Wenn die Möwe mit der Möwin… – Die Homestory II

Wie geht das also mit der Möwenliebe?

Im Vogelreich sind die Möglichkeiten nahezu unendlich: Enten verpaaren sich jedes Jahr unter viel kosmetischem Chichi mit frisch gewachsenen Schmuckfedern und allerlei Putzerei neu. Albatrospaare verbringen manchmal fast zwei Jahre, tausende Kilometer getrennt voneinander auf den Ozeanen, um schließlich am selben Ort wieder zusammen zu finden und ein einziges Junges groß zu ziehen. Der Wanderfalke, edler Greif, der er ist, bevorzugt ebenfalls die Monogamie, während die Heckenbraunelle gerne mit mehreren Männchen schäkert. Und beim Blaubrustpipra führt eine ganze Boygroup von Männchen einen durchritualisierten Tanz auf, nach dessen Finale nur der „Chef“ sich paaren darf. Stirbt er, rückt der nächste auf. In Sachen Liebe gibt es alles, was man sich vorstellen kann, und noch viel mehr. Da sind Tiere nicht anders als Menschen.

Bei Möwen aber geht das so:

Zunächst mal gibt es eine Art „Club“. Der wird tatsächlich so genannt. Bei mir ist das eine plane Fläche von Sand und Muschelschill direkt hinter den Dünen, auf die ich von der Hütte einen unverstellten Blick habe. Hier finden sich irgendwann im März die ersten Vögel ein und verweilen schließlich länger und länger; es ist die Zeit zum Sehen-und-Gesehen-Werden (und für mich ein ideale Gelegenheit, Ihnen einige Fotos zu machen). Häufig finden wieder die Paare zusammen, die bereits im letzten Jahr miteinander gebrütet haben. Wie in jedem Club gibt es aber auch immer einige Unruhestifter. Das sind häufig noch nicht ganz erwachsene „Halbstarke“, die durchaus schon einmal für Nachwuchs sorgen können. Wenn die Paarbindungen sich festigen, werden sie mit zunehmender Aggressivität vertrieben. Interessant finde ich, dass in der Regel die Männchen andere Männchen vertreiben, während die Weibchen ihrerseits die Konflikte unter sich ausmachen. Woran genau die Geschlechter sich eigentlich erkennen ist aber ein Rätsel. Weibliche Möwen sind zwar im Schnitt kleiner als die Männchen, doch es gibt, wie bei Menschen, einen nicht unerheblichen Überschneidungsbereich. Vielleicht sind es subtile Unterschiede im Verhalten, die jeder Möwe klar machen, woran sie ist.

Wann es ernst wird, bestimmt das Weibchen. Hat sich ein Paar, hier sind es Heringsmöwen, gefunden, beginnt Sie (links) eines Tages mit zärtlichem Geschnäbel um Hals und Schnabel ihres Auserwählten:

Dass das Weibchen zur Paarung auffordert, fand man früher unerhört. Noch in den 50ern schrieb der Verhaltensforscher Niko Tinbergen, dass er genau davon gerne den Besuchern der Möwenkolonie erzählte – um die seltsam empörten menschlichen Reaktionen auf diese Tatsache zu beobachten!

Das Männchen ist vorbereitet, die Zärtlichkeiten mit einem Brautgeschenk aus halb angedauten Krabben, Fisch oder Ähnlichem zu vergelten, das er seiner Geliebten hervorwürgt. Sehen Sie die Schwellung im Hals des Männchens?

Das Weibchen wird sofort alles auffressen. Zum einen dient die Bettelpose mit gesenktem Nacken und gerecktem Schnabel, die ja auch ein hungriges Küken einnimmt, der Reduktion von Aggression, die Möwen normalerweise gegeneinander hegen, wenn sie sich zu nahe kommen. Es ist das Signal für: Halt, hier nicht angreifen! Zum anderen erhält das Weibchen so wichtige Proteine für die Bildung der Eier.

Und dann hüpft das Männchen dem Weibchen auf dem Rücken. Wenn dieses bereit zur Paarung ist, stimuliert es das Männchen mit weiterem Geschnäbel. Dieses wiederum hat bisweilen seine liebe Not, sich mit seinen Füßen dort zu halten, wo es sein muss, vor allem, wenn es tüchtig weht.

Bei Vögeln bilden Geschlechts- und Exkretionsorgane unter den Schwanzfedern einen gemeinsamen Ausgang, die sogenannte Kloake. Die Partner versuchen nun, ihre Kloaken aneinander zu bringen – ebenfalls keine einfache Aktion – und nach einigem Geflatter ist es schließlich geschafft!

Normalerweise putzen sie sich dann erst einmal tüchtig und sehen immer ein bisschen aus, als wäre nichts gewesen. Aber es war eben doch was. Und deswegen können wir morgen im dritten und letzten Teil der Möwenstory einen Blick in die Nester werfen! Ob wohl schon ein Küken geschlüpft ist?

Bis morgen!

Till Holsten

Vogelwart 2022