Verordnung zur Pestizidreduktion überwindet wichtige Hürde im Europäischen Parlament

30.10.2023: Der Umweltausschuss des Europaparlaments hat mit einer zwar knappen, aber doch ausreichend komfortablen Mehrheit für die Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (SUR) gestimmt. Diese soll die Einsatzmenge und das Risiko durch Pestizide europaweit um 50 % reduzieren. Die heutige Entscheidung des Umweltausschusses ist ein wichtiger Schritt für ein grüneres Europa und eine umweltfreundlichere Landwirtschaft. Nun brauch der Gesetzesvorschlag als nächstes eine Mehrheit des gesamten Parlaments, welches vom 20-23. November tagt. 

Die rechts-konservativen Fraktionen bestehend aus der Europäiscchen Volkspartei (EVP), der rechtskonservativen ECR- und der rechtsnationalistischen ID-Fraktion wollten die SUR komplett ablehnen. Alle anderen Parteien wie die sozialdemokratische S&D, die Grünen und die liberale RENEW-Fraktion hatten sich im Vorfeld auf Kompromisse bezüglich umstrittener Artikel zu sensiblen Gebieten, Totalverboten, verpflichtende kulturspezifische Regelungen etc. geeinigt. Damit sollen Mängel der 2009 in Kraft getretenen SUD-Richtlinie (Richtline 2009/128/EG) bezüglich des integrierten Pflanzenschutzes (IPS) beseitigt werden. Diese hatte aufgrund schwammiger Definitionen und mangelnder verbindlicher Vorgaben kaum Auswirkungen auf den Pestizideinsatz gehabt. 

Wie geht es nun weiter?

Im Vorfeld hatte die EVP versucht die gesamte SUR zu kippen und zusätzlich eigene Kompromissvorschläge eingereicht, die jedoch deutlich ambitionsloser als die Vorschläge der progressiven Koalition waren. Untersuchungen von DeSmog zeigen, dass u.a. die EVP intensiv von der Industrie lobbyiert wurde und mit dieser verbandelt ist. In ihrem Pressestatement drückte die grüne Berichterstatterin Sarah Wiener ihren Unmut über die Blockade von EVP & Co. und ihre Enttäuschung über deren mangelnde Kompromissbereitschaft aus.  

Trotz dieser wichtigen Entscheidung des Umweltausschusses ist die SUR noch lange nicht in trockenen Tüchern: Der rechts-konservative Flügel wird weiter gegen die SUR mobilisieren. Dadurch, dass der Agrarausschuss am 09.10.2023 gegen den Artikel 43 gestimmt hat, in dem es um eine mögliche Finanzierung einer Pestizidreduktion für Landwirt*innen aus GAP-Mitteln geht, hat die SUR einen Rückschlag erlitten. Landwirt*innen dürften hiernach bei der Transformation hin zu einer pestizidfreieren Landwirtschaft kaum von der EU unterstützt werden. Ein enttäuschendes Signal. Die Position des Umweltausschusses bildet eine akzeptable Grundlage für weitere Verhandlungen. Im Hinblick auf die Abstimmung im Europaparlament muss nun weitere Überzeugungsarbeit geleistet werden, um eine robuste Mehrheit bei der Plenarabstimmung zu erlangen. 

Wie der Rat sich positioniert, ist auch noch ungewiss. Unter spanischer Ratspräsidentschaft ist jedenfalls keine allgemeine Ausrichtung zu diesem Dossier geplant. Diese kann also frühestens im ersten Halbjahr 2024 unter belgischer Ratspräsidentschaft erfolgen. Erst hiernach kann es zu den Trilogverhandlungen und sodann zu einem Inkrafttreten des Gesetzes kommen. 

Das muss allerdings jetzt schnell geschehen, damit die SUR noch vor der Europawahl Mitte nächsten Jahres verabschiedet wird. Die Zeit rennt uns davon und das Handlungsfenster zum Aufhalten der Biodiversitätskrise schließt sich immer schneller. Die Wissenschaft und Bürger*innen zeigen klar, wie wichtig eine Pestizidreduktion zum Erhalt der Biodiversität und Gesundheit ist. Insbesondere Insekten und Vögel leiden stark unter der modernen Landwirtschaft, die massiv auf chemisch-synthetische Pestizide und Dünger setzt. Nach wie vor sind viele Bürger*innen über die Auswirkung von Pestiziden auf Umwelt und Gesundheit besorgt, wie zuletzt eine Umfrage von IPSOS oder die Bürgerinitiative “Save the bees and famers” mit über 1 Mio. Unterstützer*innen zeigen konnten.  

Aus unserer Sicht ist die SUR als Teil des Europäischen Green Deals ein wichtiger Baustein für die Transformation hin zu einer Landwirtschaft, die ihre Produktionsgrundlagen wie Böden, Wasser und Biodiversität schützt und nicht schadet. Der Schutz der Biodiversität und anderer Ressourcen bedeutet auch Schutz für unsere Ernährungssysteme! Denn nur eine intakte Natur und funktionierende Ökosysteme bilden langfristig die Grundlage für produktive, resiliente Landwirtschaft.  

Was ist aus unserer Sicht gut gelaufen?

  • Prinzipiell positiv zu bewerten sind unserer Meinung nach folgende Aspekte:
    Die SUR bleibt nach wie vor eine verbindliche Verordnung und ist nicht zu einer unverbindlichen Direktive verwässert worden, wie 11 Staaten es noch im Vorfeld versucht hatten.  
  • Der integrierte Pflanzenschutz (IPS) wurde an vielen Stellen konkretisiert und es wurden kulturspezifische Regeln eingeführt. 
  • Es soll eine unabhängige Beratung für Landwirt*innen zum IPS geben 
  • Die Kompromisse zu sensiblen Gebieten bleiben als solches erhalten. In sensiblen Gebieten sollen keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel mehr zum Einsatz kommen dürfen. 
  • Wichtige neue Artikel wie ein Monitoring von Pestizidrückständen und ihren Metaboliten in der Umwelt und in Menschen wurden ergänzt. Der Export von in der EU verbotenen Pestizide soll gestoppt werden; zudem soll ein Importverbot von Lebensmitteln, die mit diesen Pestiziden behandelt worden sind, umgesetzt werden.

Was ist unsere Analyse im Detail?

 1. Hochgefährliche Pestizide

Das Reduktionsziel liegt nach wie vor bei 50 %, was aus unserer Sicht ein akzeptabler Kompromiss ist. Für sogenannte Substitutionskandidaten, also Wirkstoffe, die von der EU als besonders schädlich und als zu ersetzen eingestuft wurden, liegt das Reduktionsziel bei 65 %. Im ursprünglichen Vorschlag von Sarah Wiener, der federführenden Berichterstatterin der SUR, waren 80 % gefordert. Aus unserer Sicht sind 65 % Reduktion für die hochgiftigen Substitutionskandidaten zu wenig, zumal diese eigentlich schon längst hätten ersetzt bzw. verboten werden sollen. 

2. Sensible Gebiete und Pufferzonen

Nach wie vor ein großer Streitpunkt sind die sensiblen Gebiete. In der Ursprungsversion der Kommission hatte die Größe der sensiblen Gebiete für viel Unmut gesorgt, da nach einer gewissen Lesart auch Landschaftsschutzgebiete (LSG), die einen relativ großen Flächenanteil in Deutschland haben, hätten mit einbezogen werden können. Dies ging aber vielen Akteuren und auch dem NABU zu weit, zumal LSG nicht primär dem Naturschutz dienen müssen, sondern andere Zwecke verfolgen können. Die sensiblen Gebiete umfassen nach wie vor Gebiete, die von der Öffentlichkeit genutzt werden (Siedlungen, Parks, Spielplätze etc.) sowie Gebiete, die explizit dem Wasser- und Artenschutz (z.B. Natura2000-Gebiete) dienen. Darüber hinaus können sie von den Mitgliedsstaaten selbst gegenüber der EU in der gemeinsamen Datenbank für Schutzgebiete (CDDA) festgelegt werden. Aus unserer Sicht ist es in Ordnung, dass hier den Mitgliedstaaten Spielraum gewährt wird, allerdings sollten die Pufferzonen um sensible Gebiete deutlicher größer ausfallen. Aktuell sind es 3 m für alle sensiblen Gebiete ausgenommen öffentliche Flächen wie z.B. Parks oder Spielplätze, wo der Abstand 5 m betragen soll. Aus unseren Augen ist der Abstand insbesondere zu letzteren zu wenig, da Pestizide sich auch über weite Strecken z.B. über die Luft verbreiten können. Hier sollte nachgebessert und der Abstand auf mindestens 100 m vergrößert werden, um insbesondere vulnerable Personen wie Kinder, Schwangere oder ältere Menschen besser zu schützen. Ein 3 m Abstand zu den restlichen sensiblen Gebieten ist nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass z.B. in Deutschland der Abstand zu Gewässern laut Pflanzenschutzanwendungsverordnung mindestens 10 m (bei einjähriger Pflanzendecke 5 m) betragen muss. 

3. Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten

Auch wurde sich drauf geeinigt, dass Biokontrollmittel und alle Pflanzenschutzmittel, die im Ökolandbau zugelassen sind, auch in sensiblen Gebieten erlaubt sein dürfen. Hier sind jedoch Ausnahmen möglich, falls es keine “technischen oder ökonomisch durchführbaren” Alternativen geben sollte. An sich begrüßen wir es, dass eine umweltfreundlichere Landwirtschaft prinzipiell ermöglicht wird, sehen jedoch das Ausnahmeverbot kritisch. Hier sollte unbedingt drauf geachtet werden, dass Ausnahmen nur in Extremfällen zulässig sind, wenn alle anderen nicht-chemisch Maßnahmen nicht mehr wirken.

4. Integrierter Pflanzenschutz und kulturspezifische Regeln

Der Kompromiss besagt weiterhin, dass jeder Mitgliedsstaat kulturspezifische Regeln für die fünf wichtigsten Kulturen in ihren jeweiligen nationalen Aktionsplänen definieren und verbindlich umsetzen soll. Die Aktionspläne sollen spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten der SUR fertiggestellt und nach spätestens 30 Monaten auf 60 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche (ausgenommen z.B. Grünland) angewendet werden. Das ist aus unserer Sicht zu begrüßen, da nun ein verbindliches Ziel festgelegt wurde, auch wenn IPS eigentlich schon längst hätte umgesetzt werden sollen. Außerdem ist es kritisch, dass keine konkreten Konsequenzen definiert wurden, die greifen, falls diese Ziele nicht eingehalten werden. Zudem kann ein Pestizideinsatz auf Basis relativ offen formulierter Begründungen gerechtfertigt werden wie z.B. wetterbedingte Ausnahmen. 

5.  Monitoring und Transparenz

Außerdem sollen Daten zur Anwendung des IPS und von PSM aufgezeichnet und gemäß der Aarhus Vereinbarung der Öffentlichkeit transparent zugänglich gemacht werden. Ein europaweites Einsatzdatenregister würde die wahren Auswirkungen des Pestizideinsatzes deutlicher machen und ist wichtig für eine evidenzbasierte Debatte, was wir sehr begrüßen!

6.Unabhängige Beratung

Des Weiteren wurde in der Positionierung des Umweltausschusses des Parlaments beschlossen, dass die Mitgliedstaaten ein unabhängiges Beratungssystem zum IPS etablieren und finanzieren sollen, im Rahmen dessen eine kostenlose Beratung pro Jahr in Anspruch zu nehmen ist. Dies ist an sich sehr gut und wichtig, jedoch dürfen andere, z.B. von der Industrie finanzierte “Beratungen” mit denen sie aber hauptsächliche ihre Produkte vertreiben wollen, weiterhin möglich bleiben. Dies sehen wir sehr kritisch! Beratung sollte unabhängig sein und darf sich nicht nach den profitgeleiteten Interessen der Industrie richten! Daher das unabhängige Beratungssystem personell, fachlich und finanziell so gut aufgestellt werden, dass Beratungen der Industrie ihre Bedeutung verlieren.

7. Der Indikator und die Referenzjahre

Der umstrittene Harmonized Risk Indicator (HRI1), also der Indikator, der von der EU verwendet wird, um das Risiko und die Menge des Pflanzenschutzmitteleinsatzes zu monitoren, ist leider nicht komplett ersetzt worden oder nachgebessert worden.  In diesem Video erfahrt ihr mehr über den Indikator und warum er irreführend ist.  Wir fordern eine Grunderneuerung oder Ersetzung des Indikators! Die Referenzjahre wurden von 2015 –2017 auf 2013 – 2017 verschoben. Dadurch wird das Ambitionsniveau etwas abgeschwächt, weil so eine Reduktion aus der Vergangenheit mit einbezogen wird, was dazu verleiten könnte, in der Gegenwart weniger zu tun. 

 

 

1 Kommentar

Dr. Stefan Parisi

30.10.2023, 17:43

Das Sterben auf den Äckern muss aufhören: über 80 % der Insektenmasse ist weg, jeder 2. Bodenbrüter vor dem Kollaps,,,,,,,das Aussterben vor unserer Haustür ist menschengemacht, aus reiner Profitgier

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