Pestizide: Sustainable Use Regulation (SUR) unter Beschuss

19.12.2022: Die Sustainable Use Regulation (SUR) ist eine EU-Verordnung zur Reduktion der ausgebrachten Menge und des Risikos und zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM), die im Juni 2022 von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurde. Wir reagierten seinerzeit mit einer ersten Einschätzung. Seitdem ist der Verordnungsvorschlag Gegenstand hitziger Debatten zwischen NGOs, Politiker*innen, der Agrarchemieindustrie und Bauernverbänden. Im Rahmen des Ukraine-Krieges wurde von allen Mitgliedsstaaten außer Deutschland eine Abschätzung der Auswirkungen des Krieges auf die Ernährungssicherheit in Europa seitens der Kommission gefordert. Seit heute steht fest, dass diese angefertigt werden muss mit möglicherweise reitweichenden Konsequenzen für die Natur. 

Was ist die Geschichte der SUR? 

Die SUR ist Teil des 2019 von der EU-Kommission präsentierten “European Green Deal”, welcher durch die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 und die “Farm to Fork”-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) konkretisiert wird. Der Gesetzesvorschlag sieht insbesondere vor, dass die Einsatzmenge und die Risiken von Pestiziden um 50 % bis 2030 reduziert werden sollen. Außerdem soll ein Totalverbot für PSM in sogenannten sensiblen Gebieten wie bspw. Wasserschutzgebieten, Naturschutzflächen, FFH-Gebiete o.ä. erfolgen. So sollen die Ziele der Nahrungsmittelproduktion und des Umwelt- bzw. Artenschutzes in Einklang gebracht werden. Dieses Ziel verfolgt auch die EU-Pestizid-Richtlinie (2009/128/EG), ist darin aber bisher wenig erfolgreich.  Die nun vorgeschlagene SUR, mit ihren verbindlichen Reduktionszielen, ist auch eine Reaktion auf diese Ineffektivität der EU-Pestizid-Richtlinie.

Verkäufe von PSM in der EU im Zeitraum 2011-2017 (Quelle: ECA, basierend auf Daten der Eurostat Webseite)

Warum ist die SUR wichtig?

Die Notwendigkeit der SUR besteht aus Sicht des NABU darin, dass aufgrund der seit langem bekannten und belegten ökologischen Krisen wie dem Biodiversitätsverlust es höchste Zeit wird, konkrete und verbindliche Ziele zum Ausstieg aus PSM festzulegen. PSM sollten laut dem Konzept des Integrierten Pflanzenschutzes (IPS) nur ab einer gewissen Schadschwelle und im äußersten Notfall angewendet werden und nicht als routinemäßige Standardprozedur. Die Ziele des IPS sind auch in der EU-Pestizid-Richtlinie verankert worden, aber geändert hat sicher bisher wenig. Dies liegt vor allem an der mangelnden Konkretisierung und Umsetzung durch die Mitgliedstaaten.

Abbildung der insgesamt ausgebrachten Pestizide in t in der EU im Jahr 2019 (Quelle: Pestizidatlas 2022)

In Deutschland werden die Reduktionsziele der “Farm to Fork”-Strategie und der EU-Pestizid-Richtlinie (2009/128/EG) teils im Nationalen Aktionsplan (NAP) im Auftrag des BMEL verfolgt. Gesetze wie das Pflanzenschutzgesetz und die darin enthaltene Pflanzenschutzanwendungsverordnung (PflSchAnwV) und Bienenschutzverordnung (BienSchV) sind wichtige Beschlüsse, um den Einsatz von PSM in Deutschland zu reduzieren und den IPS zu fördern. Auch das Insektenschutzgesetz des BMUV aus dem Jahr 2021 verfolgt eine Reduzierung von PSM in bestimmten Gebieten. Trotz dessen hat sich die Menge der in Deutschland eingesetzten PSM kaum verändert. Das umstrittene Glyphosat beispielsweise, welches 2024 in Deutschland seine Zulassung verlieren soll, ist nach wie vor eines der meistverkauften und angewandten Wirkstoffe in Deutschland.

Was ist der aktuelle Stand der SUR?

Die SUR ist nach wie vor umstritten und wird viel diskutiert. Die Kritik an der SUR richtet sich insbesondere auch an das vorgesehene Anwendungsverbot (Artikel 18), das laut Verordnungsentwurf auch alle sogenannten CDDA-Gebiete umfasst. Das sind Gebiete, die von den Mitgliedsstaaten als Schutzgebiete ausgewiesen wurden. In Deutschland fallen darunter auch Landschaftsschutzgebiete (LSG), die ca. ein Viertel der gesamten Landesfläche ausmachen und in denen häufig auch Landwirtschaft betrieben wird. Auch das grün geführte Bundeslandwirtschaftsministerium hält ein Anwendungsverbot von PSM in LSG für zu weitreichend. Als Reaktion auf den massiven Druck gab die Kommission bereits zu erkennen, dass es bei der Frage der Definition sensibler Gebiete kompromissbereit ist.

Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wird nun das Argument vorgehalten, dass die Ernährungssicherheit in Gefahr sei, da die Ukraine einer der größten Exporteure von Agrarerzeugnissen wie Weizen oder Sonnenblumenöl ist. Von allen Mitgliedstaaten außer Deutschland wurde daher ein sogenanntes ergänzendes Impact Assessment (IA) gefordert, welches die Auswirkungen der SUR auf die Ernährungssicherheit im Kontext des Krieges beleuchten soll. Am 19.12.2022 wurde diese Forderung in einem Treffen des Energierats dann formal beschlossen. Die Kommission hat nun sechs Monate Zeit das ergänzende IA zu erstellen. Nichtsdestotrotz sollen die Verhandlungen zur SUR während dieser Zeit fortgeführt werden. Das ist aus NABU-Sicht positiv zu bewerten, denn eine zu starke Verzögerung des Gesetzgebungsprozesses könnte dazu führen, dass dieser nicht mehr vor Ende der aktuellen Legislaturperiode – und damit überhaupt nicht mehr – abgeschlossen werden kann.

Fakt ist, dass in der EU jedes Jahr mehr als 150 Millionen Tonnen an Lebensmitteln verschwendet werden, weil sie beispielsweise optische Makel aufweisen. Außerdem gehen durch die ineffiziente und flächenintensive Tier- und Agrospritproduktion Unmengen an Flächen verloren, auf denen eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion für die Menschen möglich wäre. Die Verringerung der Lebensmittelverschwendung, der Abbau der Tierzahlen und eine andere Förderpolitik mit Blick auf Agrartreibstoffe sind also wesentlich effektivere Hebel zur Verbesserung der Ernährungssicherheit. Auf diese Tatsache haben auch über 600 Wissenschaftler*innen in einem offenen Brief deutlich hingewiesen. Auch mit Blick auf das internationale Engagement der EU ist eine Verzögerung der Pestizidreduktionspläne der falsche Weg: Während sich die EU einerseits auf der COP-15, der internationalen Konferenz zur Biodiversität in Montreal, für eine einschneidende Reduktion von PSM einsetzt, lässt sie es andererseits zu, dass ein wesentlicher Gesetzesentwurf, der genau dies in der EU bewirken würde, verzögert oder sogar auf Eis gelegt wird. Aus Sicht des NABU ist ein weiteres IA jedoch nicht erforderlich. Das bereits erstelle IA hat die strenge Prüfung des Regulatory Scrutiny Boards, ein kommissionsinternes Kontrollgremium, das Gesetzgebungsvorschläge vor der Veröffentlichung überprüft, bestanden.
Außerdem wird mit dem erwähnten Kompromissvorschlag seitens der Kommission zu sensiblen Gebieten die von einem Anwendungsverbot betroffene Fläche bereits erheblich verkleinert.
Zudem ist es wissenschaftlich bereits belegt, dass die Klima- und Biodiversitätskrise mittel- und langfristig die größten Gefahren für die Ernährungssicherheit sind. Um Ernährungssicherheit effektiv zu sichern, muss daher gerade auch im Bereich PSM schnell und entschieden gehandelt werden. Mitte Dezember haben deshalb hunderte Wissenschaftler*innen gegen eine Verzögerung des Gesetzgebungsprozesses der SUR aufgerufen.

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Autoren: Matti Gurreck und Maximilian Wulfheide

 

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