Biologische Vielfalt Beiträge

Offener Brief an die deutsche Forstlobby

Die Naturschutzverbände haben in den letzten Monaten viele Initiativen unkommentiert gelassen, mit denen versucht wurde, hinter den Brüsseler Kulissen die EU-Naturschutzrichtlinien mit falschen Behauptungen zu diskreditieren, um damit eine Lockerung der Regeln zu erreichen. Dennoch halten es NABU, BUND, DNR und WWF für nötig, jetzt mit einem offenen Brief (PDF-Download) gegen so einen Lobbyversuch zu protestieren. Ihnen liegt nämlich ein Schreiben vor, das eine Reihe von deutschen Interessensverbänden, koordiniert vom Deutschen Forstwirtschaftsrat, im November an EU-Umweltkommissar Vella geschickt haben.

Welterbe Buchenwald Grumsin Foto: Klemens Karkow.

Welterbe Buchenwald Grumsin Foto: Klemens Karkow.

Darin werden zunächst neun EU-Umweltminister (darunter die deutsche Bundesministerin Barbara Hendricks) der „Schönfärberei“ und der „Unkenntnis über die Realitäten auf der Fläche“ beschuldigt. Diese hatten zuvor die Europäische Kommission schriftlich dazu aufgefordert, die Naturschutzrichtlinien nicht zu verändern (wir berichteten).

Anschließend wird in dem Schreiben der Forstlobby eine durchaus anerkannte Studie über die Auswirkungen von Natura 2000 im Wald („FFH-Impact“ – Teil 1, Teil 2, und englische Zusammenfassung) für unhaltbare Positionen missbraucht. Diese laufen darauf hinaus, dass mögliche Versäumnisse in der Natura-2000-Umsetzung vor Ort, z.B. bei der Managementplanung und der Beteiligung von Landnutzern, dem Text der Richtlinien selbst angelastet und somit Änderungsbedarf im EU-Recht begründet wird. Gleichzeitig wird aber auch eine noch größere Freiheit der Mitgliedstaaten („Subsidiarität“) bei der Umsetzung gefordert…

EU-Umweltminister geben Juncker einen Korb

Flasbarth Council 2015 12 16

Staatssekretär Jochen Flasbarth als Vertreter Deutschlands im Umweltrat heute (Minute 26 in der Videoaufzeichnung – dazu auf das Foto klicken)

Die Luxembourgische Umweltministerin Carole Dieschbourg leitete die Sitzung.

Die Luxemburgische Umweltministerin Carole Dieschbourg leitete die Sitzung.

Beeindruckend – und ein schönes Ergebnis unserer Überzeugungsarbeit im zu Ende gehenden Jahr. Im heutigen EU-Umweltministerrat gab es fast ein Schaulaufen darum, wer das flammendste Bekenntnis zu den EU-Naturschutzrichtlinien ablegen würde. Fast alle Minister betonten, wie entscheidend deren konsequente Umsetzung und vor allem ihre bessere Finanzierung beim Kampf gegen das Artensterben sind. Gleichzeitig erteilen viele den „Modernisierungsplänen“ der Kommission eine klare Absage. Gut dass auch die Bundesregierung, vertreten durch Staatsekretär Jochen Flasbarth, hier eine sehr klare Sprache fand. Damit reagieren die Minister auch auf die vielen Hunderttausend Menschen, die sich im Sommer aktiv für einen Erhalt der Richtlinien stark gemacht haben. Zu welchem Thema gibt es das schon zur Zeit, eine Massenbewegung für die Beibehaltung von EU-Gesetzen!

Vella Council 2015 12 16

EU-Umweltkommissar Karmenu Vella nahm an der Sitzung teil und wird die klaren Positionen der Umweltminister seinem Chef Jean-Claude Juncker überbringen. (alle Fotos dieser Seite aus  http://video.consilium.europa.eu/webcast)

Wir fragen uns jetzt – wie lange wird die EU-Kommission noch brauchen um eine Entscheidung zu treffen? Unsere Meinung sollte dies geschehen, sobald die finalen Ergebnisse des „Fitness-Checks“ der Naturschutzrichtlinien vorliegen – also spätestens im Frühjahr 2016. Zuvor wird aber noch das Europäische Parlament das Wort haben, zunächst am 22.12. per Abstimmung im Umweltausschuss, dann Anfang Februar im Plenum. Wir werden berichten, was die Volksvertreter zu sagen haben.

Hier die Pressemitteilung des NABU, sowie weitere relevante Links:

EU-Umweltminister beraten Naturschutzpolitik

EU FlaggeSpät im Jahr, am morgigen Mittwoch, dem 16.12.2015, ein weiterer Höhepunkt in der Saga um die EU-Naturschutzrichtlinien. Auf ihrem regulärem Ministerratstreffen werden die EU-Umweltminister (Deutschland wohl vertreten durch Staatssekretär Jochen Flasbarth) die Zwischenbilanz der EU-Biodiversitätsstrategie für 2020 diskutieren. Die EU-Kommission (und auch wir selbst im BirdLife-Netzwerk) hat dazu eine ausführliche Evaluierung vorgelegt, die zeigt, dass Halbzeit in diesem Fall nicht „wir sind auf halbem Weg“ heißt. Die Kernbotschaft der Daten lautet: Während die EU-Naturschutzrichtlinien stellenweise beginnen zu wirken, verhindern schädliche Agrarsubventionen sowie die zögerliche Umsetzung und Finanzierung von Natura 2000 durch die Mitgliedsstaaten eine Trendwende beim Kampf gegen das Artensterben.

Rückenwind aus Belgien

flagge-belgienAls elfter EU-Mitgliedsstaat hat sich nun auch Belgien in einem Brief an EU-Kommissar Karmenu Vella gewandt und sich gegen Änderungen am EU-Naturschutzrecht ausgesprochen (PDF download, auf französisch). Zuvor hatten bereits neun Umweltminister (aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen, Italien, Rumänien, Slowenien, Kroatien und Luxembourg) einen gemeinsamen Brief geschickt, anschließend auch Griechenland. In den Niederlanden hat das Parlament per Mehrheitsbeschluss die Regierung aufgefordert, ein entsprechendes Schreiben auf den Weg zu bringen.

Nächsten Mittwoch, am 16.Dezember 2015, werden sich alle EU-Umweltminister in Brüssel treffen, um über Maßnahmen zum Stop des Artenschwunds bis 2020 zu beraten. Dabei werden sich vermutlich auch viele auch zu den Naturschutzrichtlinien äußern. Der NABU und seine europäischen Partner werden die (vermutlich öffentlich übertragene) Sitzung auf Twitter (#NatureAlert) und in der Presse kommentieren. Näheres dann nächste Woche auch in diesem Blog.

Was die Vögel uns zu sagen haben

Messengers coverVögel gehören zu den best untersuchten Tiergruppen weltweit. Das macht Vögel zu einem prädestinierten Botschafter für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur. Rechtzeitig zum Treffen der Staatschefs in Paris anlässlich der Verhandlungen für ein neues Klimaabkommen bei dem Weltklimagipfel UN COP21 stellt eine neue Studie von unserem internationalem Dachverband BirdLife International und unserem Partner in den USA, Audubon Society, den Ernst der Gefahren, die durch den Klimawandel ausgelöst werden, im Detail dar.

 

Der veröffentlichte Bericht „The Messengers“ ist eine Zusammenfassung von Hunderten von wissenschaftlichen Studien, die die verschiedenen Formen hervorheben, mit dem der Klimawandel uns und die Natur – im Speziellen die Vogelwelt – bedroht.

Game changers: Was braucht der europäische Naturschutz?

workshop titelZusammenfassung NABU-Workshop in Brüssel (Teil 2)

Im Oktober hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks mit ihrer Naturschutzoffensive einen beachtlichen Aktionsplan veröffentlicht, mit dem Deutschland das internationale 2020-Ziel zur Trendwende beim Artensterben erreichen soll. Allerdungs müssen die wesentlichen Weichenstellungen auf der Ebene von EU und Bundesländern erfolgen, auf die die Bundesregierung nur begrenzten Einfluss hat. Gerade auf „Brüssel“ richten sich derzeit große Erwartungen, denn im kommenden Jahr wird die EU-Kommission darlegen, womit sie die gefährdeten Lebensadern unseres Kontinents, die bedrohten Arten und Schutzgebiete, wiederbeleben will. Heibei braucht es nicht kosmetische, sondern tiefgreifende Veränderung. Worin diese „game changer“ bestehen könnten diskutierten am Dienstag auf Einladung des NABU Vertreter von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden in Brüssel, darunter Naturschutzpraktiker aus 19 EU-Staaten.

Naturschutzrichtlinien fit. EU-Kommission stellt erste Ergebnisse des Fitness-Checks vor.

Eine Woche vor einer entscheidenden Konferenz in Brüssel zur Zukunft des EU-Naturschutzrechts (wir werden an dieser Stelle berichten!), stellte die EU-Kommission heute zwei wichtige Berichte ins Internet: Die vorläufigen Ergebnisse des Fitness-Checks der EU-Naturschutzrichtlinien (PDF-Download, Englisch) und die Analyse der EU-Bürgerbefragung vom Frühsommer 2015 (PDF-Download, Englisch).

Nach erstem Überfliegen bestätigen beide Dokumente in eindrucksvoller Weise, das was der NABU und andere Umweltverbände schon seit längerem betonen: Die EU-Naturschutzrichtlinien sind die richtigen Instrumente, was fehlt ist ihre ernsthafte Umsetzung und Finanzierung, durch die Mitgliedstaaten unterstützt durch die EU. Und: die ganz große Mehrheit der Öffentlichkeit ist gegen eine Neuverhandlung der Richtlinien, aber für eine starke Rolle der EU im Naturschutz. Auch eine Verschmelzung der Richtlinien sollte nun zumindest aus fachlicher Sicht vom Tisch sein.

naturealert

Mit dieser Kampagne haben wir gezeigt: EU-Bürger wollen Naturschutz.

Was fehlt ist nun eine politische Entscheidung der Kommissionsspitze wie es weitergeht. Diese könnte sich auf der Konferenz nächste Woche abzeichnen. Offiziell soll dies aber erst im Frühjahr bekannt gegeben werden. Man will auch noch abwarten wie sich die EU-Umweltminister und EU-Parlamentarier im Winter äußern.

Worten müssen Taten folgen

Wiederholt haben die Naturschutzverbände bemängelt, dass es mit der Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) nur unzureichend voran geht; dies haben auch Studien des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Naturschutz belegt, z.B. der Bericht zur Lage der Natur im Jahr 2014 und der Artenschutzreport im Jahr 2015. „Die aktuelle Lage der Natur muss ein Weckruf an die Politik sein. Denn Abwarten führt dazu, dass unsere Natur immer weiter Schaden nimmt“ hatte NABU-Präsident Olaf Tschimpke darauf hin seinerzeit gefordert. Und nun war es so weit, in der vergangenen Woche hat Bundesumweltministerin Hendricks ihre „Naturschutzoffensive 2020“ vorgestellt, mit der eine Reihe von prioritären, für das Jahr 2020 formulierten Zielsetzungen der NBS doch noch erreicht werden soll.

BM Hendricks_stellt die Naturschutzoffensive vor (BMUB/Inga Wagner)

Bundesumweltministerin Hendricks stellt die Naturschutzoffensive vor (BMUB/Inga Wagner)

In der Tat, das muss man anerkennen, enthält das Papier deutliche Worte zu den Treibern aktueller Probleme des Naturschutzes. Dies war sicher nur möglich, weil das Papier explizit die Sichtweise der Umweltministerin wiedergibt, wie Frau Hendricks bei der Vorstellung betonte, und eben nicht im Vorfeld mit den anderen Bundesressorts abgestimmt wurde – genau hier liegt der Reiz, aber eben auch der mögliche Schwachpunkt der Naturschutzoffensive: Die Probleme, insbesondere die durch intensive industrielle Landnutzung hervorgerufenen, werden zwar klar benannt und mögliche Lösungswege aufgezeigt, die Umsetzung liegt aber weitgehend in der Zuständigkeit anderer Ministerien. Dies ist im Grunde nur logisch, denn die NBS ist schließlich eine Strategie der gesamten Bundesregierung und in der Konsequenz sind daher alle Ressorts dafür verantwortlich, dass die Weichen zur Zielerreichung bis 2020 gestellt werden. Mehr noch: Weil Naturschutz in weiten Teilen Ländersache ist, müssen zudem auch die Landesregierungen ihren Teil dazu beitragen. Entsprechend haben die Umweltverbände in einer ersten Stellungnahme ein konsequentes Handeln von Bund und Ländern eingefordert.

Die Naturschutzoffensive 2020 enthält insgesamt 10 prioritäre Handlungsfelder, von denen ich ein paar hier kurz anschneiden möchte:

Besonders treffend und ambitioniert geht die Naturschutzoffensive mit der industriellen Landwirtschaft ins Gericht. Hier besteht der größte Handlungsbedarf und gleichzeitig ein harter Wiederstand gegen substanzielle Reformen. Der Umweltbeauftragte des Deutschen Bauernverbandes sprach bei der Vorstellung der Offensive zwar von „Folterinstrumenten“ und „starkem Tobak“, aber an einer Reform der EU-Agrarförderung unter der Maßgabe „Geld für Leistung“ kommen wir (nicht nur) aus NABU-Sicht keinesfalls vorbei; auch die vorgeschlagene Weiterentwicklung der nationalen Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ mit einem Schwerpunkt Naturschutz ist ebenso überfällig wie eine naturverträgliche Ausgestaltung der Fischereipolitik und eine konsequente Umsetzung von Meeresschutzgebieten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird hier sicher mehr als einmal angeschoben werden müssen wenn es gilt, richtig dicke Bretter zu bohren.

Beim verbesserten Vertragsnaturschutz im Wald schließlich sind die Länder ebenso gefragt wie beim vorbildlichen Naturschutz und der natürlichen Entwicklung in öffentlichen Wäldern (gemeinsam mit den Kommunen). Die Stärkung von Stadtgrün im Rahmen der Städtebauförderung wiederum ist etwas, dem der neue Ressortzuschnitt des Umweltministeriums entgegen kommt – daran, wie ambitioniert dieser Punkt umgesetzt werden wird, kann man dann bald ablesen, wie weit die Abteilung Städtebau schon in das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit integriert ist.

Bei den Schutzgebieten und dem Biotopverbund bin ich gespannt, was der „Nationale Aktionsplan Schutzgebiete“ tatsächlich bringen wird, den die Ministerin gemeinsam mit den Ländern starten möchte. Klar ist, dass die Länder gerade erst und mit jahrelanger Verspätung angefangen haben, ihre Hausaufgaben in Sachen Sicherung und Entwicklung der Natura 2000-Gebiete zu erledigen – und das auch erst vor dem Hintergrund eines durch die EU eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens – und dass noch ein langer Weg zu gehen ist. Interessant noch im Kontext Biotopverbund: Das schon seit einigen Jahren bestehende „Bundesprogramm Wiedervernetzung“ der Bundesregierung wird nicht explizit erwähnt, und das, obwohl doch gerade die Finanzierung des Programms bisher unzureichend ist und das Bundesverkehrsministerium (BMVI) hier dringend mit einem eigenen Haushaltstitel nachbessern müsste.

Positive Erwähnung findet das BMVI hingegen im Kontext des in Erarbeitung befindlichen Bundesprogramms Blaues Band, das vom NABU seit langem gefordert wurde. Gleichwohl wird sich erst in Zukunft erweisen, inwieweit dieses von Frau Hendricks als „Jahrhundertprojekt“ titulierte Programm die gestellten Erwartungen auch tatsächlich erfüllt (am 8. Dezember werden auf einer Statuskonferenz in Bonn die ersten Arbeitsgergebnisse vorgestellt – man darf gespannt sein). Denn neben politischen Absichtsbekundungen braucht es dafür eine tiefe institutionelle Verankerung, eine solide Finanzierung und zudem über einen langen Zeitraum den politischen Willen, die gesetzten Ziele auch gegen Wiederstände zu verfolgen – ganz so, wie es prinzipiell Grunde für alle Handlungsfelder gilt, die nun in der Naturschutzoffensive 2020 aufs Tableau gehoben werden.