls nicht direkt Teil des European Green Deals ist, obwohl sie enorme Auswirkungen auf die globale Biodiversität hat. Gleichwohl weißt die EU-Biodiversitätsstrategie am Ende ein Unterkapitel zum Handel auf und kündigt in diesem Zusammenhang Gesetzesinitiativen an. Bezüglich der GAP ist das Bemühen der EU-Kommission einer Mindest-Angleichung anzuerkennen: zeitgleich mit den beiden Strategien veröffentlichte sie ein Kommissionsarbeitsdokument, welches Mindestvorstellungen für die weitere Verhandlung der GAP formuliert, um ein Erreichen der Ziele des European Green Deals und der beiden Strategien sicherzustellen.
  • Insgesamt enthalten die beiden vorgestellten Strategien eine lange Liste an Einzelmaßnahmen und Verpflichtungen. Einige hiervon können echte „Gamechanger“ sein. Pestizidreduktion, Landschaftselement- und Biolandbau-Vorgaben beispielsweise haben das Potential, das bisherige Agrarsystem umzukrempeln. Erweiterung der Schutzgebietskulisse und Vorgaben für strengen Schutz haben gemeinsam mit konsequenteren Vertragsverletzungsverfahren das Potenzial, dem bisher oft nur schlecht gemanagten Gebietsschutz einen neuen Schub zu verleihen. Und eine Renaturierungs-Agenda, die sich auf einen neuen EU-Gesetzesrahmen stützt, macht die nötige Trendumkehr zumindest wahrscheinlicher.
  • Gerade weil es diese ambitionierten „Gamechanger“ trotz des massiven Widerstands verschiedener Akteure (unterstützt vor allem auch durch Politiker der konservativen Europäischen Volksparteien) in die beiden Strategien geschafft haben, ist ein großer Applaus in Richtung EU-Kommission angezeigt, bei allen möglichen Schwächen im Detail.

Wir Naturschützer tun nun sicher gut daran, uns auf solche „Gamechanger“ der Strategien zu konzentrieren, um unsere Energie nicht unnötig verpuffen zu lassen.

 

C. Die Einzelanalyse wichtiger Ziele und Verpflichtungen

Im Folgenden werden die Vorgaben beider Strategien gemeinsam betrachtet, untergliedert in 7 einzelne Unterthemen. Dabei wird ansatzweise die Gliederung der EU-Biodiversitätsstrategie aufgegriffen.

 

1. Natur- und Gebietsschutz

Logo des Schutzgebietsnetzes Natura 2000.

In Kapitel 2.1 der EU-Biodiversitätsstrategie finden sich zum Gebietsschutz folgende Verpflichtungen:

  • 30% der EU- Land- und Seefläche soll rechtlich geschützt werden bis 2030.
  • 1/3 hiervon, also 10% der EU-Land- und Seefläche, soll streng geschützt werden.
  • Diese Ziele beziehen sich zwar auf die EU insgesamt, aber jeder Mitgliedstaat soll faire Anstrengungen unternehmen. Ein besonderer Fokus soll auf Urwälder und naturnahe Wälder gelegt werden. Nähere Kriterien sollen in 2021 erarbeitet werden. Ist bis Ende 2023 absehbar, dass diese Ziele verfehlt werden, kann die EU-Kommission hierzu auch ein Gesetz erlassen.

NABU-Bewertung:

  • Aus NABU-Sicht ist es gut, die auf globaler Ebene bestehenden Verpflichtung des 30%-Gebietsschutz-Ziels aufzugreifen. Diese findet sich auch in der Position von BirdLife Europe. Die gesamte Fläche von 30% muss dabei wirksamen Schutz für die Biodiversität bieten, „Paperparks“ sind zu verhindern. Gerade im marinen Bereich hält der NABU dieses Flächenziel für wichtig.
  • Eine explizite Forderung nach 10% streng geschützter Fläche ist in der Position von BirdLife Europe nicht enthalten. Allerdings fordert BirdLife Europe im Rahmen des Renaturierungsziels eine Nutzungseinschränkung und strengen Schutz auf 15% der Fläche jedes Mitgliedstaats. Gehen mit diesem Ziel tatsächlich Nutzungsänderungen einher, liegt hierin ein großes Potenzial für die Natur.
  • Aus NABU-Sicht wäre ein pauschales Abstellen auf jeden Mitgliedstaat einfacher und schneller gewesen. Die Formulierung erlaubt aber, im Folgeprozess auf ungefähre Gleichverteilung der Schutzgebietsfläche zu drängen. Insgesamt scheint die gewählte „Governance-Struktur“ mit dem Vorbehalt späterer gesetzlicher Regelung sinnvoll.

Alles in allem sind diese Verpflichtungen positiv zu bewerten. In den nächsten Jahren steht hier viel Arbeit an, die Kriterien weiter auszuformulieren, am Prozess der Auswahl der Mitgliedstaaten mitzuwirken, und auf Umsetzung zu pochen.

 

2. Renaturierungs-Initiative

Tarbeker Moor Foto: NABU/Jens Kube.

Im Kapitel 2.2 findet sich unter dem Stichwort „Renaturierungs-Plan“ eine 14 Punkte umfassende Liste an Verpflichtungen und Zielen. Wichtige hiervon werde ich hier bewerten, die dort auch genannten Ziele mit Landwirtschafts- (und Fischerei-) Bezug gesondert.

  • In 2021 schlägt die EU-Kommission ein rechtlich verbindliches Renaturierungsziel Dieses stellt sicher, dass bis 2030 eine signifikante Anzahl der zerstörten und Kohlenstoffrelevanten Lebensräume wiederhergestellt sind.
  • Mindestens 25.000 Kilometer freifließender Flüsse sind bis 2030 renaturiert. Verschmutze Böden werden dekontaminiert.
  • Bis 2030 werden 3 Milliarden Bäume gepflanzt, unter voller Berücksichtigung ökologischer Kriterien. Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern haben einen ambitionierten Grünplan. Daneben finden sich in dem Katalog Vorgaben für Invasive Arten, Bestäuber, etc.

NABU-Bewertung:

  • Mit Birdlife Europe hat der NABU auf ein verbindliches Renaturierungsziel gedrängt. Die Ankündigung einer Gesetzesinitiative ist insofern ein großer Erfolg. Eine konkrete Zahl soll erst 2021 festgelegt werden. Der NABU hatte 15% der Land-/Seefläche jedes Mitgliedstaats vorgeschlagen.
  • Das Herunterbrechen des Renaturierungsziels auf verschiedene Lebensraumtypen scheint sinnvoll. Auch wenn die EU-Kommission insgesamt noch keine Zahl festlegen konnte, hat sie zumindest für Flüsse eine sehr messbare Kenngrößte vorgestellt.
  • Das reine Baumpflanz-Ziel findet sich nicht in der Position von BirdLife Europe. Der NABU weist darauf hin, dass es für die Natur sehr wichtig ist, passende Standorte und Baumarten zu wählen. Der Hinweis auf ökologische Standards ist eine erste Sicherheitsschwelle. Aus NABU-Sicht sind vor allem urbane und peri-urbane Lebensräume für Baumpflanzungen geeignet. Hier kann ggf. der separat genannte Grünplan ins Spiel kommen.

Alles in allem ist die Ankündigung einer Renaturierungsgesetzgebung positiv zu bewerten. Die Diskussion um die eigentliche Höhe des Ziels wurde auf 2021 verschoben, aber immerhin überhaupt eröffnet durch die Nennung in der Strategie.

 

3. Adressierung des Treibers Landwirtschaft

Gülle-Ausbringung. Foto: Zilles/Pixabay.

In vorgenannten Renaturierungs-Plan der EU-Biodiversitätsstrategie sowie aufgegriffen auch in der EU-Farm-to-Fork-Strategie finden sich verschiedene Vorgaben, die einen der wichtigsten Treiber des Biodiversitätsverlustes adressieren und entsprechend Auswirkungen auf die Landwirtschaftspolitik haben:

  • Die EU-Kommission wird Maßnahmen treffen, um bis 2030 die insgesamte Anwendung und die Gefahr von Pestiziden um 50% zu reduzieren und die besonders gefährlichen Pestizide um 50%. In sensiblen Bereichen wie urbanen Gegenden soll auf Pestizide gänzlich verzichtet
  • Es ist dringend nötig, auf mindestens 10% der landwirtschaftlichen Fläche artenreiche Landschaftselemente zurückzubringen, wie z.B. Blühstreifen, Hecken, etc. Die Mitgliedstaaten brechen die 10% auf regionale Ebene herunter, um Konnektivität der Lebensräume sicherzustellen.
  • Die EU-Kommission wird Nährstoffverluste bis 2030 um 50% reduzieren. Hierdurch soll die Menge an Düngemitteln bis 2030 um mindestens 20% reduziert werden.
  • Bis 2030 findet auf 25% der EU-Fläche Biolandbau
  • Die EU-Kommission bemüht sich, die Menge der Lebensmittelabfälle auf Ebene der Verteilung und des Verbrauchs bis 2030 zu halbieren.
  • Die EU-Kommission wird konkrete Empfehlungen an jeden Mitgliedstaat bezüglich der 9 spezifischen GAP-Ziele abgeben, bevor diese ihre Strategiepläne Hierdurch sollen die Ziele der EU-Biodiversitäts-/EU-Farm-to-Fork-Strategie und des European Green Deals sichergestellt werden.

NABU-Bewertung:

  • Auch wenn teilweise von Experten eine Reduktion um bis zu 80% gefordert wird: die EU-Kommission hat ein ambitioniertes Pestizidreduktionsziel vorgelegt und hierfür angekündigt, die bestehende SUP-Richtlinie über die nachhaltige Nutzung von Pestiziden anzupassen, allerdings erst nach 2023.
  • Mit den biodiversitätsreichen Landschaftselementen findet sich eine der wesentlichen Forderungen vom NABU (Space for Nature) ansatzweise in der Strategie wieder. Leider hat die EU-Kommission den Vorschlag, als Bezugspunkt den landwirtschaftlichen Betrieb zu wählen, nicht aufgegriffen. Dieser wäre leicht messbar gewesen und hätte insofern leichter umgesetzt werden können. Nun kommt es darauf an, das Ziel möglichst regional bzw. lokal herunterzubrechen, damit am Ende ein flächendeckender Biodiversitätsschutz erfolgt, und sich keine Verzögerungen aus langwierigen Saldierungs- und Kartier-Übungen ergeben.
  • Das Nährstoffüberschuss-Reduktionsziel ist wichtig und stimmt mit der Forderung in der Position von BirdLife Europe überein. Hier kommt es vor allem auf eine gute Operationalisierung an, damit das Ziel nicht leerläuft.
  • Gleiches gilt für das Ziel, den Biolandbau zu fördern (dieses fällt bei BirdLife Europe größer aus): auch hier muss die EU-Kommission schauen, dass sie es möglichst auf Mitgliedstaaten-Ebene herunterbricht und lineare Zwischenkontrollen durchführt, um ein Leerlaufen zu verhindern.
  • Das Ziel, Lebensmittelabfälle zu reduzieren, ist wichtig, denn dies berührt auch die Sicherheit der Lebensmittelerzeugung. Hier wird leider wenig konkret, wie dieses Ziel erreicht werden soll, gesetzliche Maßnahmen sind nicht angekündigt.
  • Auch wenn die Verknüpfung zur GAP die Schwächen der Struktur der GAP selbst nicht ausbügeln kann: immerhin zeigt die EU-Kommission, dass sie diejenigen Ziele, die über die GAP-Strategiepläne erfolgen sollen, auch gegenüber den Mitgliedstaaten einfordern wird. Ob sie hierzu dann die Zeit, Ressourcen und den politischen Willen aufbringt, bleibt abzuwarten.

Alles in allem finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte, um den Biodiversitätsverlust-Treiber Landwirtschaft anzugehen. Bezüglich einer Pestizidreduktion sind diese ambitioniert, hängen aber von der Zustimmung der anderen Institutionen zu einer Gesetzesänderung ab. Angesichts der NABU-Forderung nach Space for Nature ergab sich leider – auch im Vergleich zu Vorentwürfen der Strategie – eine Abschwächung, indem nicht auf den einzelnen Betrieb abgestellt wird. Hier ist nun in der Folgezeit darauf zu achten, dass ein möglichst lokaler Maßstab gewählt wird.

4. Marine Ökosysteme und Adressierung der Fischereiwirtschaft

Bestand z.B. des Dorsch erholt sich nur langsam. Foto: Rolf Jürgens.

Die Fischereiwirtschaft als Treiber des marinen Biodiversitätsverlustes selbst ist insgesamt weniger konkret adressiert in den beiden Strategien. Gleichwohl finden sich auch hier Vorgaben, die bei richtiger Umsetzung für spezifische Verbesserungen sorgen können.

  • Die EU-Kommission wird in 2021 einen neuen Aktionsplan Meeresschutz vorlegen, mit Schwerpunkt Fischereipraxis. Wo nötig soll eine Beschränkung für Grundschleppnetze und anderer Fanggeräte erfolgen.
  • Der Beifang von vom Aussterben bedrohter Arten soll beendet oder auf ein die Wiederherstellung ermöglichendes Maß reduziert werden. Dies gilt auch für Arten, die in schlechtem Erhaltungszustand sind. Hierfür soll die Datenerhebung gefördert werden.
  • Die EU-Kommission plant, neue Leitlinien für nachhaltige Meeresfrüchte-Gewinnung zu verabschieden, und hierüber auch auf den Europäischen Fischereifonds (EMFF) einzuwirken. Außerdem finden sich Vorgaben zur marinen Raumordnung, spezielle Hinweise auf Seesgras-Renaturierung, etc.

NABU-Bewertung:

  • BirdLife Europe hatte den gänzlichen Verzicht auf destruktive Fangtechniken gefordert. Wenn die EU-Kommission ernst machen mit der Beschränkung, wäre dies trotzdem ein erster großer Schritt.
  • Auch wenn die Beifang-Forderung nur eine Wiederholung bestehender Gesetzeslage ist, zeigt die EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten in der Praxis bisher nicht genügend unternehmen.
  • Die bisherige EMFF-Mittelverwendung ist nicht nachhaltig, sondern erlaubt auch destruktive Praktiken. Leitlinien werden daher begrüßt, fraglich ist aber ob dies tatsächlich ausreicht, bei der EMFF-Mittelvergabe umzusteuern.

Alles in allem findet sich im Bereich der Fischereiwirtschaft aus NABU-Sicht kein spezieller „Gamechanger“. Allerdings gilt, dass verschiedene allgemeine Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie gerade im Bereich mariner Ökosysteme eine äußerst positive Wirkung entfalten können. Dies gilt beispielsweise für das 30%-Gebietsschutzziel und insbesondere für den strengen Gebietsschutz, der bei naheliegender Interpretation auf Fangverbotszonen hinausläuft. Auch die Renaturierung von Seegrasflächen und der bessere Vollzug von EU-Umweltgesetzen ist für diese Lebensräume hilfreich.

 

5. Naturschutzfinanzierung

Die EU-Biodiversitätsstrategie geht in Kapitel 3.3.2 auch auf das Thema Finanzierung ein:

  • Um den Erfordernissen dieser Strategie unter anderem in Bezug auf die Investitionsprioritäten für Natura 2000 und die grüne Infrastruktur zu entsprechen, sollten jährlich mindestens 20 Mrd. Euro für Ausgaben zugunsten der Natur bereitgestellt werden.

NABU-Bewertung:

  • Die Zahl von 20 Mrd. Euro pro Jahr haben NABU/BirdLife Europe erstmals in die Debatte eingebracht, allerdings ausschließlich für das Management von Natura 2000. Klar ist, dass die neue Renaturierungs-Agenda hiervon nicht abgedeckt werden kann, denn bei entsprechenden Flächenzahlen kommen hier ganz andere Beträge zusammen. Was die Quellen angeht, bleibt die Strategie leider vage und spricht sich nicht klar für einen Fonds aus EU-Haushaltstiteln aus. Verständlich ist, dass die Strategie selbst nicht direkt Geld aus dem Mehrjährigen Finanzrahmens der EU bereitstellen kann.

Aus NABU-Sicht ist schade, dass die EU-Kommission nicht den Mut hatte, für das Thema Renaturierung Kosten und Nutzen weiter aufzuschlüsseln. Trotzdem ist es gut, dass die Strategie die Zahl von 20 Mrd. Euro pro Jahr aufgreift, denn immerhin lässt sich nun mit dieser Zahl bei der weiteren Diskussion um EU-Haushalt und Recovery Fonds sowie der Programmierung der verschiedenen EU-Fonds argumentieren.

 

6. Neues Monitoring-/Governance-Modell und Durchsetzung von EU-Recht

Im 3. Kapitel der EU-Biodiversitätsstrategie wird unter anderem auch auf Steuerungsfragen eingegangen:

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

  • Die EU wird einen neuen Governance-Rahmen einrichten, um das Erreichen von Biodiversitätszielen zu überwachen. Hierzu wird auch ein klares Bündel an Indikatoren verabschiedet. Diese Daten sollen die Verwaltungen unterstützen. Falls nötig soll hierfür nach 2023 auch ein gesetzlicher Rahmen verabschiedet werden.
  • Die EU wird auf die volle Um- und Durchsetzung insbesondere des Gebiets- und Artenschutzes der FFH- und Vogelschutzrichtlinie drängen. Hierzu wird sie eng mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, und auch die Funktion von Umweltverbänden als „Watchdogs“ würdigen.

NABU-Bewertung.

  • Das neue Governance-Modell scheint ein guter Ansatz, um eine regelmäßigere Kontrolle der Zielerreichung sicherzustellen. Auch wenn dies erst 2024 Gesetz werden könnte, scheint dies effektiver als eine bloße Halbzeitbewertung.
  • BirdLife Europe und der NABU drängen seit langem drauf, die schon bestehenden guten gesetzlichen EU-Vorgaben durchzusetzen. Die Nennung dieser Problematik durch die EU-Kommission ist zu begrüßen. Allerdings ist unklar, inwieweit die EU-Kommission selbst ihren relevanten Dienststellen das für Vertragsverletzungsverfahren nötig Personal zur Verfügung stellt.

Alles in allem geht die neue EU-Biodiversitätsstrategie auch bezüglich dieser Punkte neue Wege. Fraglich ist aber, ob die Kommissionsspitze den relevanten Dienststellen tatsächlich mehr Personal zur Verfügung stellt.

 

7. Beitrag zum Globalen Biodiversitätsschutz

Logo der Biodiversitätskonferenz CBD COP14.

Insgesamt kann die EU schon dadurch, dass sie mit den vorgenannten Zielen den Naturschutz auf ihrem Territorium voranbringt, wichtige Signale für ein Globales Biodiversitätsschutz-Abkommen post-2020 senden. Daneben hat die EU aber auch selbst Einfluss auf den globalen Biodiversitätsschutz, etwa durch ihren Import und Export von Produkten. Die EU-Biodiversitätsstrategie widmet diesem Bereich das Kapitel 4:

  • Die EU-Kommission verweist darauf, dass die Punkte dieser Strategie auch als Beitrag der EU für die globalen Verhandlungen bei der CBD COP 15 verstanden werden sollen. Wichtig ist ihr dabei, dass dort auch die Treiber adressiert werden, und es ein Umsetzungs-, Monitoring- und Überprüfungssystem gibt.
  • Im Bereich der Handelspolitik fällt vor allem die kurze Ankündigung von künftiger Gesetzgebung zu abholzungsfreien Lieferketten für 2021 auf.
  • Außerdem werden weitere internationale Abkommen angesprochen, etwa im Seevölkerrechtsbereich. Zu begrüßen ist auch die Forderung an die EU nach einem Moratorium im Tiefseebergbau.

NABU-Bewertung:

  • Zwar ist zu berücksichtigen, dass viele der ambitionierten Verpflichtungen noch von weiterer Maßnahmen und auch der Zustimmung der Mitgliedstaaten sowie der Umsetzung abhängen. Mit dieser Strategie muss sich die EU dennoch nicht bei den Verhandlungen der CBD COP 15 verstecken. Sie hat wichtige „Gamechanegr“ vorgeschlagen und teilweise auch angekündigt, diese später in Gesetzesform zu gießen. Außerdem zeigt die Betonung einzelner Aspekte für die globalen Verhandlungen, dass die EU einen wichtigen Schwerpunkt setzen möchte. Als erstes grobes Verhandlungsmandat sollte dies ausreichen.
  • Neue EU-Gesetzgebung, die sich der Abholzung von Produkten für Importe in die EU widmet, ist äußerst begrüßenswert.
  • Auch der NABU und die Position von BirdLife Europe spricht sich für ein Moratorium im Tiefseebergbau aus. Fraglich ist, ob einzelne Mitgliedstaaten sich von der eher appellhaften Formulierung tatsächlich beeinflussen lassen.

Alles in allem weist auch das Kapitel zur globalen Dimension einen guten Konkretisierungsgrad und ein Ambitionsniveau auf, was über die bisherigen EU-Biodiversitätsstrategien hinausgeht.

 

D. Wie geht es nun weiter

Wie eingangs beschrieben: bei den beiden Strategien handelt es sich um sogenannte Kommissionsmitteilungen. Dies bedeutet, dass die Papiere selbst nicht vom Europäischen Parlament und Europäischen Rat angenommen werden müssen. Beide Institutionen haben natürlich trotzdem das Recht, hierauf unverbindlich zu reagieren, und werden dies auch tun. Der Zeitplan für einen Bericht des Europäischen Parlaments ist noch nicht bekannt. Federführend dort dürfte vor allem der Umwelt- und Gesundheitsausschuss sein. Wahrscheinlich wird dieser auch mit zwei verschiedenen Berichten reagieren, weitere Ausschüsse – vor allem der Agrarausschuss – werden hierzu entweder ihre Meinung abgeben oder selbst einen Bericht verfassen wollen. Der Umweltrat wird unter Deutscher Ratspräsidentschaft vermutlich im Oktober Ratsschlussfolgerungen erlassen. Diese stellen einen guten Stimmungstest dar, sind selbst aber auch nicht verbindlich.

Wichtig ist, den positiven Impuls der Strategien aufzugreifen. Auch die anderen EU-Institutionen sollten den dringenden Handlungsbedarf zur Lösung der Biodiversitätskrise anerkennen. Die bisher vor allem vom Bauernverband geäußerte Kritik ist nicht gerechtfertigt. Die Strategien stellen keinen „Generalangriff“ auf die Landwirtschaft dar, sondern bieten der Landwirtschaft die Chance zur nötigen und gesteuerten Transformation. Wer grundsätzlich gegen Umweltziele ist, verschließt die Augen vor den beiden großen (Klima- und Biodiversitäts-) Zwillingskrisen. Wer nur auf freiwillige Maßnahmen setzt, ignoriert, dass diese die letzten Jahrzehnte ganz offensichtlich gescheitert sind. Auch verkennt der Bauernverband, dass es sich noch nicht einmal um direkte Umweltgesetze handelt, sondern eben „nur“ um Strategien (und natürlich hat die EU-Kommission angekündigt, „Impact Assesments“ durchzuführen für legislative Folgemaßnahmen). Die Ziele der Strategien brauchen wir als Leitplanken für zukünftiges Handeln. Die Corona-Krise lehrt uns gerade nicht, dass wir weiter abwarten könne. Vielmehr, dass wir zügig handeln müssen, auch um klimabedingte Dürren und biodiversitätskrisenbedingte Auswirkungen auf die Landwirtschaft abzumildern. Diesen Weg des wichtigen Wandels hin zum zukunftstauglichen Wirtschaften sollten wir gemeinsam gehen. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission und Mitgliedstaaten andere wichtige Politiken wie die bald folgenden neuen Vorschläge zum Mehrjährigen Finanzrahmen und zum „Recovery Funds“ kohärent mit den hier vorgestellten Zielen ausgestalten, um diese zu unterstützen.

Klar ist aber auch, dass die Arbeit im Grunde jetzt erst anfängt: dies gilt schon für die reine Vorschlags-Ebene seitens der EU-Kommission, schaut man sich die umfangreichen Maßnahmenkataloge in beiden Strategien an. Dies gilt aber vor allem auch politisch im Kräftedreieck aus EU-Kommission, Europäischem Rat und Parlament: nicht nur die Strategien selbst brauchen den nötigen Applaus, sondern vor allem die konkreten Folgemaßnahmen die Unterstützung von den Mitgliedstaaten. Hiernach folgt dann die Mammutaufgabe, die Einzelmaßnahmen in nationale Rechtsakte zu übersetzen und dann an die Umsetzung „on the ground“ zu gehen, also ans Ausweisen von neuen Schutzgebieten, Durchführen von Erhaltungs- und Renaturierungsmaßnahmen, etc. In Deutschland bekommen sicher auch schon bestehende Initiativen wie das geplante Insektenschutzgesetz durch die EU-Vorgaben neue Unterstützung. Der Zeitplan insgesamt ist jedenfalls anspruchsvoll. Wir sollten nicht zu viel Zeit zu Beginn dieses Jahrzehnts mit Konkretisierungsdebatten verschwenden, sondern klar die Umsetzungsphase im Blick haben. Die Biodiversitätskrise warten schließlich nicht!

 

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Raphael Weyland
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2 Kommentare

Ute Hasenbein

22.05.2020, 11:33

Herzlichen Dank an Sie, Herr Weyland, für Ihre ausführliche Berichterstattung. Können Sie bitte zu Punkt 2 Renaturierungs-Initiative noch die Zahl der Kilometer im Satz "Mindestens 000 Kilometer freifließender Flüsse sind renaturiert." komplettieren? Danke! Es bleibt wirklich zu hoffen, dass die gemachten Vorschläge nun nicht wieder im Kräftemessen mehr und mehr abgeschwächt und damit wirkungslos bleiben. Was mir immer wieder sauer aufstößt: mit welchem Recht setzen sich Gruppierungen mit Gewinnmaximierungs.Bestrebungen im Vorfeld über die Bestrebungen derjenigen hinweg, die im Interesse ALLER an der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen arbeiten und bewirken dadurch bereits Abschwächungen der gemachten Vorschläge? Es gilt gleiches Recht für alle und die jeweiligen Gremien dürfen diese Einflussnahme nicht weiter zulassen. Es geht nicht, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht. Womit ich zum zweiten Punkt komme: was ich schon immer bemängele ist das "Ressort-Denken". Jeder kümmert sich um seinen Beritt und hat dabei das große Ganze aus dem Blick verloren. Jede Aktion oder Nicht-Aktion hat Auswirkungen auf andere Bereiche, sowohl positiv als auch negativ. Es nützen keine noch so guten Strategien zum Artenerhalt, wenn durch die zur Zeit üblichen Handelsverträge andere Anreize, die das Gegenteil bewirken, geschaffen werden. Was nützen 3 Milliarden gepflanzte Bäume, wenn unsere Ozeane als wichtiger CO2-Speicher sterben. Im Moment ist es doch so, dass das bischen, was wir vorne schaffen, hinten mit dem Popo im großen Maßstab wieder umgestoßen wird. Da muss ein großes Umdenken stattfinden. Die Ressorts müssen lernen, dass es ein gemeinsames Ziel gibt und deshalb alle einzelnen Maßnahmen an diesem Prüfstand gemessen werden müssen.

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Raphael Weyland

22.05.2020, 11:56

Ganz herzlichen Dank für den Hinweis, das muss beim Bearbeiten verloren gegangen sein. Und ja, Sie haben Recht, und gerade in DE bin ich nicht optimistisch, was dieses Klientel-/Ressortdenken angeht, wenn man sich BMEL versus BMU anschaut...

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