Carbon Removal Certification Framework – EU-Klimapolitik auf Irrwegen?!

22. November 2022. Das Ziel der EU-Klimapolitik ist es, Netto-Null-Emissionen zu erreichen und bis 2030 55 % der Netto-Emissionen der Union zu reduzieren. Zu diesem Zweck erhebt und reguliert die EU-Kommission die Treibhausgasemissionen. Darüber hinaus fördert sie die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (carbon removal). Letzteres soll durch das Carbon Removal Certification Framework gefördert und geordnet werden. Dem NABU liegt ein Leak dieser geplanten Verordnung vor, der im folgenden Blog eingeordnet und bewertet wird.

Es wird erwartet, dass die Kommission Ende November ihren Vorschlag für eine Verordnung über die Zertifizierung der Kohlenstoffentnahme und -bindung vorlegen wird. Darin soll der Zertifizierungsrahmen für naturbasierte und technologiebasierte Verfahren zur Kohlenstoffentnahme und -bindung für die Union etabliert werden. Wir werden uns in diesem Blog nur auf die naturbasierten Verfahren beziehen.

Maßnahmen für das naturbasierte Verfahren der Kohlenstoffentnahme und -bindung werden meist unter dem Begriff Carbon Farming diskutiert. Carbon Farming kann begriffen werden als das Management von landbasierten Treibhausgasflüssen, einschließlich des Kohlenstoffvorrats, und -flüssen in Böden, Materialien und der Vegetation, mit dem Ziel, Emissionen zu reduzieren und die Kohlenstoffentnahme und –sequestrierung zu erhöhen. Der NABU hat dazu einen ausführlichen Standpunkt veröffentlicht. Für technologiebasierte Verfahren gibt es  viele Ansätze. Zum Beispiel Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS), womit die Abscheidung von atmosphärischem CO2 direkt aus der Umgebungsluft mit anschließender langfristiger, geologischer Speicherung gemeint ist. Naturbasierte Kohlenstoffentnahme-Verfahren können maßgeblich zur Biodiversitäts- und Ökosystemregeneration beitragen, werden aber oft wegen der unsicheren Permanenz der Kohlenstoffentnahme kritisiert. Der freiwillige Kohlenstoffmarkt spricht sich bisher klar für technologiebasierte Verfahren aus. DACCS-Zertifikate kosten 600 € pro Tonne CO2 und sind zurzeit für mehrere Jahre ausverkauft. Naturbasierte CO2-Zertifikate, auch für wertvolle Naturrestorationsprojekte, gibt es bereits für 2€ pro Tonne.

Das geleakte Dokument

Im Pariser Klimaabkommen hat sich die internationale Staatengemeinschaft eine klare Hierarchie für den Umgang mit THG-Emissionen vorgegeben. Vereinfacht gilt: Vermeiden -> Reduzieren -> Entnehmen. In der Reihenfolge der Logik des Pariser Abkommens und damit der Logik der bestmöglichen Klimawandelabmilderung scheint die Kommission einen wichtigen Punkt in ihrer Klimapolitik zu überspringen: die Regulation von Emissionen und damit die politische Rahmensetzung für die Vermeidung und Reduktion von Emissionen. Eine Regulation muss vor oder gleichzeitig zu der Anreizung von CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre durch Kohlenstoffmärkte, auf denen Ausgleichszertifikate verkauft werden, erfolgen –  wie es das EU-Emissionshandelssystem inzwischen auch praktiziert. Gibt es keine Regulation der Emissionen, der auf dem Kohlenstoffmarkt agierenden Akteure, sind zum Emissionsausgleich verwendete CO2-Zertifikate vor allem Emissionslegitimierungszertifikate. Denn diese ermöglichen es Unternehmen bisher, sich als klimaneutral zu betiteln, ohne ihre absoluten Treibhausgasemissionen signifikant zu reduzieren. Als Handelsplatz für solche Emissionslegitimierungszertifikate tragen freiwillige Kohlenstoffmärkte maßgeblich zur Verschleppung der tatsächlichen Emissionsvermeidung und -reduktion bei.

Schlimmer noch – werden dieselben CO2-Zertifikate für Emissionsreduktionen, nicht Entnahmen, in der industriellen Nutztierhaltung ausgegeben, ist der Schwindel perfekt und die sozial-ökologischen Krisen werden durch die Kohlenstoffmärkte sogar befeuert.

Ein erstes großes Fragezeichen, das der im Leak dargelegte Zertifizierungsrahmen nicht beantwortet, ist, wofür die Zertifikate genutzt werden sollen bzw. genutzt werden dürfen. Dies ist allerdings von maßgeblicher Bedeutung.

Was uns zum zweiten großen Kritikpunkt überleitet. Der uns vorliegende Verordnungsentwurf definiert Carbon Farming in einer Art und Weise, dass Emissionsreduktionen in der Landwirtschaft als “Entnahmen” zertifiziert werden könnten. Für Moorwiedervernässungsprojekte ist es zu befürworten, dass eine Lösung angestrebt wird, die Emissionsreduktionen anreizt.  Davon abgesehen sollte es aber eindeutig untersagt sein, Emissionsreduktionen in der Landwirtschaft mit Geldern zu entlohnen, die eine Kohlenstoffentnahme mit positiven Effekten für die Biodiversität finanzieren sollen. In Frankreich und Kalifornien werden jedoch bereits heute Systeme praktiziert, die Emissionsreduktionen in der Landwirtschaft mit CO2-Zertifikaten entlohnen. Dann kann z. B. die Milchindustrie, die durch Futtermittelzugaben die pro Liter Milch ausgestoßenen Treibhausgase senkt, für diesen “Erfolg” Zertifikate verkaufen. Die methanemissionsreduzierenden Futtermittelzugaben werden aus Tiergesundheits– und Effektivitätsaspekten stark kritisiert. Gleichzeitig wird damit ein Produktionsmodell nicht nur verstetigt, sondern finanziell unterstützt, das auch abseits von Methanemissionen katastrophale Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen mit sich bringt. Zudem können mit diesen Zertifikaten an anderer Stelle Emissionen “ausgeglichen” werden. Klimaneutrale Naturzerstörung scheint die in unseren Augen zutreffende Beschreibung dieser Perversion produktionsorientierter Klimapolitik bzw. dieses Irrwegs der Klimapolitik.

Darüber hinaus lässt der Verordnungsentwurf auch weitere technische Fragen, wie z. B. die der Additionalität (der Anreiz zur Erbringung der entsprechenden Klimaleistung entsteht durch die Mittel aus dem Zertifikat und ist nicht z. B. gesetzlich bereits vorgeschrieben) oder der Doppelzählung (wer darf sich die zertifizierte CO2-Entnahme anrechnen?), offen. Die Biodiversitätsanforderungen an Carbon Farming-Ansätze, die der geleakte Zertifizierungsrahmen stellt, sind jedoch positiv zu bewerten und müssen unbedingt beibehalten werden. Die Biodiversitätsanforderungen lauten wie folgt:

“[…] carbon farming activities, including the production of biomass for carbon removal activities, should be eligible for certification only if it can be shown that they have co-benefits with biodiversity and ecosystem protection and restoration.”

Die neuste Bodenwissenschaft geht sogar noch weiter: die Biodiversität ist beim Carbon Farming mehr als ein Co-Benefit. Es ist die Biodiversität selbst (vor allem Pilze und Bakterien), die gemeinsam mit lebendigen Pflanzen den Kohlenstoff (und auch Stickstoff) aus der Atmosphäre sequestriert.

Unsere Kernforderungen

Der NABU fordert in Bezug auf das EU Carbon Removal Certification Framework:

  • Keinen Emissionsausgleich in freiwilligen Kohlenstoffmärkten zu befürworten,
  • keine Emissionsreduktionen mit atmosphärischen Kohlenstoffentnahmen gleichzusetzen und
  • Biodiversitätsschutz und -regeneration fest im Zertifizierungsrahmen zu verankern.

Darüber hinaus erfordert es noch viel handwerkliche Arbeit an dem Verordnungsvorschlag, damit dieser Klarheit und Planungssicherheit in Wirtschaft und Politik schaffen kann, um unsere gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen für die Klimawandelabmilderung zielgerichtet zu mobilisieren. Leider scheint es zurzeit, dass die Kommission plant viele Diskussionen und Entscheidungen zur Ausfüllung des Frameworks auf die nächste Kommission, die neue Expertengruppe zur Kohlenstoffentnahme und auf delegierte Rechtsakte abzuwälzen.

Abschließend möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass eine die Biodiversität fördernde Carbon Farming-Strategie eine absolut notwendige Mehrgewinnstrategie für die Klimawandelabmilderung, die Regeneration unserer kleinen Wasserkreisläufe sowie eine nachhaltige Ernährungssicherung ist. Die Biodiversität muss in einer solchen Strategie als zentraler Befähiger des Carbon Farming begriffen werden, um den größtmöglichen und resilientesten Erfolg in Aussicht stellen zu können.

Vor allem die auf EU-Ebene im Sommer 2023 erwartete Soil Health Law (Bodenrahmenrichtlinie) kann, wie bisher schon vor allem die Nitratrichtlinie, für eine klare und wirksame Regulation landbasierter Treibhausgasflüsse sorgen. Darüber hinaus könnte eine auf Kohlenstoffentnahme ausgerichtete und radikal reformierte Gemeinsame Europäische Agrarpolitik langfristige und ökonomisch bedeutende Förderungen für Landnutzer*innen bereitstellen. Auf diese Weise könnte die notwendige regenerative Transformation der europäischen Landnutzung ermöglicht werden, die grundlegend ist für eine Einhaltung jetziger europäischer Klimaziele und wegweisend für zukünftige Klimaziele, die dann hoffentlich auch Europas indirekte Emissionen und Naturzerstörungen berücksichtigen.

 

Der NABU-Agrar-Blog

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