Die Nordsee ist keine Müllhalde

Die Nordsee ist keine Müllhalde

Ein Beitrag von Aline Kühl-Stenzel (Referentin Meeresschutz)

Es ist unglaublich aber wahr: die Hamburg Port Authority (HPA) hat beantragt jährlich 1.5 bis 2.5 Millionen Tonnen Hafenschlick[1] inklusive Schadstoffen, toter Fischeier und Mikroplastik für die nächsten 20 Jahre etwa 25 km westlich von Helgoland zu verklappen.

Gesetzlich geschützte Biotope wie Riffe und weitere artenreiche Lebensräume würden von Sand und Schlick überdeckt. Eine mehr als 13 m hohe Deponie würde unter Wasser entstehen, mit einer Verbreitung von mindestens 180 km2 in welchem internationale Grenzwerte für Schadstoffe überschritten würden. Bereits nach zwei Jahren Verklappung mit „nur“ 1.5 Millionen Tonnen wären die Meeresschutzgebiete rund um Helgoland, das „Sylter Außenriff“ und das Küstenmeer von dem Sediment sowie den Schadstoffen und dem Mikroplastik betroffen.

Wie kann so ein Horrorszenario im Deutschland des 21. Jahrhunderts geplant werden?

Diese Pläne erinnern stark an die Zustände in den 1970er Jahren. Noch bis in die 1980er Jahre wurde die Nordsee als günstige Mülltonne genutzt: Etwa 750,000 Tonnen Dünnsäure aus Titandioxidproduktion, etwa 280,000 Tonnen Rückstände aus der Lackproduktion und etwa 500,000 Tonnen aus der Duisburger „Pigmentchemie“ und auch etwa 50,000 Tonnen Klärschlamm aus Hamburg wurden damals jährlich unweit von Helgoland verklappt. Zum Glück gehören solche Verklappungen der Vergangenheit an und so muss es auch bleiben. Die zuständige Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg, welche aktuell den Antrag der HPA prüft, darf diesen Antrag unter keinen Umständen genehmigen.

Kipppunkt überschritten: Hamburg steht der Schlick bis zum Hals

Um diese gewaltigen Mengen zu verklappen, müsste ein „XXL Baggerschiff“[2] jedes Jahr bis zu 430 mal die etwa 400 km Hin- und Rückfahrt vom Hamburger Hafen hinaus in die Nordsee fahren. Mehrere XXL-Schiffe müssten parallel fahren. Allein der Ausstoß an Treibhausgasen wäre gewaltig.

Ein Saugbaggerschiff (rechts im Bild) löst das Sediment und saugt es an Board (Quelle: ImageBroker – Olaf Heil)

Warum strebt der Hamburger Hafen eine Verklappung von solch gigantischem Ausmaß an – mit enormen negativen Konsequenzen für Klima und Natur und enormen Kosten für die Steuerzahler? Nun – damit immer größere Schiffe den Hamburger Hafen anlaufen können, wurde die Elbe bereits 9-mal vertieft. Von ursprünglichen 2-3 m Tiefe auf heute bis zu 16 m Tiefe. Doch wie der NABU bereits vor einem Jahrzehnt prognostizierte, als er zusammen mit BUND und WWF gegen die 9. Elbvertiefung klagte, bleibt eine solch extreme Vertiefung nicht ohne Folgen. Eine Nebenwirkung ist die Verstärkung der „Tidepumpe“ – mehr Sediment wird von der Flut in den Fluss eingebracht als bei Ebbe wieder hinausgebracht wird. Die Konsequenz ist eine enorme Verschlickung des Hamburger Hafens und der Elbe, so dass besonders große Pötte nicht mehr einlaufen können. Die Klimakrise verstärkt diesen Trend – denn durch insgesamt rückläufige Niederschlagsmengen und extrem trockene Sommer kommt weniger Wasser den Fluss hinunter, um den Hafen wieder frei zu spülen. Den vieldiskutierten Kipppunkt hat die Elbe überschritten, die Prognosen sind eindeutig: In den nächsten Jahren werden die Schlickmengen weiter ansteigen.  Anstatt grundlegend zu versuchen, die Sedimentmengen zu reduzieren und den Empfehlungen des Umweltbündnis „Lebendige Tideelbe“ zu folgen, hält die HPA an ihren aus der Zeit gefallenen Plänen fest. Und dies obwohl perspektivisch der Hafen stärker von kleineren Feederschiffen angefahren werden wird und der Bedarf der Reeder für eine Vertiefung der Elbe sinkt.

Doch wohin mit dem Schlick?

Der Hafenschlick ist teils hochbelastet mit Quecksilber, Tributylzinnverbindungen (TBT; welche in Unterwasser-Schiffsanstrichen genutzt werden) und weiteren langlebigen, toxischen Schadstoffen, und natürlich möchten weder Schleswig-Holstein, Niedersachsen noch jemand anderes ihn haben. Und so gibt es seit vielen Jahren ein Gerangel um Verklappstellen in der Elbe, teils so dicht am Hamburger Hafen, dass die Flut das Sediment sofort wieder zurückträgt. Sisyphus lässt grüßen. Nun soll die Mülltonne Nordsee die Lösung sein, denn hier in der Ausschließlichen Wirtschaftszone ist ja der Bund zuständig und vielleicht hofft Hamburg, dass hier eine Genehmigung einfacher zu erzielen ist?

Der Hafenschlick wird wie Müll behandelt, die Nordsee wie eine Mülltonne

Pikant ist auf jeden Fall, dass weder das Wort „Mikroplastik“ noch das Wort „Müll“ in den mehr als 1000-seitigen und über mindestens drei Jahre erstellten Antragsunterlagen zu finden ist. Versucht man hier vielleicht das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) und die Deklaration des Hafenschlicks als „Abfall“ zu umgehen? Denn Abfall dürfte nicht so einfach in der Nordsee verklappt werden und wird im KrWG wie folgt definiert: „Abfälle im Sinne dieses Gesetzes sind alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.“ Ja, Moment mal, aber Hamburg will den Schlick doch nicht wiederhaben – Hamburg will sich doch dauerhaft von dem Schlick, inklusive Mikroplastik & Co, entledigen. Also aus meiner Sicht wird der Hafenschlick wie Abfall behandelt und die „Verbringstelle“ in der Nordsee ist eine Deponie. Und gehört nicht zuletzt deshalb verboten.

Weitere Details zu den Hintergründen und unseren Forderungen können Sie unserer Stellungnahme entnehmen: Stellungnahme Baggergut NABU

[1] Berechnet in Trockensubstanz.

[2] Wie der Bartolomeu Dias, siehe https://www.youtube.com/watch?v=tZPGz46kDhg

Ein Beitrag von Aline Kühl-Stenzel (Referentin Meeresschutz)

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Aline Kühl-Stenzel
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3 Kommentare

Günter Till

25.01.2024, 21:36

1986 habe ich als Gemeinde-u.Kurdirektor der Nordseeinsel Wangerooge mit einer 9 km langen Menschenkette auf der Insel gegen die Verschmutzung der Nordsee protestiert. Daraus ist der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, inzwischen UNESCO Weltnaturerbe, entstanden. Alle Anrainergebiete, auch Hamburg, haben das kopiert. Die Tagesschau hat darüber berichtet. Die jetzt beabsichtigte Massnahme kontakariert das damalige Unterfangen. Das Verklappen außerhalb der in den letzten 40 Jahren entstandenen Nationalparks soll die Nationalparks nicht tangieren - ein versuchter schlauer Schachzug. Letztlich würden durch diese Maßnahmen die Absichten, das Wattenmeer vor Schadstoffen zu schützen, um den für unser Überleben notwendigen ökologischen Kreislauf nicht zu unterbrechen, unterlaufen.

Antworten

lorsch

25.01.2024, 22:44

Zum Artikel Die Nordsee ist keine Müllhalde: Einfach nur unglaublich! - Gibt es schon eine Petition, die man unterschreiben könnte? - Bitte unbedngt in Gang bringen!!

Antworten

Aline Kühl-Stenzel

29.01.2024, 09:03

Genau richtig, hier braucht es Druck! Wir melden uns sobald Mitglieder aktiv werden können. In der Zwischenzeit: gerne teilen und die Info verbreiten. Danke!

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