EU-Beschwerden für besseren Rechtsschutz

Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Foto: Europäische Union 2016.

NABU adressiert EU-Kommission wegen Präklusion und Zugang zum EuGH

Heute hat der NABU in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative Saaletal zwei Beschwerden bei der EU-Kommission eingereicht, um den Rechtsschutz in Deutschland zu verbessern und damit EU-Umweltrecht besser durchsetzen zu können.

Übersicht über die heutigen Beschwerden an die EU-Kommission

Eine Beschwerde greift die kurze Klagebegründungsfrist auf, die einseitig für Umweltverbände durch eine Regelung im Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) vorgegeben wird. Diese pauschale Frist kommt aus NABU-Sicht einer unionsrechtswidrigen Präklusion gleich.  Die andere Beschwerde kritisiert das komplexe System der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Deutschland. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geprägte Rechtspraxis in Deutschland, wonach vorlagepflichtiges Gericht das BVerfG sei, verhindert aus NABU-Sicht wegen der Zugangshürden zum BVerfG einen effektiven Rechtsschutz.

Die Beschwerden wurden gemeinsam mit dem Sprecher des NABU-Bundesfachausschusses Umweltrecht, Rechtsanwalt Peter Kremer, erstellt. Hierdurch konnte die Erfahrung von konkreten Fällen in die Schriftsätze einfließen. Die Beschwerden sind damit für den zukünftigen Rechtsschutz von Umweltverbänden zur Durchsetzung von EU-Umweltrecht wie etwa der Fauna-Flora-Habitat- (FFH-) Richtlinie oder der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) relevant.

 

Hintergrund zum Beschwerde- und Vertragsverletzungsverfahren

Die EU-Kommission ist laut den EU-Verträgen die „Hüterin“ dieser Verträge und damit letztlich verantwortlich, wenn EU-Mitgliedstaaten EU-Recht nicht umsetzen. Jeder Bürger oder Verband kann sich bei der EU-Kommission über konkrete EU-Rechtsverstöße von Mitgliedstaaten beschweren. Wenn der Rechtsverstoß nicht nur einen Einzelfall betrifft, von einer gewissen Bedeutung ist und rechtliche Schritte nach dem nationalen Rechtssystem erfolglos waren, kann die EU-Kommission ein  sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren einleiten. In diesem teilt die EU-Kommission in mehreren Schritten ihre rechtlichen Bedenken mit, der Mitgliedstaat kann in seinen Antwortschreiben hierauf erwidern. Sollten nach dem letzten Schritt (der begründeten Stellungnahme) die Bedenken nicht ausgeräumt sein, kann die EU-Kommission den Mitgliedstaat vor dem EuGH verklagen

Tatsächlich  ist die Weise, wie die EU-Kommission Beschwerden und Vertragsverletzungsverfahren behandelt, wenig zufriedenstellend. Dies fängt damit an, dass Beschwerden oft jahrelang unbearbeitet bleiben, obgleich eine interne Frist die Bearbeitung innerhalb eines Jahres vorsieht. Auch die Vertragsverletzungsverfahren ziehen sich über mehrere Jahre, wenn sie denn eingeleitet werden. Dies führt dazu, dass das EU-Umweltrecht wie etwa die Vorgaben der FFH-Richtlinie, Nitrat-Richtlinie oder Wasserrahmenrichtlinie oft jahrzehntelang gebrochen werden können. Hierauf hat der NABU in einer gesonderten Studie hingewiesen, Vorschläge zur Verbesserung gemacht, und diese auch mit der EU-Kommission diskutiert – bislang leider ohne wirklichen Erfolg.

 

Konkreter Praxisbezug der Beschwerden

In einem der Fälle, die mit Auslöser für die Beschwerden waren, hatte die Bürgerinitiative Saaletal gemeinsam mit einem privaten Kläger im Austausch mit dem NABU vor Ort Verstöße gegen das Europäische Naturschutzrecht durch den Bau der Autobahn  A 143 vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geltend gemacht. Die Trasse der A 143 zerschneidet im Unteren Saaletal bei Halle zwei Europäische Schutzgebiete (FFH-Gebiete). Durch den Bau der Autobahn A 143 schwer geschädigt würde insbesondere das FFH-Gebiet „Porphyrlandschaft nordwestlich Halle“, welches die  größten und faunistisch am reichsten ausgestatteten xerothermen Biotopkomplexe auf Porphyr in Deutschland beherbergt. Weitere Infos zum konkrete Fall finden sich auf der Internetseite der Bürgerinitiative Saaletal und können bei deren Sprecher (Dr. Conrad Kunze, mobil: 0177/9037185) erfragt werden.

Wenn die Beschwerden erfolgreich sind, könnten entsprechende Urteile des BVerwG zu korrigieren sein. Insgesamt könnten hierdurch und auch zukünftig zahlreiche weitere FFH-Gebieten besser geschützt werden. Die Beschwerden an die EU-Kommission, für die die Bürgerinitiative Spenden sammelt, betreffen das gesamte europäische Umweltrecht und sind ob ihres Querschnitts-Charakters von überragender Bedeutung.

 

Beschwerdetexte

Beide Beschwerden greifen – anders als andere NABU-Beschwerden, die meist Tatsachenfragen etwa zur Verschlechterung geschützter Naturgüter zum Gegenstand haben – konkrete Rechtsfragen auf.

  • Rechtsschutzbeschwerde zur Klagebegründungsfrist: Konkret wird gerügt, dass die in § 6 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) enthaltene Klagebegründungsfrist einer unionsrechtswidrigen Präklusion gleichkommt und einen Verstoß gegen Art. 47 der Grundrechte-Charta i.V.m. Art. 11 Richtlinie 2011/92 bzw. Art. 25 Richtlinie 2010/75 darstellt. Beschwerdetext
  • Rechtsschutzbeschwerde zur Vorlagepflicht an den EuGH: Konkret wird gerügt, dass die durch ein aktuelles Urteil des BVerfG geprägte Rechtspraxis zur Vorlagepflicht an den EuGH in Deutschland einen Verstoß gegen Art. 47 der Grundrechte-Charta i.V.m. Art. 267 Abs. 3 AEUV darstellt. Beschwerdetext
Raphael Weyland

1 Kommentar

Angelika Heitmann

12.11.2022, 12:36

Beide Rechtsbeschwerden halte ich für dringend geboten. Insbesondere die Präklusionswirkung bei der Klagebegründungsfrist, die das BVerwG zugrundelegt, halte ich als Juristin für rechtswidrig und die Umweltverbände unsachlich benachteiligend. Die Begründung durch das BVerwG ist m.E. höchst fadenscheinig, wenn es geltend macht, dass die Umweltverbände schon im Verwaltungsverfahren mitwirken sollen und hier schon die Fakten sammeln können, die in der Klagebegründungsschrift dann alle aufgenommen werden können. Hier wird mit der gebotenen Zusammenarbeit mit den staatlichen Trägern argumentiert, die vor einem "Überraschungseffekt" im Klageverfahren geschützt werden sollen. Wo wird denn diese Zusammenarbeit durch die Fachbehörden mit den Umweltverbänden im Verwaltungsverfahren so ideal praktiziert? Das ist doch reines juristisches Wunschdenken und erschwert den Umweltverbänden ein Klageverfahren erheblich! Die juristische Folge davon ist, dass im Klageverfahren nachträglich festgestellte Sachverhalte, die das Klageverfahren erfolgreich machen würden, nicht mehr zu berücksichtigen sind. Das bedeutet im Klartext, dass eine durch die Fachbehörden lückenhaft recherchierte Sachlage dann rechtswidrig durch die Präklusionswirkung juristisch abgesegnet würde. Das kann Fachbehörden wohl nicht gerade anspornen, einen Sachverhalt gut aufzubereiten und mit den Umweltverbänden intensiv im Vorfeld zusammen zu arbeiten! Rechtswidrige, nicht gleich für Dritte offensichtliche Aufklärungslücken im Fachverfahren haben schließlich keine negativen Klagefolgen für die Behörden, falls diese nicht gleich mit der Klageschrift durch die Umweltverbände vorgebracht werden. Wie es um die Landschaft, geschützten Tiere oder Pflanzen - also das Schutzgut - steht, ist wohl nebensächlich. Es zeichnet sich durch die Politik gerade generell ab, dass rechtsstaatliche Verfahren zu Lasten Dritter / der Natur abgekürzt werden sollen. Die Präklusionswirkung liegt somit voll im m.E. rechtswidrigen politischen Trend das Rechtsstaatsprinzip auszuhöhlen! Es ist daher m.E. juristisch dringend geboten, die rechtswidrige Präklusionswirkung speziell für Umweltverbände im Rahmen des geltenden juristischen Grundsatzes der "Waffengleichheit vor Gericht" schleunigst außer Kraft zu setzen und den Trend zu stoppen, damit nicht das rein formelle, sondern das materielle /inhaltliche Recht siegt und damit das Schutzgut gesichert und nicht nur wegen einer formalen Begründung der Fristversäumnis u.U. zerstört wird.

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