Nature Restoration Law verabschiedet

Nature Restoration Law verabschiedet

 

Nun also doch! Im letzten Moment fand sich unter den EU-Umweltminister*innen eine Mehrheit für die Wiederherstellung der Natur. Die neue Verordnung ist ein Meilenstein im Naturschutz und wird diesen auf Jahrzehnte prägen.
Doch was besagt sie genau und wie wird ihre Umsetzung zum Erfolg?

Österreich rettet das Wiederherstellungsgesetz

Nachdem das Europaparlament der Trilog-Einigung zur Wiederherstellungsverordnung (WVO) schon im Februar zugestimmt hatte, war die Zustimmung des Umweltrates nur noch eine Formalität. Das dachten wir zumindest, doch dann änderte Ungarn nachträglich seine Position und so war zwar eine Mehrheit der Mitgliedstaaten für das Gesetz, jedoch vertraten diese nicht mehr 65 Prozent der Bevölkerung der EU (= zweites Kriterium für eine qualifizierte Mehrheit).

Aufgelöst wurde dieses Patt von Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler, die in einer Pressekonferenz am Sonntag vor der Abstimmung überraschend ihre Unterstützung für das Gesetz ankündigte. Eigentlich war Gewessler durch einen Beschluss der Landeshauptleuteversammlung gebunden. Allerdings bezog sich der Beschluss gegen die WVO auf den ursprünglichen Vorschlag der Kommission und nicht auf den stark abgeänderten Trilogkompromiss. Außerdem hatten sich die Landeshauptleute von Kärnten und Wien, Michael Kaiser und Michael Ludwig, nach intensiven öffentlichen Debatten doch hinter das Gesetz gestellt, wobei ein neuer Beschluss nicht zustande kam.

Innerhalb der österreichischen Regierung löste Gewesslers Zustimmung heftigsten Streit aus. So zeigte Kanzler Nehammer seine Ministerin nicht nur wegen Amtsmissbrauch bei der Staatsanwaltschaft an, sondern droht auch mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (gemäß Artikel 263 AEUV). Beides sollte aber wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Hinsichtlich der Nichtigkeitsklage dürfte Gewessler aus Perspektive der belgischen Ratspräsidentschaft bzw. des Europarechts die legitime Vertreterin Österreichs im Umweltrat gewesen sein. Nehammer hätte den Bundespräsidenten auch um Gewesslers Entlassung bitten können. Dies tat er aber bis heute nicht – alles heiße Luft und sehr viel Drama also für ein Anliegen, welches im Übrigen von 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung unterstützt wird! Ähnliche Zustimmungswerte gab es auch in den anderen Ländern, die bis zuletzt gegen das Gesetz waren.

Am Ende hat Leonore Gewessler mit ihrem mutigen Schritt nicht nur das Wiederherstellungsgesetz gerettet, sondern auch die Integrität des Umweltrates bewahrt, indem sie diesem ermöglichte, sein Versprechen gegenüber dem Parlament zu halten.

Wie geht es nun in Deutschland weiter?

In wenigen Wochen tritt die WVO in Kraft (hier die aktuelle konsolidierte deutsche Fassung). Ab da gelten die Fristen und Ziele der Verordnung für alle Mitgliedstaaten.

Die Ziele unterscheiden sich dabei in ihrem Aufbau:

  • Für FFH-Lebensräume (Art. 4) und Meeresbiotope (Art. 5) gibt es Fristen für den Maßnahmenbeginn. Die Maßnahmen sollen schrittweise den Zustand der bestehenden Flächen verbessern und falls nötig, Lebensraumtypen auf neuen Flächen etablieren.
  • Auch für die Wiederherstellung von Moorböden (Art. 11(4)) zählen die Fristen für den Maßnahmenbeginn, welcher hier jedoch an Flächenziele (Anteil der Fläche, auf denen Maßnahmen stattfinden) gebunden ist (siehe auch den Blog-Artikel des Kollegen Tilmann Disselhoff für eine Einordnung).
  • Beim Feldvogelindex (Art. 11(3)) hingegen gelten die Fristen nicht für den Maßnahmenbeginn, sondern für die Zielerreichung. Bis 2030 sollen diese sympathischen und seit Jahrzehnten abnehmenden Schirmarten nun in einem ersten Schritt um 10 Prozent zunehmen.
  • Die Ziele für Stadt- (Art. 8), Agrar- (Art. 11(2)) und Waldökosysteme (Art. 12) sowie für Bestäuber (Art. 10) sehen bei den entsprechenden Indikatoren eine Trendumkehr bis 2030 vor. Danach soll ein wissenschaftlich begründetes „zufriedenstellenden Niveau“ (Art. 14 und 20) erreicht werden.
    Indikatoren sind unter anderem der Anteil an Grünflächen und Baumüberschirmung in Städten, Totholz im Wald, Landschaftselementen in der Agrarlandschaft oder der Grünlandschmetterlingsindex. Für Bestäuber wird noch ein Monitoringsystem entwickelt.
  • Weiterhin sollen die Mitgliedstaaten einen Beitrag zu Unionszielen leisten. So sollen in der gesamten EU zusätzlich drei Milliarden Bäume gepflanzt (Art. 13) und 25.000 Kilometer freifließende Flüsse (Art. 9) geschaffen werden.
  • Alle genannten Maßnahmen und Ziele tragen zu dem EU-Ziel bei, bis 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen auf jeweils 20 Prozent der Landes- und Meeresfläche umzusetzen. Was viel klingt, heißt aber natürlich nicht, dass 20 Prozent des Landes verwildern werden, denn Wiederherstellung bedeutet in vielen Fällen einfach naturverträgliche Nutzung – schützen durch Nutzen also!

Wie die Mitgliedsstaaten diese Ziele erreichen wollen, sollen sie in einem Wiederherstellungsplan darlegen. Für dessen Entwurf haben sie zwei Jahre Zeit. Danach prüft die Kommission den Plan sechs Monate lang und der Mitgliedstaat hat weitere sechs Monate, um auf etwaige Anmerkungen zu reagieren. Im Jahre 2032 wird der Plan dann das erste Mal aktualisiert. Von der Kommission werden dazu aktuell Berichtsformate und Leitlinien ausgearbeitet.

 

Bei genauerer Betrachtung sind die Ziele übrigens gar nicht so dramatisch, wie sich beim Lesen der Reaktionen mancher Landnutzungsverbände vermuten ließe. Oftmals existieren bereits ähnliche Ziele in internationalen Vereinbarungen, anderen EU-Gesetzen oder nationalen Strategien, teilweise schon seit vielen Jahren. Erreicht wurden diese bisher jedoch nicht. Hier schließt die WVO nun eine Lücke, indem sie gemeinsam mit allen EU-Staaten mehr Verbindlichkeit und Dringlichkeit schafft. So werden aus den reichlich vorhandenen Lippenbekenntnissen hoffentlich endlich Taten.

Was braucht es für eine erfolgreiche Umsetzung?

Eine Herausforderung wird die Wiederherstellung unserer Natur dennoch.

Dabei geht es aber in erster Linie um eine Investition in unsere Zukunft. Intakte Ökosysteme schützen nicht nur das Klima vor uns, sondern auch uns vor den Folgen des Klimawandels. Anders gesagt schützt die Natur Menschenleben und Eigentum. Für diese Investition sollten daher Gelder bereitgestellt werden, einschließlich durch einen eigenen Wiederherstellungsfonds im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (siehe Empfehlungen unseres Dachverbandes BirdLife Europe).

Ein Großteil der Maßnahmen wird in Deutschland durch die Bundesländer umgesetzt werden müssen, und hier trifft die Verordnung auf unterbesetzte Verwaltungen. Diese müssen zunächst einmal mit entsprechendem Personal zur Umsetzung befähigt werden. Dazu gehört auch, effiziente Strukturen zu schaffen, zum Beispiel, indem das Thema in eigenen Referaten oder Stabsstellen koordiniert wird (zusammen mit Maßnahmen der natürlichen Klimafolgenanpassung und des natürlichen Klimaschutzes). Idealerweise werden dabei auch Verantwortlichkeiten aufgeteilt, sodass beispielsweise Bauministerien für die Ziele des Artikels 8 oder Landwirtschaftsministerien für die Ziele der Artikel 11 und 12 verantwortlich sind.

Über dieses so genannte „organisatorische Mainstreaming“ hinaus muss auch unser Rechtsrahmen fit gemacht werden für die Wiederherstellung der Natur (= programmatisches und regulatorisches Mainstreaming). Eine Verordnung muss zwar aus EU-Perspektive nicht in nationales Recht übersetzt werden. Wie sie aber ohne eine Anpassung von relevanten Fachgesetzen effektiv und effizient umgesetzt werden könnte, ist mehr als fraglich. Denkbar wäre hier zum Beispiel, die Ziele der Verordnung auch im Bundesnaturschutzgesetz festzuschreiben. Auch die drei Sachverständigenräte SRU, WBBGR und WBV empfehlen in ihrer Stellungnahme ein deutsches Durchführungsgesetz.

Darüber hinaus bieten Wasserhaushaltsgesetz und das Raumordnungsgesetz weitere Ansatzpunkte, um Renaturierungsvorhaben zu beschleunigen (siehe auch das vom NABU beauftragte zweiteilige Rechtsgutachten – Teil 1, Teil 2). Für die Wiederherstellung von Meeresökosystemen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone sollte zudem eine Fachplanung Naturschutz im Meer eingeführt werden.

Wiederherstellung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Zusammen mit der Natur müssen wir auch unser Verhältnis zu ihr wiederherstellen.

Wer die Entstehung der Wiederherstellungsverordnung von Beginn an verfolgt hat, weiß, dass sie nicht ganz ohne Drama daherkam. Am Ende handelt es sich aber um ein gesamteuropäisches Vorhaben. Das Grüne Herz des EU Green Deals wurde von einer konservativen Kommissionpräsidentin vorgeschlagen und mit Stimmen aus allen europäischen Parteien der gesellschaftlichen Mitte angenommen. Und selbst im Umweltrat hat man in den Verhandlungen auch die Bedenken von Mitgliedstaaten berücksichtigt, die am Ende nicht für das Gesetz gestimmt haben.

Die hitzigen Debatten aus Brüssel sollten wir in Deutschland nun nicht wiederholen. Wichtig sind stattdessen Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Dazu gehört, keine Lügen über das Gesetz zu verbreiten. Dazu gehört aber auch anzuerkennen, dass Renaturierung nicht immer, überall und für alle ein Gewinn ist. Hier gilt es, sowohl den Nutzen als auch etwaige Lasten fair und sozial gerecht zu verteilen, um so den Weg für Kooperationen und Kompromisse zu bereiten.

In den nächsten drei Jahren werden nun also die zentralen Weichen für die Kehrtwende in der Biodiversitätskrise gestellt. Daran sollten sich möglichst viele gesellschaftliche Gruppen jenseits der Naturschutzszene mit Ideen beteiligen.
Wenn man bedenkt, wie selten Fortschritte dieser Größenordnung sind, ist es doch eigentlich ein Privileg, an diesem nun von Anfang an beteiligt zu sein.

 

Stephan Piskol

2 Kommentare

Alois G. Auinger

10.07.2024, 15:40

Der österreichische Bundeskanzler hätte Bundesministerin Leonore Gewessler nicht entlassen können, sondern nur dem Bundespräsidenten ihre Entlassung vorschlagen können. Die meisten Politikinsider hatten einem solchen Versuch wenig Aussicht auf Erfolg eingeräumt. Amtsmissbrauch kann es aus klaren juristischen Gründen nicht gewesen sein, und Verfassungsbruch verneinen vier der renommiertesten Verfassungsrechtler Österreichs.

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Stephan Piskol

10.07.2024, 23:09

Vielen Dank für den Hinweis! Den Punkt zum Verfahren der Entlassung nehmen wir mit auf und korrigieren das. Die anderen Argumente sind uns bekannt, aber wir wollten hier nicht weiter ins Detail gehen und lieber noch vorne schauen.

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