Requiem für einen Kühlschrank
Man kann den Menschen sehr technisch betrachten: Bei einer Temperatur von etwa 37°C, einem Blut-pH-Wert um 7.4 (das ist der Wert für den Säure-Basen-Haushalt) und einem bestimmten Gehalt verschiedener Salze darin läuft der Betrieb optimal. Das sind sozusagen die Werkseinstellungen. Ihre Grenzen sind, anders als bei einigen Pflanzen und Tieren, recht eng bemessen. Besonders wir Säugetiere sind da empfindlich. Verrutscht der pH-Wert um wenige Punkte hinter dem Komma, hat das Blut nur ein paar Grad mehr oder weniger – schon ist das schöne Leben ist dahin.
Und obwohl wir uns bei Frost nicht einfach in Winterstarre begeben können (Amphibien, Insekten) oder wochenlang von nichts leben als dem Tau, der sich auf unserer Haut sammelt (einige Wüstenkäfer), obwohl wir längst keinen schützenden dicken Pelz mehr tragen, haben wir doch den gesamten Erdball besiedelt. Wie konnte das passieren? Das Gehirn macht’s möglich. Denn das lässt uns Dinge erfinden wie: Kleidung, Zisternen, Pumpen, Dächer, Heizungen und – Kühlschränke! Ich habe meinen hier auf der Insel sehr geliebt. Zwanzig Jahre lang hat er unermüdlich seinen Dienst getan. Letzte Woche hat er sein Leben ausgehaucht.
Unter dem Gefrierfach hatte sich seit längerem ein dicker Eispanzer gebildet. Zuletzt konnte ich kaum noch etwas ins obere Fach legen. Allein, das Abtauen war von einem unguten Zischen begleitet. Das schmelzende Eis gab schließlich den Blick auf ein kleines Leck frei, durch das Kühlgas austrat. Da half alle verzweifelte Erste Hilfe nichts, kein Panzerband, kein Sekundenkleber – mein schöner Kühlschrank lag in seinen letzten, schnaufenden Zügen.
Er war wirklich ein Unikum. Die Herstellerfirma gibt es nicht mehr. Das einzige Modell, das räumlich passt und mit der Solaranlage kompatibel ist, hat eine unbestimmte Lieferzeit im Rahmen mehrerer Wochen. Na schön, es wird auch ohne gehen. Schließlich ist die Menschheit einen Großteil ihrer Geschichte ohne diesen Luxus ausgekommen. Ein findiger Freund rät mir zum Bau eines Mini-Kühlschrankes, der sich einfache Physik zunutze macht: Kleiner Topf in großen Topf, dazwischen Sand. Befeuchtet man den Sand, kühlt die Verdunstungskälte das Innere des kleinen Topfes. Funktioniert! Bietet aber kaum Raum – eine Grube muss her. Unter der Hütte ist den ganzen Tag Schatten.
Mit der nächsten Post kommt eine Kühlbox an, die ich an die Steckdose anschließen kann. Die brummt zwar laut, macht das Leben aber leichter. Als es nachts plötzlich energisch piept und das Brummen schlagartig verstummt, bin ich hellwach. Verdammt! Schnell das Licht angeknipst – kein Licht. Der Strom ist weg. In der Hitze der Nacht wälze ich panisch den Gedanken, dass mir die Box womöglich die gesamte Verstromung zerschossen hat. Auch mein Handyakku ist nahezu leer – ich stolpere hinaus und knipse die Powerbank von der Lichtfalle zum Nachtfalterfang ab; es gilt alle Reserven sinnvoll zu nutzen. Schließlich will ich notfalls wenigstens noch Bescheid geben oder mir ein faltbares Solarmodul bestellen können…
Morgens habe ich wieder Strom, das Modul ist in Ordnung. Aber ein paar ungute Gedanken aus der Nacht bleiben. Ein kleiner Ausfall der Technik, und schon lebt es sich wie im Mittelalter. Gewiss, man kann sich helfen. Abgesehen davon lebe ich zumindest hier auf der Insel ja in Sachen Strom schon autark, das ist ein gutes Gefühl. Aber der kleine Vorfall demonstriert doch anschaulich unsere Abhängigkeit von der Energieversorgung. Es ist verzwickt: Gerade die Fähigkeit, unsere „Betriebstemperatur“ mittels Technik innerhalb der nächsten Umgebung zu gewährleisten, lässt das Klima im Ganzen immer schneller in lebensfeindliche Temperaturen kippen. Während Dürren, Hunger, Waldbrände und Korallensterben den Planeten heimsuchen, während wir wie nie zuvor vor Augen geführt bekommen, dass unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern Unrechtsregimes in die Hände spielt, legitimieren die USA erneut eine klimafeindliche Politik, die G7 stimmen fröhlich ein und in Deutschland baut man eine Autobahn durch klimaschützende Moorgebiete. Und jetzt bin ich nicht mehr wütend, weil mein Kühlschrank kaputt ist, sondern weil ich im Jahr 2022, nachdem man seit Jahrzehnten weiß, wohin die Reise geht, noch solche Sätze schreiben muss.
Lieber, kleiner Waeco-Kühlschrank, du hast mir gezeigt, wie wertvoll Energie ist. Ich werde dich vermissen.
Oben: Der Alte. Mitte: Der Neue. Die Pappwände lasse ich stehen, damit keine Tiere hineinfallen. Unten: Der Hausrotschwanz fand die Baustelle ausgesprochen interessant. Beim Buddeln sind ein paar Schlickkrebse für ihn mit abgefallen.