NABU-GAP-Ticker: Zwischenzeugnis – Klöckner, Julia

14. März 2019. Vor genau einem Jahr wurde Julia Klöckner in die Bundesregierung aufgenommen. Sie bekam wichtige Aufträge aus dem Koalitionsvertrag und hielt eine viel beachtete Antrittsrede im Deutschen Bundestag. Die Erwartungen an das neue Regierungsmitglied waren hoch. Heute erhielt die Ministerin von uns ihr Zwischenzeugnis für ausgewählte Fächer:


  • Reform der EU-Agrarpolitik (GAP):    6
  • Insektenschutz:    4-
  • Reduzierung von Glyphosat und anderen Pestiziden:    5
  • Politischer Gestaltungswille:    5-

Vorbemerkung

Julia Klöckner hat bei ihrer Antrittsrede im Deutschen Bundestag am 23.März 2018 hohe Erwartungen geweckt. Die Biene sei systemrelevant, ihr Haus würde zum „Lebensministerium“, die EU-Agrarpolitik künftig offen im Deutschen Bundestag diskutiert. Die Botschaft, in klarer Abgrenzung zu ihren CSU-Vorgängern, sie wolle nicht der verlängerter Arm des Deutschen Bauernverbandes sein. Schon zuvor hatte der Koalitionsvertrag Hoffnung geweckt: CDU/CSU und SPD wollten handeln gegen das Insektensterben und die Landwirtschaft endlich zukunfts- und gesellschaftsfähig machen. So legten sie mehrere konkrete Schritte für den dringend notwendigen Umbau der Agrarpolitik und eine verbesserte staatliche Förderung des Naturschutzes fest.

Im Folgenden wollen wir Julia Klöckners bisherige Leistungen als Agrarministerin aus Sicht des Natur- und Umweltschutzes bewerten und ihren eigenen Ankündigungen und dem Koalitionsvertrag gegenüber stellen. Wir konzentrieren uns dabei auf ausgewählte Fächer, die uns besonders relevant für den Schutz von Umwelt, Klima und Artenvielfalt erscheinen.

Die Leistungsbewertungen im Einzelnen

Reform der EU-Agrarpolitik: Note 6 (Größte Chance verspielt?)

„Es bedarf einer Weiterentwicklung und Neujustierung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP).“ „Die Verwendung der Mittel soll neben der Einkommensstabilisierung besser auf diese Ziele (Tier-, Natur- und Klimaschutz) ausgerichtet werden.“  Koalitionsvertrag der Bundesregierung
„Es geht aber auch darum, dass wir den Erwartungen der Bevölkerung an die Mittelvergabe (der EU-Agrarpolitik) mehr gerecht werden.“ Rede vom 23.März 2018

Ein „ermutigendes Zeichen“ im Koalitionsvertrag nannten wir es im März 2018, dass die Große Koalition erste zaghafte Schritte in Richtung einer naturverträglicheren Landwirtschaft unternehmen wolle. Union und SPD erkannten den „gesellschaftlich geforderten Wandel der Landwirtschaft“ und wollten sich für eine Umschichtung der milliardenschweren EU-Agrarsubventionen einsetzen, damit Landwirte für Naturschutzleistungen besser bezahlt werden können.

Aktuell finden die Verhandlungen über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) für die Periode 2021-2027 statt, konkrete Vorschläge der EU-Kommission sowie anderer EU-Staaten liegen auf dem Tisch, die Verteilungsdebatten laufen. Obwohl die GAP das allesentscheidende Instrument der Agrarpolitik ist, schweigt Julia Klöckner, Vertreterin des größten EU-Mitgliedstaates, seit einem Jahr dazu, wie sie sich die künftige „grüne Architektur“ der EU-Agrarpolitik und damit auch eine Finanzierung des Naturschutzes vorstellt. Ohne eine GAP-Reform kein effektiver Insektenschutz, und ohne ein anderes Fördersystem auch keine Zukunft für eine vielfältige Landwirtschaft. Obwohl sich die Fachwelt, Klöckners eigene Berater eingeschlossen, weitgehend einig sind, will die Ministerin, offenbar gefangen von den Besitzstandswahrern im eigenen Haus, an den pauschalen Flächenprämien festhalten. Mit über 40 Milliarden Euro Steuergeldern pro Jahr werden damit nicht Leistung von Landwirten für das Gemeinwohl bezahlt sondern reiner Flächenbesitz. Die großen Gewinner sind Verpächter, Pestizidhersteller und alle Betriebe, die viel und billig produzieren können. Es verliert die Umwelt und die Zukunft vieler Bauernhöfe.

Während Julia Klöckner über Bekenntnisse zu Bürokratieabbau und den Chancen der Digitalisierung kaum hinauskommt, schaffen andere EU-Staaten und das Europäische Parlament die ersten Fakten. Und in der Gesellschaft steigt der Unmut über die Untätigkeit der Politik und die Sorge über das Verschwinden der Natur auf unseren Wiesen und Feldern. Dies zeigte unlängst das Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern. Schärfere Umweltauflagen für die Landwirtschaft sind früher oder später unausweichlich. Julia Klöckner hätte es noch in der Hand, diesen notwendigen Wandel sozialverträglich mit einer anderen Förderpolitik zu begleiten. Würde Sie sich in Brüssel für eine europaweit umweltfreundliche Agrarpolitik einsetzen, könnte sie viele Höfe vor Umweltdumping aus anderen Teilen der EU schützen. Stattdessen lässt sie Bäuerinnen und Bauern allein.

Spätestens zum Treffen der Agrarminister am 15.April sollte die Ministerin nun konkrete Vorschläge für eine stärkere Ausrichtung der EU-Agrarpolitik an Umwelt und Naturschutz mitbringen.

Insektenschutz: Note 4- (Starker Leistungsabfall)

 „Wir werden das Insektensterben umfassend bekämpfen.“ „Wir werden uns in der EU für mehr Mittel für den Naturschutz, die sich am Bedarf von Natura 2000 orientieren, und einen eigenständigen EU-Naturschutzfonds einsetzen.“  Koalitionsvertrag der Bundesregierung
„Was für Bienen schädlich ist, muss weg vom Markt – sonst sind irgendwann alle anderen weg vom Markt.“  Rede vom 23.März 2018

Erstmals in der Geschichte hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag den Schutz von Insekten als politisches Ziel festgelegt. Kurz zuvor war mit großem öffentlichem Echo bekannt geworden, dass in 27 Jahren mehr als 75 Prozent der Masse an Fluginsekten in deutschen Naturschutzgebieten verschwunden sind. Ministerin Klöckner schrieb sich den Schutz der Insekten umgehend auf die Fahnen.

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit im April stimmte Klöckner mit vielen anderen EU-Staaten für das Verbot dreier Wirkstoffe der besonders bienenschädlichen Neonikotinoide. Mit Erfolg. Die Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid sind seither EU-weit verboten. Obwohl dies nicht gerade eine knappe Kampfabstimmung in Brüssel war, feierte sie sich für diesen Schritt in der Öffentlichkeit: „Heute ist ein guter Tag für den Schutz der Bienen in Deutschland und in Europa.“ Klöckner kündigte zudem an, hierzulande keine Notfallzulassung von Neonikotinoiden durchzuwinken – im Gegensatz zu mehreren anderen EU-Ländern, die weiterhin mehrere Neonikotinoide per Notfalldekret einsetzen.

Doch schnell wurde Klöckner zur Getriebenen ihrer Amtskollegin aus dem Umweltressort, Svenja Schulze, die Vorschläge für ein Insektenaktionsprogramm vorlegte, und darin neben deutlicher Pestizidreduktion auch eine bessere staatliche Förderung des Naturschutzes verlangt. Schulze veröffentlichte zudem Zahlen über die massive Unterfinanzierung des Naturschutzes in Deutschland. Von den 1,4 Mrd. Euro die pro Jahr nötig wäre um die EU-Naturschutzrichtlinien (mit dem Schutzgebietsnetz Natura 2000) umzusetzen, stehen bisher nur rund 500 Millionen Euro zur Verfügung. Der Fehlbetrag wird vor allem benötigt um Landwirte für Naturschutzmaßnahmen bezahlen. Doch hierfür wäre eine grundlegende Änderung der EU-Agrarpolitik nötig, die Klöckner versucht auszusitzen. Nötig wäre ein EU-Naturschutzfonds von 15 Mrd. EUR jährlich um Landwirte attraktive für Naturschutzbemühungen zu bezahlen.

Bei einem Runden Tisch mit den Umweltverbänden zum Insektenschutz am 14.Januar 2019 zog Julia Klöckner erneut den Wissensstand um das Artensterben sowie die Hauptverantwortung der Landwirtschaft in Zweifel. Ihr Haus bleibt bis heute Ideen und Lösungsvorschläge, um das Insektenschwund in der Agrarlandschaft aufzuhalten, schuldig.

Derzeit sieht es leider sehr danach aus, dass die Forderung nach einer Rettung der Insekten nicht viel mehr ist ein Feigenblatt. Statt echter Politik wird viel Wind gemacht mit geschickter „Bienen-PR“, mit symbolischen Aktionen für Balkonblumen und freiwillige Blühstreifen.

Beim Thema „Neonics“ herrscht seit dem Verbot der drei ersten Wirkstoffe dagegen Flaute. Zahlreiche andere Wirkstoffe dieser Klasse sind unverändert auf dem Markt, das „Ersatzmittel“ Sulfoxaflor ist zwar im Freiland verboten, aber in Gewächshäusern weiterhin erlaubt.

Glyphosatausstieg und Pestizidreduktion: Note 5 (Auf die lange Bank geschoben)

„Wir werden mit einer systematischen Minderungsstrategie den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden.“ Koalitionsvertrag
„Die Umsetzung der Ackerbaustrategie für u.a. umwelt- und naturverträgliche Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln werden wir gemeinsam mit der Landwirtschaft vornehmen und adäquat mit Fördermitteln für Maßnahmen zur Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie und insbesondere des Insektenschutzes untersetzen. Dabei liegt uns der Schutz der Bienen besonders am Herzen. […] Dies soll dazu beitragen den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln wirksam zu reduzieren.“  Koalitionsvertrag

Julia Klöckner lässt bislang keine Strategie erkennen, wie der Einsatz von Pestiziden insgesamt und grundsätzlich reduziert werden soll. Weder an neue Anreize der EU-Agrarpolitik noch über ordnungsrechtliche Maßnahmen scheint sie sich wirklich heranzuwagen. Stattdessen soll bis Herbst 2019 der erste Entwurf einer „Ackerbaustrategie“ vorgelegt werden. Auf die vom Umweltbundesamt vorgeschlagenen Biodiversitätsflächen, die zumindest Ersatzlebensräume für Insekten schaffen sollen, wenn Landwirte Glyphosat einsetzen wollen, reagierte Klöckner mit wütender Kritik an der „Einmischung“ des Umweltministeriums.

Immerhin schlägt das Bundeslandwirtschaftsministerium ein Verbot von Glyphosat auf öffentlichen Flächen, am Wasser und in Naturschutzgebieten vor. Ein konkretes Ausstiegsdatum für Glyphosat fehlt jedoch auch im Koalitionsvertrag. Er wurde so auf die lange Bank geschoben. Bis heute hat sich daran nichts geändert: Julia Klöckner nennt weiterhin keinen konkreten Ausstiegstermin. Stattdessen verweist ihr Ministerium darauf, dass ein Verbot europarechtlich eventuell schwierig sei. Auch die Vorschläge für Privatgärten und die Landwirtschaft gehen dem NABU nicht weit genug: In Privatgärten sollen künftig Menschen mit Sachkundenachweis weiterhin glyphosathaltige Produkte anwenden dürfen. In der Landwirtschaft soll der Einsatz bis auf weiteres ohnehin möglich sein, wenn für Tiere entsprechende Ausweichmöglichkeiten vorhanden sind, ebenso auf erosionsgefährdeten Böden, die mechanisch nicht bearbeitet werden können.

Politischer Gestaltungswille: Note 5 (Freiwilligkeit soll’s richten)

 „Unsere Bürger müssen spüren, dass wir uns um ihre Lebensthemen kümmern. Wenn wir heute über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, über Wein-, Obst-, Gemüse- und Gartenbau, über Fischerei und Tierhaltung, über Biodiversität und starke ländliche Räume sprechen, dann sind das die Lebensthemen der Menschen in unserem Land. Denn hier geht es um unser täglich Brot, um die Bewahrung der Schöpfung, um Tierwohl und um eine gute Zukunft für unser Land. Deshalb ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auch das Lebensministerium!“ Rede vom 23.März 2018

Zwar betonte Frau Klöckner zu Beginn ihrer Amtszeit, die verhärteten Fronten zusammenführen zu wollen, kein verlängerter Arm des Bauernverbandes zu sein und Politik für die gesamte Gesellschaft machen zu wollen. Nach einem Jahr Amtszeit stehen in der Bilanz viele bunte Bilder, eine professionelle Medienstrategie, eine Fülle freiwilliger Initiativen – und große Ernüchterung.

Während der ersten großen Herausforderung ihrer Amtszeit, der langanhaltenden Dürreperiode im Sommer 2018, hielt sich Frau Klöckner mit schnellen Nothilfe-Zusagen zunächst zurück und gewährte letztlich nur etwa ein Drittel der von der Agrarlobby geforderten 1 Mrd. EUR. Dies machte Hoffnung auf ein Politikverständnis, dass das Gemeinwohl im Blick hat, nicht Partikularinteressen.

Allerdings hat Julia Klöckner sich im Anschluss weder nennenswert für eine klimaverträgliche Landwirtschaft eingesetzt, noch Verantwortung für eine zukunftsfähige Landwirtschaft übernommen – durch politisches Gestalten. Was sich durch ihr erstes Amtsjahr zieht wie ein roter Faden ist der Versuch, Verantwortung auf Konsumenten, Handel und Landwirte abzuschieben. Immer mit dem Argument, Freiwilligkeit sei der bessere Weg (Stichworte Tierwohl-Label und Lebensmittelkennzeichnung). Verbraucher wollen sicher sein, dass das, was angeboten wird gut für die eigene Gesundheit und die des Planeten ist. Der Handel will klare Standards. Landwirte brauchen Planungssicherheit. EU-Regierungen wollen sicher gehen, dass alle Staaten mitmachen beim Umweltschutz. Für all das bedarf es verbindlicher Regelungen, die Julia Klöckner bislang vermeidet wo es nur irgendwie geht.

Auf Kritik an ihrem unentschlossenen Handeln reagiert sie zunehmend dünnhäutig. Umweltverbänden wie dem NABU, die mit detaillierten Studien argumentieren, wirft sie immer wieder pauschal ideologischen Populismus vor. Wissenschaftlich anerkannte Beweislagen, wie den zunehmenden Rückgang der Insekten oder die ökonomische Sinnlosigkeit der EU-Flächenprämien, wischt sie dagegen beiseite. Die alljährliche Großdemonstration zur Berliner Grünen Woche diffamierte sie im Fernsehen als „Gaudi“, die nichts mit ihrer Politik zu tun habe. Sie scheint die Sorgen der Menschen um den Zustand der Umwelt wenig ernst zu nehmen.

Gesamtbewertung und Empfehlung

Julia Klöckner hat sich sehr bemüht, den Eindruck einer aktiven, sich um die Belange möglichst vieler Gruppen kümmernden Ministerin zu hinterlassen. Hierfür hat sie mit großem Fleiß einen meist professionellen medialen Auftritt inszeniert. Zu Weihnachten schenkte sie der Bevölkerung einen Instagram-Kanal ihres Ministeriums. Leider lassen die Leistungen in wichtigen Kernfächern aber sehr zu wünschen übrig.

Die Versetzung ist gefährdet. Jetzt müsste sich Julia Klöckner dringend um politische Gestaltung bemühen, und den Ruf der Bevölkerung nach mehr Naturschutz in der Landwirtschaft ernst nehmen.

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titefoto: Europäische Union 2013

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