Möwen
In der zweiten Juliwoche wurden, genau wie letztes Jahr, auf Trischen die Küken von Silber- und Heringsmöwen beringt. Im Gegensatz zur Silbermöwe kamen Heringsmöwen erst ab Ende der 1960er Jahre regelmäßig zum Brüten an die deutsche Nordseeküste. Heute sind sie deutlich häufiger als Silbermöwen. „Mitte der 1980er Jahre brüteten an der gesamten schleswig-holsteinischen Küste nur ca. 150 Heringsmöwen. Ein paar Jahrzehnte später beherbergt allein Amrum über 10.000 Brutpaare Heringsmöwen“ erzählt mir dazu Bernd Hälterlein, der auf Trischen die Möwen beringt. Ihm habe ich abends nach der Beringung ein paar Fragen gestellt:
Bernd, seit wann beringst du Möwen?
Das erste Mal im Projekt von Sönke Martens 2005 auf der Amrumer Odde.
Und seitdem bist du Möwen-Fan?
Ja das stimmt. Aber so richtig infiziert war ich etwa 3 Jahre später, als ich überall an der Küste die beringten Möwen gesehen habe und im Winter einige unserer Möwen in Portugal wiedertraf. Sie eignen sich einfach sehr gut für solche Farbringprojekte, da man sie auch aus großen Distanzen von etwa 200 Meter noch ablesen kann.
Was schätzt du – wie viele Möwen hast du schon beringt?
Puh, das ist schwer zu sagen. Zusammen mit noch anderen Beringern haben wir hier seit Beginn des Projektes in 2005 bestimmt 15. – 20.000 Möwen beringt. Das muss mit einer guten Datenbank wohl organisiert sein. Wir wollen ja den Ablesern auch eine Rückmeldung zu dem Vogel geben, den sie gesehen haben.
Was ist die Fragestellung des Projektes?
Schon die Dokumentation des Zuggeschehens und der Überwinterungsgebiete, die bei der Heringsmöwe in SW-Europa und W-Afrika liegen, und der möglicherweise durch den Klimawandel bedingten Veränderungen ist sehr spannend.
Das Hauptziel ist aber die Ermittlung des Bruterfolges. Das machen wir, indem wir in der Kolonie am ersten Tag alle Küken, die wir finden beringen. Am nächsten Tag gehen wir ein zweites Mal durch und finden dann immer noch weitere unberingte Küken und auch die bereits beringten vom Vortag. Zudem ermitteln wir die Anzahl der Brutpaare. Aus dem Verhältnis dieser Zahlen kann man den ungefähren Bruterfolg in der Kolonie herleiten.
Das zweite ist die Sterblichkeit der Vögel. Wir schauen uns an, wie gut die Jungvögel ihr erstes Jahr überleben. Die Sterblichkeit von Jungvögeln ist natürlich wesentlich höher als bei Altvögeln, da die jungen Vögel quasi die „Gefahren des Lebens“ noch nicht kennen. Die Altvögel überleben aber sehr gut und zeigen Überlebensraten um 90%.
Und konntet ihr da über die Jahre Veränderungen feststellen?
Schauen wir uns die ersten 10 Projektjahre an, dann gab es bei den Altvögeln und bei den einjährigen Heringsmöwen keine großen Veränderungen in den Überlebensraten. Bei den einjährigen Silbermöwen hat sich aber die Überlebensrate fast halbiert. Das hat mit Sicherheit damit zu tun, dass sich die Nahrungssituation für die Vögel in der Zeit verändert hat. In vielen Ländern wurden die offenen Mülldeponien geschlossen, die vor allem in Winterzeiten eine gute Nahrungsquelle darstellten. Ich kenne das von der Kompostierungsanlage in der Nähe von Husum: Wenn donnerstags der Biomüll geliefert wird, kann man dort besonders gut Möwen ablesen.
Wie ist es denn um die Population der beiden Möwenarten bestellt, vor allem wenn wir jetzt ja wissen, dass bei den Silbermöwen die Jungvögel das erste Lebensjahr nicht gut überleben?
Die Silbermöwen gehen in all ihren west- und mitteleuropäischen Verbreitungsgebieten zurück. Sie steht in der europäischen Roten Liste auf der Vorwarnstufe. Die Heringsmöwe ist bei uns nach wie vor auf einem Allzeithoch, vor allem auch wegen der Fischereiabfälle, die bis Anfang der 2000er Jahre eine ideale Nahrungsquelle boten. Eben mal 70-80 km fliegen, um hinter einem Fischkutter nach Nahrung zu suchen, ist für die Heringsmöwe kein Problem. Diese Fischkutter sind aber in der Deutschen Bucht weitgehend verschwunden. Daher fliegen die Heringsmöwen heute auch ins Binnenland und suchen auf Äckern nach Regenwürmern und Käfern. Auf der Nordsee fangen sie noch Schwimmkrabben. Diese Nahrung hat aber nicht die gleiche Qualität wie Frischfisch. Das könnte erklären, warum auch hier der Bruterfolg eingebrochen ist. Die Population ist zwar noch stabil, wird aber mit Sicherheit demnächst wieder zurückgehen. Möwen sind eben auch Kulturfolger.
Wie ist dein erster Eindruck vom diesjährigen Bruterfolg auch im Vergleich zu den anderen Jahren?
Wir hatten zuletzt 3 gute Jahre. Auch mit Beginn des Projektes 2005-2008 waren noch gute Jahre. Dazwischen gab es 10 schlechte Jahre. Wir hatten erst keine Idee, woran das liegen kann. Dann gab es eine studentische Arbeit, wo eine Kolonie von morgens bis abends beobachtet wurde. Da kam raus, dass die Möwen die Küken aus der Kolonie an ihre eigenen Küken verfüttert haben. Das legt nahe, dass es zu wenig andere Nahrung gab. Diese Phänomene sind auch sehr detailliert von Texel bekannt und untersucht.
Ich habe hier auf Trischen eine Möwe abgelesen, welche letztes Jahr in Velez-Malaga (Spanien) beringt wurde.
Es gibt in fast allen europäischen Ländern Möwenprojekte. Es gibt zwischen den Projekten auch viel Austausch. Da freut man sich natürlich, wenn man auch mal eine „fremde“ Möwe ablesen kann.
Ich bedanke mich bei Bernd Hälterlein für das spannende Gespräch. Und vielleicht haben ja auch Sie Lust bekommen, den Möwen mal etwas genauer auf die Beine zu schauen? Das richtige Beringungsprojekt um Ihre Ablesung zu melden finden Sie auf der Seite www.cr-birding.org, oder Sie wenden sich an die Vogelwarte Helgoland