Meine erste Sturmflut und meine letzten Tage auf Trischen
Ein Glück gab es dieses Jahr während der Brutzeit keine Sturmflut, Gelege und Küken wurden vom Meer verschont.
Doch eine richtige Sturmflut wollte ich auf Trischen unbedingt mal erleben – kurz vor Saisonende, war es nun endlich soweit.
Nach einer guten Woche mit Ostwind und extrem niedrigen Hochwasserständen, schlug das Wetter um. Der Wind drehte auf Südwest und brachte Sturm und Regen mit sich. Morgens als ich aus dem Fenster schaute hatten die Wellen bereits fast den kompletten Strand überspült – doch bis Hochwasser dauerte es noch ganze vier Stunden!
Riesige Vogelschwärme flatterten aufgeregt umher weil jeder noch trockene Fleck nach und nach überflutet wurde. Die Hüttenstelzen standen bereits zwei Stunden vor Hochwasser vollständig im Wasser, kein Fleckchen Erde war mehr zu sehen.

Vogelschwarm über den Dünen
Immer wieder zogen kräftige Regenschauer über die Insel und ich mussten meinen Logenplatz auf dem Umlauf kurzzeitig verlassen. Der Sturm pfiff um die Hütte und peitschte die Wellen immer weiter über die Dünen. Ich wollte alles noch besser überblicken, strotzte dem Sturm und stieg auf den Turm. Von hier oben war der Anblick wirklich überwältigend: Die Ostspitze war schon lange unter der Wasseroberfläche verchwunden, aber auch die Nord- und Südspitze wurden nach und nach von den Wellen verschluckt. Die Dünen schrumpften zu schmalen Kämmen und an immer mehr stellen, wo die Dünen nicht hoch genug waren, schwappten die Wellen schließlich über den Dünenkamm. Die Möwen, Brandgänse, Pfeif- und Spießenten tummelten sich auf der ruhigeren östliche Seite, der kaum noch sichtbaren Insel. Die Alpenstrandläufer und Sanderlinge versuchten sich auf den noch übriggebliebenen hohen Dünen ein trockenes Plätzchen zu ergattern. Sogar schwimmender Treibsel wurde in der Not als Landeplatz angenommen. Das Wasser hatte mittlerweil den Handlauf der Hüttentreppe erreicht. Ich stand auf dem Turm der Hütte umgeben von Wasser, stemmte mich gegen den Wind und war überwältigt: Trischen war nur noch ein sichelförmiger Streifen mitten im Meer.

Sanderlinge und ein Alpenstrandläufer auf einer Düne, (noch) sicher vor Wellen und Wind

Kiebitzregenpfeifer und Alpenstrandläufer nutzen schwimmendes Treibsel als Rastplatz
Meine Freund*innen und Familie waren froh, dass ich wohlauf war. Ich konnte sie beruhigen: Trischen wird mehrmals im Jahr bei Stürmen vom Meer überspült und genau für solche Extremsituationen ist die Vogelwärter*innenhütte gebaut. Ich hatte zu keinem Zeitpukt Angst (sonst hätte ich mir wohl auch den falschen Job ausgesucht), im Gegenteil: Ich war glücklich, begeistert, aufgeregt, das ganze war so spannend wie ein Thriller: Welche Dünenkrone wird als nächstes von den Wellen erfasst, wie hoch klettert das Wasser noch die Hüttentreppe empor? Ich war begeistert und dankbar, das einmal erleben zu dürfen und gleichzeitig verspürte ich eine gewisse Demut angesichts der Kräfte die Wind und Wasser hier entfalteten. In solchen Momenten fühle ich mich klein und unbedeutend aber in einem positiven Sinne: Ich bin ganz im Moment und meine täglichen Sorgen sind belanglos, angesichts dessen, was sich hier gerade abspielt.

Landunter

Die Dünen westlich der Hütte wurden fast vollständig vom Meer überspült

Am Tag danach: Die Sturmflut hat die Dünen an vielen Stellen völlig weggespült
Dieser Tag war einer der eindrücklichsten Ereignisse, die ich auf Trischen in den letzten Monaten erleben durfte – und das noch so kurz vor Schluss, denn meine Tage hier sind so langsam gezählt: Mitte Oktober werde ich die Insel verlassen, je nach Wetterlage auch schon ein paar Tage früher.
Ich habe eine Liste mit Aufgaben, die ich vor der Abreise noch erledigen muss: Den Pegelmesser auslesen, Holz für meinen Nachfolger David hacken und die Hütte winterfest machen, sind nur einige Punkte darauf. Mit den letzten Tagen auf der Insel ist die Zeit der „letzten Male“ angebrochen: Das letzte mal an die Nordspitze laufen, auf der angespülten Bank sitzen und die Seehunde beobachten, die letzte Lebensmittelbestellung, die letzte Rastvogelzählung und das letzte Mal auf dem Aussichtsturm stehen.
Ich freue mich auch schon aufs Festland, Freund*innen und Familie wieder zu sehen, auf eine Waschmaschine, jederzeit eine warme Dusche und frisches Brot. Doch ich werden auch viel vermissen, was mir gerade noch selbstverständlich scheint: Die unzähligen wunderschönen Sonnenauf- und -untergänge, die kreischenden Möwen und unermütlich rufenden Rotschenkel zur Brutzeit und die „ist“-Rufe der ziehenden Wiesenpieper jetzt im Herbst, den Blick aus dem Fenster auf Salzwiese, Meer und Dünen und – irgendwann wenn mich die Hektik des Alltags wieder verschluckt hat – mit Sicherheit auch die einsamen und ruhigen Tage auf der Insel.
Ich bin dankbar, dass ich das Privileg hatte ein halbes Jahr als Naturschutzwartin auf Trischen zu leben und zu arbeiten, es ist eine Zeit die prägt und die ich nie vergessen werde und ich glaube, vieles was ich hier hatte werde ich erst schätzen können, wenn ich wieder zurück auf dem Festland bin.
Das lasse ich euch dann hier in meinem letzten Blogartikel wissen.
Bis dahin werde ich noch meine letzten Inseltage in vollen Zügen genießen!
Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike Espenschied


