Die Doppelstandards der EU – Pestizidpolitik
05.07.2023: Die EU hat sich mit dem Green Deal das Ziel gesetzt, Ökosysteme wie Wälder, Flüsse oder Wiesen vor den Auswirkungen von Pestiziden zu schützen und sie resilienter gegen Bedrohungen wie die Biodiversitätskrise zu machen. Doch während sie scheinbar die Gefahr durch Pestizide auf die Artenvielfalt und somit auch die Nahrungsmittelproduktion erkannt hat, gefährdet sie diese in anderen Ländern durch Exporte von hochgefährlichen Pestiziden, die in der EU selbst verboten sind. Profiteure dieser Doppelmoral sind die Konzerne, die diese Mittel nach wie vor herstellen und hauptsächlich in die ärmeren Länder des globalen Südens mit geringeren Standards verkaufen. Die Rechnung zahlen die Menschen und die Natur…
Freihandelsabkommen als Schlupfloch für verbotene Pestizide
Die fünf größten Pestizidkonzerne erzielen bereits heute über ein Drittel ihrer Pestizidumsätze mit Wirkstoffen, die PAN, das Pestizid Aktions-Netzwerk, als hochgefährlich einstuft. Diese Stoffe haben laut der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO ein besonders hohes Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt. Das aktuell geplant Freihandelsabkommen Mercosur zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und der EU könnte dazu führen, dass die Zölle auf EU-Exporte von Pestiziden in diese Staaten gesenkt werden. So könnten mehr und mehr Mittel, die in der EU keine Zulassungen mehr haben, weil sie zu schädlich für Mensch und Umwelt sind, dort zum Einsatz kommen. Brasilien zum Beispiel hat einen großen Agrarsektor und ist einer der Staaten mit dem höchsten Pestizideinsatz weltweit.
Abbildung 1: Die drei größten EU-Exporteure und die drei größten Importeure von Pestiziden ohne EU-Zulassung, 2018 in Tonnen. Quelle: Pesitzid-Atlas der Heinrich-Böll-Stiftung (2022)
Profite auf Kosten der Umwelt..
Das Mercosur-Abkommen könnte gravierende Folgen für die Umwelt haben, insbesondere für Südamerikas sensible und wertvolle Regenwälder, die ohnehin schon unter massivem Druck stehen, z.B. durch Abholzung und Urbarmachung von Land. Pestizide und Dünger stehen an zweiter Stelle nach intensiver Landwirtschaft und Urbanisierung als Ursache des Insektensterbens. Laut einer Studie von Greenpeace hatten im Februar 2023 63 % der in Brasilien zugelassenen Wirkstoffe keine entsprechende Zulassung in der EU und mehr als zwei Drittel der Wirkstoffe, die die deutschen Unternehmen in Brasilien verkaufen, sind als hochgefährliche Pestizide eingestuft.
Dadurch könnten zum Beispiel Wirkstoffe aus der Gruppe Neonikotinode wie Thiamethoxam, Imidacloprid, Clothianidin, die in der EU seit 2018 im Außenbereich verboten sind, dort sehr wahrscheinlich vermehrt zum Einsatz kommen. Diese können bereits in geringen Dosen das Lern- und Orientierungsvermögen von Bienen negativ beeinträchtigen. Thiacloprid, ebenfalls ein Neonikotinoid, hat in der EU keine Zulassung mehr, da es das Grundwasser verunreinigen kann. 2021 wurden mehr als 13 000 Tonnen Neonikotinoide aus der EU exportiert. Fast die Hälfte der Exporte ging nach Brasilien auf die ausgedehnten Sojaplantagen, um billiges Futter für die Fleischindustrie zu produzieren. Ein weiteres Beispiel in diesem Kontext ist das Insektizid Chlorpyrifos, welches giftig für Fische und Bienen und sehr toxisch für Amphibien ist und vermutlich eine endokrine Wirkung hat. Chlorpyrifos-oxon, das Abbauprodukt dieses Wirkstoffs, ist für Amphibien sogar noch toxischer als das Ausgangsprodukt.
Auch in anderen Ländern des globalen Südens, in die die meisten solcher verbotenen Pestizide exportiert werden, sieht die Lage nicht besser aus. In Kenia z.B. sind insgesamt 230 Wirkstoffe registriert. 123 davon gehören zu den hochgefährlichen Pestiziden, von denen wiederum 51 Wirkstoffe wie Atrazin oder Trichlorfon in der EU keine Zulassung haben. Atrazin ist dafür bekannt geworden, dass es bereits in geringen Dosen die Entwicklung von männlichen Fröschen beeinträchtigen kann, woraufhin diese feminisiert und unfruchtbar werden können. Trichlorfon ist sehr giftig für aquatische Organismen mit langfristiger Wirkung.
… und auf Kosten der Menschen
Nicht nur die Umwelt, sondern auch die menschliche Gesundheit wird dadurch gefährdet, sowohl in den Erzeugerländern als auch in den Ländern, die die Nahrungsmittel importieren. In manchen Erzeugerländern wie z.B. in Brasilien werden verbotene Pestizide teils noch per Flugzeug auf die Felder versprüht und gelangen durch Wind auch auf anliegende Höfe, Felder und Dörfer. Dabei kommen Wirkstoffe wie das wahrscheinlich krebserregende Epoxiconazol zum Einsatz, welches in der EU seit 2019 nicht mehr zugelassen ist. Laut einem Bericht der UNEP gibt es weltweit jährlich etwa 385 Millionen akute und chronische Vergiftungen und circa 11.000 Tote durch toxischen Pestizideinsatz. Das oben bereits erwähnte Chlorpyrifos ist nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern kann auch in kleinen Dosen bereits Auswirkungen auf die Entwicklung der Gehirne von Kindern haben und wurde daher in der EU 2019 verboten. Es wird jedoch immer wieder auf importierten Lebensmitteln wie Mandarinen oder Orangen nachgewiesen.
Denn ironischerweise können durch Importe von Erzeugnissen aus Drittländern verbotene Pestizide wieder in den hiesigen Supermärkte gelangen. Auf Antrag des Lieferanten können sogenannte Importtoleranzen festgelegt werden. So ein Antrag kann gestellt werden, wenn beispielsweise bestimmte Wirkstoffe in der EU keine Zulassung haben oder abweichende Rückstandshöchstmengen gelten. Somit soll eine Einfuhr überhaupt ermöglicht und der internationale Handel erleichtert werden. Seit 2008 gab es dazu 159 Anträge auf Festlegung oder Änderung einer Höchstmenge, 78 wurden stattgegeben. Der EU-Rat widersetzt sich jedoch der Überarbeitung der Importtoleranzen und gefährdet damit die Gesundheit von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen.
In einem Bericht des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) von 2021 wurden insbesondere an Granatäpfeln und bei vielen anderen Obst und Gemüsesorten sowie Kräutern und Sesamsamen, Überschreitungen des Rückstandshöchstgehaltes festgestellt und beanstandet. Eine Beanstandung bedeutet, dass eine Warnung für die betroffenen Lebensmitteln rausgegeben wird, wenn Gefährdungen für die Gesundheit nicht auszuschließen sind. Die Beanstandungen bei Granatäpfeln waren vor allem auf das bereits erwähnte Acetamiprid (zehn von 19 beanstandeten Proben) zurückzuführen. Bei frischen Kräutern führten vornehmlich Überschreitungen des Höchstgehaltes von Fipronil und Profenofos bei elf von 21 Proben von indischem Wassernabel aus Sri Lanka zu Beanstandungen. Weder Acetamiprid noch Profenofos sind in der EU zugelassen, Fipronil unterliegt sehr starken Auflagen. Bei Lebensmitteln aus nicht EU-Ländern war die Anzahl der Beanstandungen deutlich höher als die von Lebensmitteln aus EU-Ländern (7,1 % zu 0,8 %).
Tabelle 1: Liste von auf Pestizidrückstände untersuchten Lebensmittel vom BVL aus dem Jahr 2021. Inbesondere Granatäpfel aus der Türkei sind sehr stark belastet, teils mit in der EU-verbotenen Pestiziden. Quelle: BVL (2021)
Was macht die Politik?
Die EU hat in ihrer „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ sich bereits 2020 dazu bekannt, den Export von verbotenen, gefährlichen Chemikalien zu stoppen, passiert ist bisher jedoch wenig. Einige Staaten in Europa wollen sich daher alleine auf den Weg machen. Deutschland und Frankreich wollen dabei mit gutem Beispiel vorangehen und sich sowohl national als auch auf EU-Ebene für einen Exportstop nicht zugelassener Pestizide einsetzen. In Frankreich z.B. trat ab 2022 ein Gesetz in Kraft, das die Herstellung, Lagerung und den Export von Pestiziden verbietet, die in der EU nicht zugelassen sind. Auf den ersten Blick ein gutes Unterfangen. Auf den zweiten Blick werden jedoch riesige Schlupflöcher offenbar, so dass Frankreich de facto immer noch verbotene Pestizide exportiert.
Deutschland will es Frankreich nachmachen und hat daher Ende Juni 2023 ein Entwurf für eine Verordnung über ein Verbot der Ausfuhr bestimmter Pflanzenschutzmittel veröffentlicht. Dieser entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch eher als halbgare Enttäuschung. Demnach sollen 180 Wirkstoffe für den Export verboten werden. Vergleicht man diese Zahl mit der Zahl aller Wirkstoffe, die in der EU verboten sind, sind dies nur ein Drittel der erbgutschädigenden Stoffe, ein Viertel der krebserregenden Stoffe und 20 Prozent der reprotoxischen Stoffe, also die Fortpflanzung gefährdenden Stoffe.
Sehr problematisch ist dabei die Tatsache, dass nicht die Wirkstoffe selbst, sondern nur das Endprodukt, also das fertige Pflanzenschutzmittel verboten werden soll. Durch dieses Schlupfloch können Chemiekonzerne die gefährlichen Substanzen weiterhin exportieren, nur endgefertigt werden sie eben woanders. Deutschland hat im letzten Jahr rund 28 in der EU verbotene Stoffe zum Export angemeldet. 2021 betrug die Menge an Wirkstoffen noch 9 280 Tonnen, ein Jahr später hat sich diese Menge auf 18 360 Tonnen verdoppelt.
Das BMEL muss jetzt mit gutem Beispiel vorangehen und diese Schlupflöcher sofort schleißen. Es muss sich darüber hinaus für ein ambitioniertes Gesetz einsetzen, so dass in der gesamten EU der Handel mit gefährlichen Pestiziden endlich aufhört zum Schutz der Menschen und der Natur. Außerdem profitieren dadurch auch die Landwirt*innen in der EU, denn durch einheitliche Standards bleibt der Wettbewerb fair.
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- Verordnung zur Pestizidreduktion überwindet wichtige Hürde im Europäischen Parlament - 30. Oktober 2023
- Die Doppelstandards der EU – Pestizidpolitik - 5. Juli 2023
- Pestizide: Sustainable Use Regulation (SUR) unter Beschuss - 19. Dezember 2022
3 Kommentare
Julius Schult
05.07.2023, 16:52Ja genau, wir machen mit dem GreenDeal die europäische Landwirtschaft kaputt, obwohl sie die umweltverträglichste Landwirtschaft der Welt ist. Je mehr wir die europäische Landwirtschaft durch noch höhere Auflagen zerstören, desto mehr zerstören wir anderswo den Regenwald, versalzen die Wüsten und holen uns belastete Lebensmittel zu uns die es so bei uns nicht gibt. Das ist keine Nachhaltige Umweltpolitik. Wir zerstören die heimische Ladwirtschaft und durch die Importe zerstören wir mehr als wir bei uns gut machen. So sieht kein Klimaschutz aus. :-( Vielen Dank NABU und Co.
AntwortenManfred Schumann
06.07.2023, 11:28Solange eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, nämlich die FAO, unter mafiösen Strukturen weltweit hochgradig giftige Substanzen in der Welt verteilt, wird sich auch innerhalb Europas wenig ändern. Nachfolgende Erklärungen und Beschreibungen sind aus Wikipedia entnommen. Im Vorfeld möchte ich über eine Organisation berichten, die sicherlich nicht viele, meine Person mit eingeschlossen auf dem Schirm hatten. Es handelt sich hierbei um eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Rom, die grob gesagt Strategien und Maßnahmen entwickeln soll, die, die Sicherung der Welternährung unter Berücksichtigung des selbst auferlegten Codes Alimentarius (siehe unten) sicherstellen soll. Kritik an der FAO, gibt es schon seit den Jahren 2013, aber seit 2019 als der neue FAO Director-General QU Dongyu ins Amt gewählt wurde, passieren Dinge, die sind unglaublich. Allein schon das Procedere der Wahl ist hochgradig skandalös, und Deutschland ist jährlich mit gut 100 Millionen Euro, einer der Haupteinzahler in diese Organisation die zwischen 3000 bis 3500 Beschäftigte hat. Dazu empfehle ich dringend in der ARD-Mediathek die DOKU „CHINA MACHT ESSEN“ zu schauen, da kommt man unweigerlich zu der Erkenntnis, die „Cosa Nostra„ war oder ist ein Kindergarten-Verein. Die FAO Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (englisch Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO; französisch Organisation des Nations Unies pour l’alimentation et l’agriculture, ONUAA), im deutschen Sprachraum auch als Welternährungsorganisation bezeichnet, ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Rom. Sie hat die Aufgabe, Produktion und Verteilung von landwirtschaftlichen Produkten im Allgemeinen und Nahrungsmitteln im Besonderen weltweit zu verbessern, um die Ernährung sicherzustellen und den Lebensstandard zu verbessern. Zu diesem Zweck hat sie z. B. den Codex Alimentarius entwickelt, der internationale Standards für die Lebensmittelsicherheit definiert. Codex Alimentarius Der Codex Alimentarius (von lateinisch alimentarius ‚Lebensmittel‘ und codex ‚Verzeichnis‘, ‚Dokument‘) ist eine Sammlung von Normen für die Lebensmittelsicherheit und -produktqualität der Vereinten Nationen, die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstmals 1963 herausgegeben wurde. Der Codex koordiniert den fairen Handel mit Lebensmitteln auf internationaler Ebene und stellt den Schutz der Gesundheit von Verbrauchern mithilfe von einheitlichen Normen sicher. Kritik an der FAO Ernährungsexperten von Entwicklungsorganisationen wie Brot für die Welt, GRAIN und FIAN beklagten 2013/2014, dass die Berichte der FAO über die Erfolge bei der Bekämpfung des Hungers teilweise auf unrealistischen Statistiken beruhten. Beispielsweise würde der für manche Berechnungen zugrundegelegte Bedarf an Nahrungsenergie zu niedrig angesetzt, regionale Erfolge in der Bereitstellung von Lebensmitteln (China und Vietnam) würden verdecken, dass in vielen Ländern keine wesentlichen Fortschritte zu verzeichnen seien, und auch schwere, aber nur temporär bestehende Versorgungskrisen würden nicht angemessen berücksichtigt. Auch würden durch die FAO, entgegen ihren Bekenntnissen zur Förderung von Familienbetrieben, auch industriell geführte Großbetriebe mit entsprechenden sozialen und ökologischen Verwerfungen gefördert. Unter der Amtszeit des Chinesen Qu Dongyu seit 2019 soll die FAO einseitig auf die Interessen des Staates ausgerichtet worden sein. Es gehe dabei um Lieferungen von in Europa verbotener Pestizide, die mehrheitlich von dem chinesischen Agrochemiekonzern Syngenta stammen sollen, UN-Projekte im Einklang mit Chinas "Neuer Seidenstraße" sowie fragwürdige Investitionsvorhaben.
AntwortenChristian Wie
14.07.2023, 13:55@Julius Schult Selbst wenn es die "umweltverträglichste Landwirtschaft der Welt sein" sollte wie Sie behaupen, heißt das nicht, dass sie gut ist in ihrer jetzigen Form. Man beachte nur einmal den Schwund an Insekten. Da muss dringend gegengesteuert werden, PSM müssten aus allen Schutzgebieten ohne Ausnahme verbannt werden, am besten noch mit einer Pufferzone drumherum. Sonst können wir uns bald mit Pinseln auf die Felder stellen und selbst die Apfelbäume bestäuben.
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