Im bleiernen Glanz der See
Ich spüre die leichten Schläge von Tropfen auf meinem Mantel. Regen setzt ein. Im allumfassenden Grau, das nachts über Meer und Insel gewachsen ist, ist mir das Herannahen der schweren Wolken kaum aufgefallen. Sie sind nur wenig dunkler als der Himmel. Kaum merklich heben sie sich ab, wenn eine Möwe die Grenze zwischen ihnen und dem Horizont kreuzt und im Kontrast für einen Augenblick eine Spur heller erscheint, bevor auch sie sich im diesigen Grau auflöst.
Nur selten hebe ich den Blick vom Okular des Fernrohrs, das unablässig diese Horizontlinie entlangfährt. Schemenhaft erscheinen Schiffe in der Hauptfahrlinie, die sie aus dem großen Trichter der Elbe in die Weite der Weltmeere entlässt. Ihre Form hat nur noch wenig mit dem zu tun, was man sich als Kind unter einem Schiff vorstellt. Verloren ragt die Brücke aus tausenden Containern hervor. Eigentlich sieht das komplette Schiff aus wie ein ins Gigantische verzerrter Container. Aber die Schiffe interessieren mich auch nicht. Ich suche nach Prachttauchern.
Wenn die Nordsee von den Winterstürmen kräftig durchgewalkt wird, fühlen sie sich so richtig wohl. Sterntaucher und Prachttaucher – diese klangvollen Namen führen zwei Arten kaum bekannter Zugvögel. Unbekannt deshalb, weil sie an einem Platz überwintern, der nichts mit der Gemütlichkeit eines Vogelhauses im Garten zu tun hat: Auf offener See. Die Tiere haben kaum eine Lobby, wenn es um die naturverträgliche Planung von Windparks geht, da ihr Lebensraum fast gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Ich muss Sie bitten, im Internet ein Bild zu suchen, um die Tiere in all ihrer Pracht zu sehen. Sie tragen nämlich beide ein wunderschönes Federkleid, wenn sie in den nicht enden wollenden Tagen des nordischen Sommers zur Balz schreiten. Und wenn ein Haubentaucher (den kennen sie vielleicht vom Stadtparksee) sagen wir, eine charmante kleine Jolle ist, dann sind Stern- und Prachttaucher schnittige Segelyachten.
Aber im Winter sind sie grau. Ich starre also auf die graue See und suche nach grauen Vögeln, die eventuell (!) irgendwo in weiter Ferne tief im Wasser liegen und ständig abtauchen. Vielleicht einer von hundert ist ein Prachttaucher. Und jetzt auch noch dieser Regenschleier. Warum tue ich das eigentlich? Zumal ich bereits beide Arten in ihren Brutrevieren erlebt habe, direkt vor der Nase und im schönsten Ornat.
Ich kann keine einfache Antwort geben. Der Blick aufs Meer hat etwas Kontemplatives. Das ist ein bisschen wie ins Feuer starren. Das nur vermeintlich ewig gleiche Wellenwogen, das sich doch eigentlich in Tausend immer neuen Variationen abspielt, macht etwas mit dem Geist, das gleichermaßen beruhigt und belebt. Und wenn die angestrengte Suche nach den Schatten dort draußen, das Ausharren in Regen und Wind, die steif gefrorenen Finger und die brennenden Augen belohnt werden mit dem Federzipfel der Sichtung eines wilden Tieres – ! Man muss es wohl selbst erlebt haben.
Ein Prachttaucher wollte sich mir heute allerdings nicht zeigen. Aber das macht nichts. Kurz bevor ich umkehrte, brachen ein paar Lichtstrahlen durch. Die See zeigte für vielleicht eine halbe Minute einen feinen, matten Bleiglanz, und zwischen den fernen Trupps ziehender Trauerenten und den wieder einsetzenden Regentropfen hatte ich dann etwas ganz Anderes gefunden.
Unten blicken Sie mit mir durchs Fernrohr – stundenlang Bild Nr. 1. Und darunter (zur Belohnung…), ebenfalls durchs Fernrohr fotografiert, ein Sterntaucher, den ich vor ein paar Tagen bei besten Beobachtungsbedingungen in spiegelglatter See erleben durfte.