Fernweh
Liebe Blogfolger*Innen,
wohlig grabe ich die Zehen in den Sand. Die Sonne scheint mir auf den Kopf, eine leichte Brise zerzaust mir die Haare und die Luft fühlt sich angenehm warm an. Vor mir glitzert das Wasser blau im Licht, der Horizont ist ganz weit weg. Freiheit – endlich barfuß über den Strand stromern. Das Knacken der Muschelschalen unter meinen Füßen und den kommenden Sommer in allen Ecken und Winkeln der Insel spüren.
Was für mich den kommenden Sommer ankündigt, bedeutet für andere: Aufbruch. Für viele Vogelarten wird es nun höchste Zeit in die Brutgebiete zurückzukehren, denn das Zeitfenster für die Brut ist eng. Gestern hat sich ein großer Teil der Weißwangengänse auf den Weg in ihre arktischen Brutgebiete gemacht. Ab dem Morgen zogen pausenlos Trupps an mir vorbei. Leider hatte ich mit dem Wetter etwas Pech, denn gegen Vormittag konnte ich auf dem Wasser kaum noch etwas sehen und die „Ketten“ verschwanden in trübem Grau. Und doch hatte ich in knapp 3,5 Stunden Beobachtungszeit ca. 21.000 Weißwangengänse zusammen. Unglaublich, das miterlebt zu haben! Ein bisschen drängt sich mir die Frage auf, wie viele es wohl gewesen wären, hätte ich den Tag über weiter beobachten können. Aber auch so bin ich mehr als glücklich.
Die Weißwangengänse sind jedoch nicht die einzigen, die sich auf ihren Weg in die Brutgebiete vorbereiten. Auch der Abzug der Ringelgänse und der arktischen Limikolen (Watvögel) steht kurz bevor. Bei den Limikolen ist dies gut zu sehen, denn sie mausern fleißig in ihr Brutkleid. Die Alpenstrandläufer laufen nun also mit schwarzen Bäuchen durch das Watt, sodass sie aussehen, als hätten sie gerade ein kleines Schlammbad hinter sich. Das farbenfrohe Brutkleid ist einerseits wichtig für die Balz, andererseits bietet es eine optimale Tarnung in der Tundra. Nicht alle Vogelarten vollziehen solch einen optischen Wandel über das Jahr, auch wenn alle ihre Federn regelmäßig erneuern müssen. Schließlich stellen diese das wichtigste Werkzeug für den Flug dar.
Limikolen im Wandel: Alpenstrandläufer (oben) und Sanderling (unten) in der Mauser vom Schlicht- zum Brutkleid
So sehr ich mich auch über ihren bunten Anblick freue, schwebt auch ein bisschen Wehmut mit. Ich habe mich so an den Anblick der Limikolen und das „roar roar“ der Ringelgänse gewöhnt, dass ich sie ganz bestimmt vermissen werde. Allzu leer wird es auf Trischen aber nicht werden, denn die ersten Eiderenten treffen bereits zur Mauser ein. Noch sind es vergleichsweise wenige Individuen, doch schon bald werden tausende von Eiderenten den Strand und die Sandbänke bevölkern. Während beispielsweise Alpenstrandläufer und Sanderling nach und nach ihr Gefieder erneuern, ersetzen die Entenvögel ihre Schwung- und Steuerfedern auf einmal – weshalb sie für einige Zeit flugunfähig sind. Um so wichtiger, dass es noch Plätze wie Trischen gibt, an denen sie in dieser Zeit möglichst störungsfrei rasten können.
Ihre Melanie Theel