NABU-GAP-Ticker: Internationale Studie fordert Umbau des globalen Ernährungssystems – Bestätigung der NABU Forderungen zur Agrarpolitik

5. Februar 2021: Am heutigen Freitag kommen die Agrarminister*innen von Bund und Ländern in Form einer Sonder-Agrarministerkonferenz zusammen, um über die Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) in Deutschland zu verhandeln. Der sogenannte Nationale Strategieplan der GAP wird entscheiden, wie ab 2023 die Agrarsubventionen verteilt werden und damit darüber ob es sich für Betriebe lohnt natur- und klimaverträglich zu wirtschaften oder nicht. Der Nationale Strategieplan ist ein wichtiges Instrument um Biodiversitätspolitik zu gestalten.

Eine am Mittwoch veröffentliche internationale Studie „Auswirkungen des Ernährungssystems auf die biologische Vielfalt“ von Chatham House in Zusammenarbeit mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Nichtregierungsorganisation Compassion in World Faming untermauert die NABU-Forderungen nach einer wesentlich stärkeren Ausrichtung des Strategieplans auf den Schutz der Biodiversität als dies bisher von Bundeslandwirtschaftsministerium geplant ist. Erstmals werden Lösungsvorschläge gemacht, die nicht nur die Art der Landwirtschaft, sondern auch die Ernährungsweise der Menschen direkt adressieren.

Dem Bericht zufolge ist unser Ernährungssystem die treibende Kraft für den Biodiversitätsverlust. Die einflussreichsten Faktoren sind hierbei die Umwandlung von intakten Ökosystemen in intensiv bewirtschaftetes Land, der Anbau in Monokulturen sowie der Mangel an Strukturen und Refugien für die Natur in der Agrarlandschaft. Außerdem führen der hohe Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln in der intensiven Landwirtschaft zu weiteren Umwelt- und Biodiversitätsbelastungen.

„Die Faktoren für den Biodiveristätverlusst ist die Umwandlung von intakten Ökosystemen in intensiv bewirtschaftetes Land, der Anbau in Monokulturen sowie der Mangel an Strukturen und Refugien für die Natur in der Agrarlandschaft.“

Die politisch gewollte und hochsubventionierte Intensivierung der Landwirtschaft, also das Produzieren von immer mehr Nahrungsmitteln zu immer günstigeren Preisen, ermöglichte in Europa nach dem Krieg zunächst die Überwindung der Ernährungskrise, führte dann aber in einen ökonomischen und ökologischen Teufelskreis. Niedrige Preise erzwingen immer weitere Produktionssteigerungen. Gerade in Entwicklungsländern wird immer mehr Fläche  für die Produktion von Nahrungsmitteln erschlossen gebraucht. Der Großteil der weltweiten Agrarfläche (78%) wird für die Bereitstellung tierischer Produkte (Futtermittelanbau und Weide) belegt.

Die Auswirkungen des Ernährungssystems sind jedoch nicht allein auf den Artenschwund begrenzt. So trägt die Landwirtschaft mit etwa 30% zu den weltweiten CO²-Emmissionen erheblich zur Klimakrise bei. Weiterhin führen billige Nahrungsmittel in vielen Regionen der Erde zu einer erheblichen Lebensmittelverschwendung, zu Übergewicht auf der einen Seite und Mangelernährung  durch einseitige Lebensmittel auf der anderen Seite.

„Die Auswirkungen des Ernährungssystems sind jedoch nicht allein auf den Artenschwund begrenzt. So trägt die Landwirtschaft mit etwa 30% zu den weltweiten CO²-Emmissionen erheblich zur Klimakrise bei.“

Das Ernährungssystem ist nach Einschätzung der Autor*innen  jedoch nicht nur das größte Problem der Biodiversität, sondern gleichzeitig auch der Schlüssel zu ihrer Wiederherstellung, wenn sie naturverträglich und klimafreundlich ablaufe. Der Chatham House Bericht empfiehlt folgende drei Maßnahmen zum nachhaltigen Umbau des Ernährungssystems:

  • Die globalen Ernährungsmuster müssen sich hin zu einer pflanzenbasierenden Ernährung bewegen, vor allem aufgrund der unverhältnismäßigen Auswirkungen der Tierhaltung auf die Artenvielfalt, die Landnutzung und die Umwelt. Eine solche Umstellung, gekoppelt mit der Reduzierung der globalen Lebensmittelverschwendung, würde die Nachfrage und den Druck auf Umwelt und Land verringern, der Gesundheit der Bevölkerung auf der ganzen Welt zugutekommen und zudem dazu beitragen, das Risiko von Pandemien zu verringern.
  • Es muss mehr Land für die Natur reserviert und geschützt werden. Die größten Gewinne für die biologische Vielfalt werden erzielt, wenn wir ganze Ökosysteme erhalten oder wiederherstellen.
  • Wir müssen die Landwirtschaftspraxis naturfreundlich und biodiversitätsfördernd gestalten, den Einsatz von umweltschädlichen Betriebsmitteln einschränken und Monokulturen durch Polykulturen ersetzen.

Hieraus ergeben sich viele Anregungen für den Nationalen Strategieplan Deutschlands im Rahmen der GAP-Umsetzung. Wie viel Fläche müssen Landwirt*innen als nicht-produktive Fläche, sogenannten Space for Nature, bereitstellen wenn sie Subventionen erhalten wollen? Wie hoch wird die finanzielle Ausstattung sein, um Naturschutzmaßnahmen in den beiden Säulen der GAP zu fördern? Wieviel von den erwiesen schädlichen und ineffizienten pauschalen Flächenprämien der Erste Säule werden umgewidmen in sogenannte Eco-Schemes oder umgeschichtet in die Zweite Säule? Welche konkreten Förderprogramme werden die Bundesländer zum Schutz der Biodiversität anbieten?

Die Regierungen und Parlamente von Bund und Ländern haben in den nächsten Wochen die Chance, endlich das Agrarfördersystem so auszugestalten, dass Biodiversität, Klima und letztlich die Landwirtschaft selbst davon profitieren.

Der NABU fordert für den Nationalen Strategieplan der GAP:

  • Erzielen von mindestens 10% Space for Nature (nicht-produktiven Betriebsflächeanteile für die Artenvielfalt) über die Konditionalität bzw. Fördermaßnahmen
  • Ein schrittweise aber bis 2027 vollständige Umwandlung der pauschalen Flächenprämien in Eco-Schemes und in die Zweie Säule. Für Biodiversitätsmaßnahmen in den Eco-Schemes sind 2,4 Mrd. EUR jährlich, für Agrarumweltmaßnahmen der Zweiten Säule pro Jahr 1 Mrd. EUR bereitzustellen.
  • Eine fachlich fundierte und den Erfordernissen von Natura 2000 orientierte Ausgestaltung der Förderprogramme der Bundesländer
  • In Kohärenz mit dem Europäischen Green Deal und der Farm to Fork- Strategie muss der Nationale Strategieplan dazu beitragen, dass das Risiko durch den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50% gesenkt wird.
  • Generell muss eine Vereinbarkeit des Nationalen Strategieplans mit dem European Green Deal gewährleistet werden.

Auch global betrachtet, bietet das Jahr 2021 ein potenziell einzigartiges Zeitfenster für die Neugestaltung des globalen Ernährungssystems. Es werden eine Reihe von internationalen Gipfeltreffen und Konferenzen stattfinden, bei denen das Thema Lebensmittelsysteme und Biodiversität auf der Agenda stehen werden (CBP COP15 für den Bereich Biodiversität, UNFCCC COP26 für den Bereich Klima sowie die UNEA 5). Außerdem hat der UN-Generalsekretär für September 2021 den weltweit ersten UN Food Systems Summit (UNFSS) einberufen, um die Notwendigkeit einer Umgestaltung des Ernährungssystems zur Verbesserung der Ernährungssicherheit, der öffentlichen Gesundheit und der ökologischen Nachhaltigkeit anzuerkennen.

 

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kulissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titelfoto: Europäische Union 2013

4 Kommentare

Ingrid Kaufmann

05.02.2021, 11:29

ich hatte in meinem bereuflichen Leben viel mit Beratungsfirmen zu tun... allen Besserwissern habe ich empfohlen, mal 4 Wochen im operativen Dienst, an der untersten Basis, zu arbeiten, die Schwierigkeiten kennen zu lernen und dann Entscheidungen zu treffen. Ebenso scheint es mir mit der Landschaft - Biodiversität, Insektenschutz, Artenvielfalt, Düngung, Heckenstreifen usw. scheinen in den höheren Entscheidungsebenen Fremdwörter zu sein - der Agrarlobby zu fröhnen scheint leichter zu sein, als eine ökonomisch und ökologisch sinnvolle Landwirtschaftspolitik zu betreiben und umzusetzen. Und vor allem auf die Bauernverbände zu hören! "Erst einmal selber machen und dann entscheiden..."

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Friedhelm

05.02.2021, 13:17

Ich frage mich, was mss denn noch alles passieren, bis ein Umdenken einsetzt? Pestizide bzw. Überdüngung der Felder, es mussein Ende haben, sofort.

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Martin Schmid

05.02.2021, 13:37

Mir sind die Forderungen des NABU, wie bspw. nach 10% Space für Nature-Flächen auf die Artenvielfalt zu kurz gedacht. Am Beispiel Raps: Der Rapsanbau in Deutschland hat sich durch den Wegfall von Pflanzenschutzmitteln in Verbindung mit einem Preisverfall in den letzten 12 Jahren halbiert. Gleichzeitig hat sich der Import von Raps aus (hauptsächlich) Kanada und der Ukraine, sowie Palmöl aus Malaysia um diese Menge erhöht. In Kanada wird großflächig gentechnisch verändertes Saatgut verwendet, in der Ukraine sank der Anteil an Brachland und Wiesen (https://knoema.de/atlas/Ukraine/topics/Landnutzung/Kulturen-auf-Zeit-and-Wiesen/Brachland) um die Mengen, wie die Importe in die EU erhöht wurden und in Malaysia wird Regenwald für die Palmölindustrie gerodet. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nichts tun müssen, aber was unbedingt als erster Schritt notwendig ist: - Herkunftskennzeichnung unsere Lebensmittel (auch die Verarbeiteten) - Import nur von landw. Erzeugnissen die nach den bei uns geltenden Standards produziert wurden. Ansonsten bewahrheitet sich das Zitat von Landwirtschaftsministerin Klöckner ( https://www.youtube.com/watch?v=U1d8tsuBUHw ab 0:33) vom 27.01.21: "Aber das versaut deren (Drittländer) Umwelt und deren Biodiversität !" Diese auf erzeugerbasierten Importbeschränkungen bedeutet nicht Protektionismus, sondern ist für das Erreichen der Ziele notwendig.

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Florian Treede

08.02.2021, 11:24

Hallo Herr Schmid, Landwirtschaft braucht, damit sie funktioniert, intakte Ökosysteme. Die offiziellen wissenschaftlichen Daten zeigen uns, dass unsere Ökosysteme derzeit nicht intakt sind und wir einen massiven Verlust von Vielfalt in der Agrarlandschaft haben. Vielfältige Landschaften sind deutlich resilienter gegenüber Stressfaktoren wie Dürre, Schädlingsbefall etc. als Monokulturen. Strukturreichtum und hohe Erträge schließen sich nicht aus. Gerade in Zeiten der Klimakrise müssen wir auf unsere Ökosysteme achten, damit wir auch langfristig weiter auf ihnen produzieren können. Ganz entscheidend ist die Frage, was wir produzieren. Der Anbau von Futtermitteln oder Bioenergiepflanzen in großem Stil ist keine effiziente Verwendung unserer Flächen und Böden. Wir brauchen sie für Lebensmittel. Natürlich muss der Konsum von tierischem Eiweiß deutlich sinken, damit unsere Flächen ausreichen. Zum Regendwald: „Empirische Forschung, die belegen würde, dass eine Extensivierung der Landnutzung in Europa zu einem erhöhten Flächenverbrauch beispielsweise in den Tropen führen würde, gibt es bislang jedenfalls nicht. Haupttreiber der globalen Zerstörung von naturnahen Lebensräumen sind der wachsende Bedarf an (Agrar-)Rohstoffen und zunehmender Welthandel“ (Leopoldina 2020). Das Abholzen der Regenwälder ist besonders auf Kulturen wie Ölpalmen, Soja oder Zuckerrohr zurückzuführen. Dies sind Kulturen die in weiten Teilen Europas nicht wachsen. Es besteht also keine unmittelbare Konkurrenz. Vielmehr importieren wir Agrar-produkte aus den Tropen, um sie in andere Produkte zu Verarbeiten. Dazu gehört z.B. die Produktion von Fleisch, Fertiglebensmitteln und Biobrennstoffen. Zur Rettung der Regenwälder muss auf globaler Ebene gehandelt und Märkte reguliert werden. Der NABU setzt sich Beispielsweise gegen das MERCOSUR-Abkommen mit Südamerika ein, um ein Wachstum der Importe von Agrarprodukten aus den Amazonasge-bieten zu stoppen. Mit feundlichen Grüßen Florian Treede

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