NABU-Agrar-Blog: Weniger Fleisch, mehr Ernährungssicherheit – wie Dänemark mit einer pflanzenbetonten Ernährung einer Hungersnot zuvorkam

22.4.2022. Weniger Fleisch, weniger Milch und sogar weniger Alkohol – dafür in kurzer Zeit die Nahrungsmittelversorgung sicherstellen sowie die Gesundheit der Bevölkerung verbessern. Hört sich gut an? Hat schon einmal funktioniert: Als wegen des Ersten Weltkrieges die Versorgung Dänemarks mit importierten Agrargütern wegbrach, rettete entschiedenes Handeln das Land aus seiner brenzligen Lage. Klar, die Zeiten haben sich geändert. Aber die Frage nach der Neuausrichtung unserer Tierhaltung und Konsumgewohnheiten ist aktueller denn je. Ein Blick zu unserem nördlichen Nachbarn könnte sich also lohnen…

Je größer die Krise, desto größer die Chance für systematischen Wandel. Ganz nach dem Motto „global denken, lokal handeln“ muss Europa seine Ernährungssystempolitik radikal verändern. Das Momentum für diese Veränderung ist heute so groß wie nie. Die Kritik an den theoretischen Grundpfeilern der heute dominierenden neoklassischen Agrarökonomie wird auch von renommierten Ökonomen lauter (siehe dazu Mathias Binswanger «Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel: Landwirtschaft und Globalisierung»). Infante Amate und González de Molina (2013, 32) schlagen eine Degrowth-Strategie für Landwirtschaft und Ernährung vor, die auf vier „R‘s“ basiert: „Re-territorialisierung der Produktion, Re-Lokalisierung der Märkte, Re-Vegetarisierung der Ernährung, Re-Saisonalisierung des Lebensmittelkonsums“. Augenblicklich werden in Angesicht der Katastrophe ähnliche Forderungen z. B. von Wissenschaftlern des Potsdam Institut für Klimaforschung wiederholt.

Ein historischer Vergleich mag die aktuelle „Chance“ veranschaulichen und einige heute als gegeben erachtete Annahmen hinterfragen. So kann ein positives politisches Narrativ, wie im neusten IPCC-Bericht gefordert, gestärkt werden: Anpassungsinvestitionen für ein grundlegend neu aufgestelltes, nachhaltiges und faires Ernährungssystem.

Dänemarks Ernährungs- und Agrarwende im Ersten Weltkrieg zeigt klare Handlungspotentiale auf. Vor dem Krieg importierte Dänemark mehr als die Hälfte seines Brotgetreides und eine beträchtliche Menge an Mais und Ölkuchen für die Verwendung in der Nutztierhaltung. Das Land produzierte nur halb so viel Roggen und Kartoffeln pro Kopf wie Deutschland, hielt aber pro Kopf doppelt so viele Nutztiere. Als jedoch Großbritannien eine Seeblockade gegen Dänemark verhängte, drohte die Versorgung mit Agrarrohstoffen das Land in eine Hungersnot zu stürzen.

Während des Kriegs erließ die Regierung auf Anraten des dänischen Arztes und Ernährungswissenschaftlers Mikkel Hindhede lebensrettende politische Maßnahmen. Die dänische Regierung reduzierte den Schweinebestand um 80 Prozent, den Milchkuhbestand um ein Drittel und nahm das Getreide aus der Bier- sowie die Kartoffeln aus der Schnapsproduktion. Die bedeutendste Folge dieser Maßnahmen: die befürchtete Hungersnot blieb aus. (Wir lernen: Agrarspirits sind der Ernährungssicherheit ebenso wenig dienlich wie heutzutage Agrarsprit.) Hindhede schrieb dazu später: „Ich bezweifle, dass in Mitteleuropa jemand verhungert wäre, wenn man eine ähnliche Ernährungsweise eingeführt hätte.“

Hindhede, der bereits seit 1885 zu einer proteinarmen Diät forschte, untersuchte weitere Folgen der durch die Maßnahmen drastisch umgestellten Ernährung für die dänische Bevölkerung.Er stellte fest, dass die Todesfälle bei den untersuchten Krankheiten von 1900 bis 1916 praktisch gleich geblieben waren. Im Jahr der strengen Regulierung sanken die Todesfälle der untersuchten Krankheiten gar um 34 Prozent. Die verordnete flexitarische Ernährung kam der Gesundheit der Dänen zugute!

Quelle: Hindhede, M.. “THE EFFECT OF FOOD RESTRICTION DURING WAR ON MORTALITY IN COPENHAGEN.” JAMA 74: 381-382.

Deutsche Wissenschaftler ließen Hindhede‘s Erkenntnisse seinerzeit unbeeindruckt. Hindhede schließt seinen 1920 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel mit den Worten:

„Ich habe jedoch den Eindruck, dass die deutschen Wissenschaftler, wie sie von Rubner vertreten werden, nichts aus dem Krieg gelernt haben. Rubner schreibt von der ‚Notwendigkeit, die Versorgung mit Lebendvieh auf den Vorkriegsstand zu bringen.‘ […] Ich stimme ihm nicht zu. Die Menschen müssen zuerst Brot, Kartoffeln und Kohl in ausreichender Menge haben, und dann etwas Milch. Fleisch ist die letzte Anforderung, die erfüllt werden muss. Wenn die Menschen warten müssen, bis Schweine und Rinder genügend Futter haben, werden sie ein Jahr lang verhungern, bevor sie Fleisch im Überfluss haben.“

Auch heute zeigt Dänemark, wie eine fortschrittliche Ernährungspolitik aussehen kann: In den Kantinen Kopenhagens wird weitgehend mit Bio-Zutaten gekocht. Durch die höheren Einkaufspreise für Bio-Fleisch reduziert sich automatisch der Fleischanteil der Mahlzeiten. Großen Anteil am Erfolg dieser Strategie hat die Ausbildung der Köchinnen und Köche – denn eine kreative vegetarische Küche besteht aus mehr als nur Kartoffeln, Kohl und Vollkorngetreide. Übrigens trägt die daraus resultierende Nachfrage entlang der Wertschöpfungsketten entscheidend zur Transformation des landwirtschaftlichen Sektors bei: Auch an diesem Hebel zum Ausbau des Ökolandbaus könnte sich die Politik hierzulande ein Beispiel nehmen.

Doch manche Pläne Dänemarks zur Ausrichtung ihres Landwirtschaftssektors für eine „klimaneutrale“ Zukunft werfen Fragen auf. Diesen werden wir in unserem nächsten Blog-Artikel nachgehen.

Besonderer Dank für den Anstoß zu diesem Artikel gilt Stefan Schwarzer, der in seinem Blog auf das historische Beispiel Dänemarks hinwies.

 

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2 Kommentare

Jonathan Rauhut

22.04.2022, 22:18

Dänemark ist echt ein gutes Beispiel. Meine einzige Frage wäre, wie stark der Anteil des Dauergrünlands in dieser Zeit in Dänemark abnahm und der Anteil des Ackerlandes anstieg? Das war wahrscheinlich aufgrund des Grünlandverlusts für die Biodiversität in Dänemark damals keine gute Entwicklung, vermute ich. Andererseits: Heutzutage würde die Reduktion des Fleischkonsums und die gleichzetige Stärkung des Fleischkonsums aus ökologischem Anbau den Grünlandanteil vermutlich sogar noch erhöhen, da aktuell ja fast alle Fleischprodukte auf Massentierhaltung beruhen, die wiederum auf Ackerfruchtanbau beruht und schon lange nicht mehr auf Grünland, sodass eine Beendigung der Massentierhaltung bei gleichzeitiger Umstellung auf Biofleisch (weniger Fleisch, dafür hochwertiger) heutzutage vermutlich sogar zu einer Erhöhung des Grünland-Anteils führen müsste. Ein weiterer entscheidender Vorteil: Es würde viel weniger landwirtschaftliche Nutzfläche für die Ernährung der Menschheit gebraucht, sodass wieder viel Land frei würde für Renaturierungsprozesse.

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Carmen

12.05.2022, 12:01

Grundsätzlich eine prima Idee! Mir ist nur nicht klar, wie das in einer Zeit funktioniert, in der wir alles von überallher importieren - das war kurz nach dem Krieg anders. Sicher nützt es der einheimischen Umwelt, wenn wir selbst weniger Fleisch produzieren. Aber wenn Rindfleisch aus Südamerika kommt und dafür Urwald abgeholz wird, ist es für die Klimabilanz der Welt auch nicht gut. Welche weiteren Maßnahmen würden wir brauchen, um das zu verhindern?

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