Rastvögel zählen auf Trischen – die Springtidenzählung
Eine meiner Aufgaben hier auf Trischen ist die regelmäßige Erfassung der Rastvögel: Die Springtidenzählung – kurz STZ. Ziel dieser Zählung ist es, den Rastvogelbestand zu erfassen. Es geht darum, die Anzahl der Vögel zu dokumentieren, die im Wattenmeer eine Pause einlegen. Hier fressen sie sich satt, um gestärkt weiter in ihre Brutgebiete zu fliegen bzw. im Herbst in ihre Überwinterungsgebiete. Das Wattenmeer spielt dabei eine Schlüsselrolle: Es ist eines der bedeutendsten Rastgebiete für Zugvögel auf dem ostatlantischen Zugweg.
Die STZ ist Teil des „Trilateral Monitoring and Assessment Program (TMAP)“, das bereits 1987 von den Umweltministerien Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande ins Leben gerufen wurde. Wer dazu mehr wissen möchte kann hier nachlesen: TMAP. Die Zählung findet also nicht nur auf Trischen statt, sondern wird zeitgleich alle 15 Tage entlang der gesamten Westküste Schleswig-Holsteins von vielen Zählerinnen und Zählern durchgeführt – stets rund um Voll- oder Neumond. In dieser Phase laufen die Hochwasser besonders weit auf, wodurch sich die Vögel nicht über das gesamte Watt verteilen, sondern auf Sandbänken und in Küstennähe sammeln. Das erleichtert die Zählung enorm, da die Tiere dann gut sichtbar und erfassbar sind.
Diese Woche ist es wieder soweit, denn letzten Sonntag war Neumond: Bewaffnet mit Spektiv, Fernglas, Zähluhren und Notizblock machte ich mich zwei Stunden vor Hochwasser auf den Weg. Zunächst vom Aussichtsturm aus mit Blick in die Südostbucht, dann weiter zu Fuß entlang des Strandes – über die Südspitze zur Nordspitze. Abschnitt für Abschnitt, Art für Art: klick, klick, klick.

Alles was man für eine Springtidenzählung braucht: Spektiv, Fernglas, Zähluhren, Notizbuch und gutes Wetter
Das Ergebnis der letzte STZ: Insgesamt 7.042 Vögel von 26 verschiedenen Wasservogelarten. Das klingt nach sehr viel, die Vögel müssen aber innerhalb von etwa fünf Stunden gezählt werden, sonst ist das Wasser schon wieder zu weit abgelaufen, die Vögel fliegen wieder auf die Wattflächen und sind nicht mehr so leicht zu zählen. Nicht alle der gezählten Vögel sind Rastvögel, einige brüten auch auf Trischen, aber um es nicht zu kompliziert zu machen werden alle Wat- und Wasservögel gezählt. Am häufigsten vertreten war der Alpenstrandläufer mit rund 1.600 Individuen, dicht gefolgt von etwa 1.300 Silbermöwen. Zudem rasten derzeit ungefähr 800 Ringelgänse auf Trischen.

Rastend und Nahrung suchend: Ringelgänse, Löffler, Silber- und Heringsmöwen
Die gesammelten Daten fließen in eine zentrale Erfassung ein – und das nun schon seit fast 38 Jahren. Auf dieser Grundlage entsteht ein präziser Überblick über die Arten, die Anzahl und Zeiträume, der Rastvögel im Wattenmeer. Daraus lassen sich Trends ableiten. Eine Studie von 2022 zeigt: Von 34 häufigen Rastvogelarten im Wattenmeer haben zwischen 1987 und 2020 sieben Arten zugenommen, 14 blieben stabil – und 13 Arten sind in ihrer Anzahl deutlich zurückgegangen. Auch vermeintlich häufige Arten wie der Alpenstrandläufer oder die Silbermöwe sind rückläufig. Die Zahl der Ringelgänse ist zwar gesunken, hat sich in den letzten Jahren jedoch auf einem stabilen Niveau eingependelt. Im Gegensatz dazu haben etwa Weißwangengänse und Löffler in ihrer Anzahl zugenommen (Kleefstra et. al., 2022).
Warum sich diese Entwicklungen so unterschiedlich zeigen, ist bisher unklar. Der Vogelzug ist ein hochkomplexes System, dessen Einflussfaktoren vielfältig sind – sowohl in den Brut- als auch Überwinterungsgebieten, aber auch entlang der Zugwege. Auffällig ist, dass Arten, die sich von Würmern und Muscheln ernähren, eher abnehmen als Pflanzen-, Fisch- oder Garnelenfresser. Mögliche Gründe: Klimawandel, Eutrophierung des Wattenmeeres, Muschelfischerei, invasive Arten – und damit einhergehend ein verändertes Nahrungsangebot (van Roomen et. al., 2012).
Eines steht fest: Es braucht noch viel Forschung, um die Ursachen dieser Entwicklungen wirklich zu verstehen – und um gezielte Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Genau deshalb ist es umso wichtiger, den Bestand der Rastvögel weiterhin regelmäßig zu überwachen.
Am Ende meiner Springtidentzählung bin ich zwar geschafft – aber auch beeindruckt von der Vielzahl der Vögel und glücklich, Teil dieser wichtigen Arbeit zu sein. Und in zwei Woche ist es dann schon wieder soweit: Wenn die nächste Springtide zu Vollmond ansteht, werde ich erneut losziehen – zum Rastvögel zählen.
Bis bald, eure Mareike Espenschied