Standardisierung ist kein Selbstläufer

Standardisierung ist kein Selbstläufer

Ein Beitrag von Rebekka Blessenohl (Referentin Erneuerbare Energien und Naturschutz)

Neben dem in diesem Blog schon erläuterten Zauberwort „Präklusion” begegnet uns im Kontext der Planungsbeschleunigung auch das Wort „Standardisierung“ immer wieder. Aber was steckt eigentlich dahintern?

„Standardisierung“ ist ein Universalwort, das erstmal nicht viel mehr bedeutet als „Vereinheitlichung“. In den aktuellen Diskussionen umfasst Standardisierung die Festlegung einheitlicher Vorgaben zur Berücksichtigung von Naturschutzbelangen bei der Genehmigung von Bauprojekten. Die wohl prominenteste Standardisierung durch die Ampelregierung ist die Erweiterung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) um den Paragraphen 45b. Er enthält Sonderregelungen, die bei der Genehmigung von Windenergieanlagen angewendet werden müssen, z.B. wie geprüft werden soll, ob durch den Betrieb einer Windenergieanlage Brutvögel potenziell getötet oder verletzt werden können.

Mehr Vorgaben klingt, vielleicht im ersten Moment, nach dem Gegenteil von Beschleunigung – nach mehr Bürokratie. Beschäftigt man sich aber vertiefter mit den Zielen der Standardisierung, wird klar, dass sie zu schnelleren Verfahren beitragen kann. Im Grundsatz ist die Idee von Standardisierung, Methodiken zu vereinheitlichen. So soll die Qualität der naturschutzrechtlichen Gutachten verbessert und diese besser vergleichbar gemacht werden. Darüber hinaus können klarere Vorgaben zur Rechtssicherheit und damit auch zur Beschleunigung beitragen. Um die Vorteile von Standardisierungen noch greifbarer zu machen, hier eine kleine Verdeutlichung, wie die Arbeit eines Gutachters ohne bundesweite Standards aussieht: Zunächst sucht sich der/die Gutachter*in die Leitfäden und Vorgaben für natur- und artenschutzrechtliche Prüfungen des jeweiligen Bundeslandes zusammen. „Zusammensuchen“ ist dabei keine Übertreibung. Je nach Modernität des Internetauftritts der zuständigen Behörde bzw. des zuständigen Ministeriums und auch politischem Willen, Vorgaben auf Bundeslandebene festzulegen, kann die Recherche und das Einarbeiten in neue Vorschriften, einen nicht unerheblichen Teil der Arbeit eines/r Gutachters*in ausmachen. Fehlen solche Regelungen gänzlich, muss der/die Gutachter*in nach bestem Wissen und Gewissen die Methodik und Bewertung aus der Fachliteratur ableiten. Beide Fälle führen verständlicherweise zu einer großen Heterogenität in der Methodik und Bewertung der Ergebnisse in den Gutachten.

Für Gutachter*innen können nachvollziehbare Standardisierungen eine Arbeitserleichterung bedeuten. Foto: NABU/Thomas Dröse

Standardisierungen sind somit notwendig, um bei der Prüfung von Naturschutzbelangen im Rahmen der Genehmigung zu mehr Sicherheit und Einheitlichkeit zu gelangen. Diese Sicherheit und die damit zusammenhängende Beschleunigung können aber nur erreicht werden, wenn eine wichtige Voraussetzung erfüllt ist: Die festgelegten Vorgaben müssen nachvollziehbar sein. Eine Regelung ist dann nachvollziehbar, wenn sie zum einen anwendbar und zum anderen verständlich ist. Besteht Unsicherheit darüber, wie genau eine Regelung interpretiert werden soll oder ist sie sogar in der Praxis nicht sinnvoll nutzbar, werden Verfahren dadurch eher verlangsamt als beschleunigt. Ein Beispiel für eine Regelung, die sich in der Praxis als nicht nachvollziehbar herausgestellt hat, ist die Berechnung der Zumutbarkeitsschwelle für Windenergieanlagen (gemäß Anlage 2 des BNatSchG). Die wohl komplizierteste mathematische Formel, die es je in ein deutsches Gesetz geschafft hat, führt nicht nur bei Gutachter*innen und Behörden zu rauchenden Köpfen. Selbst den Verfasser*innen des Gesetzes sind bei der Formel einige Fehler unterlaufen, die nur wenige Monate nach Beschluss korrigiert werden mussten.

Der andere Baustein für nachvollziehbare Regelungen, ist eine fachliche Begründung der Festlegungen. Auch hier ein Beispiel: Der Gesetzgeber hat es versäumt, eine Begründung dem neuen BNatSchG hinzuzufügen, warum bestimmte Brutvogelarten bezüglich eines potenziellen Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Windenergieanlagen geprüft werden sollen, andere Arten aber nicht, obwohl sie in einigen Länderleitfäden oder in anerkannter Fachliteratur als betroffen genannt werden. Das hat dazu geführt, dass Windparkprojektierer regelmäßig in Genehmigungsverfahren darüber diskutieren müssen, warum sie ausschließlich die genannten 15 Arten prüfen. Solche Unsicherheiten sollen eigentlich nicht mehr vorkommen, wenn Standardisierungen festgelegt werden. Wären die im Anhang 1 des BNatSchG genannten Arten fachlich begründet ausgewählt worden, wäre es für die Expert*innen in Behörden und Gutachterbüros nachzuvollziehen und fachlich vertretbar.

Es ist verständlich, dass momentan von politischer Seite ein großer Handlungsdruck besteht, neben anderen Maßnahmen auch durch Standardisierung mehr Beschleunigung bei Genehmigungsverfahren zu erreichen. Die gewünschten Effekte werden wir aber nicht erreichen, wenn überstürzt, nicht nachvollziehbare Regelungen beschlossen werden. Stattdessen braucht es für wirksame Standardisierungen eine solide fachliche Basis, z.B. durch die Beauftragung von Studien, als Vorbereitung für die Gesetzgebung und – ganz wichtig – die Beteiligung der Menschen, die die Regelungen am Ende in der Praxis anwenden sollen. So wird nicht nur sichergestellt, dass die neuen Regelungen auch in der Praxis durchschlagen, sondern auch, dass der Naturschutz bei der Standardisierung ausreichend berücksichtigt wird.

 

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Rebekka Blessenohl

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