Entbehr…Was?

Liebe Blogleser*Innen,

eine der häufigsten Fragen, die ich von Freunden und Bekannten gestellt bekomme, ist die Frage, ob ich etwas auf Trischen vermisse. Daher möchte ich ihr heute einen ganzen Blogeintrag widmen.

Aber bevor ich damit einsteige, möchte ich ihnen ganz kurz den jetzigen Moment schildern: Ich sitze auf der obersten Treppenstufe meiner Hütte, die Sonne scheint, es herrschen wohlige 20°C und der Wind bläst. Vor mir liegt das Watt, das Wasser ist noch weit weg. Links tütert der Rotschenkel auf dem Treppengeländer, rechts liegt die Kolonie der Flussseeschwalben und Lachmöwen, die regelmäßig über mich hinwegsausen. Neben mir eine Tafel Schokolade UND eine Schale Erdbeeren. Ich kann mir nur schwer einen schöneren Moment vorstellen. Obwohl doch, vielleicht wenn genau jetzt eine Brachschwalbe vorbeifliegen würde!

Aber natürlich gibt es sie, diese Momente, in denen ich etwas vermisse. Ganz vorne auf der Liste stehen Familie und Freunde. Im Frühjahr war es das frische Grün von sprießenden Blättern im Wald und der Chor der ersten Singvögel. Neulich hatte ich einen solchen Bewegungsdrang, dass ich am liebsten meine Laufschuhe geschnürt hätte und losgelaufen wäre (zur Brutzeit ist der Bewegungsradius auf Trischen doch etwas eingeschränkt). Und etwa alle zwei Wochen am Waschtag vermisse ich eine Waschmaschine – eine geniale Erfindung, die ich nie richtig zu würdigen wusste. Aber liebe Waschmaschine, jetzt weiß ich definitiv was ich an dir habe! Denn so ein Waschtag mit Handwäsche kann schon einmal einen Vormittag in Anspruch nehmen und manchmal ist das Ergebnis … nur so naja.

Und doch sind das nur kleine Momente, denn wirklich fehlen tut mir nichts. Dank des gut eingespielten Teams aus Bioladen und Axel am Festland, bin ich auf Trischen bestens versorgt. Axel versucht immer alles möglich zu machen. Im Frühjahr hat er mich mit zusätzlichem Holz versorgt, als ich nicht so gut selbst Holz sägen konnte. Er kümmert sich am Festland um Nachschub, wenn meine Gasflasche leer ist und er setzt alle Hebel in Bewegung, wenn die „Luise“ nicht fahren kann und ich auf Trinkwasser, Verpflegung, Gesellschaft und den neusten Festland-Schnack warte. Und dann sind da noch meine Familie und meine Freunde, die mich mit allem Weiteren versorgen. Mit lieben Postkarten und Telefonaten. Mit meinem Lieblingstee, den es nicht überall zu kaufen gibt und mit einer Schale voller Erdbeeren, die morgens noch bei Axel abgegeben wurde, damit sie mittags bei mir auf der Insel ist.

Hier auf Trischen merkt man wie wenig man für ein zufriedenes und glückliches Leben braucht. Der ganze Kram, den ich über die Jahre angesammelt habe, der zu Hause auf mich wartet und verstaubt, gehört definitiv nicht dazu. Die Frage sollte also eher lauten, was ich auf Trischen alles geschenkt bekomme (und was ich später vermutlich vermissen werde). Da ist natürlich das unglaubliche Glück, buchstäblich inmitten des Nationalparks leben zu dürfen. Wann kann man denn sonst einen Schritt vor die Haustür gehen und direkt eine solche Vielfalt und Landschaft beobachten. Hinzu kommen die schönsten Sonnenaufgänge (die Sonnenuntergänge verschlafe ich zugegebenermaßen ziemlich oft), von denen mir prophezeit wurde, dass sie alle zukünftigen Sonnenaufgänge in den Schatten stellen werden. Und da ist die Möglichkeit meinen Alltag frei zu gestalten, mich selbst (neu) zu entdecken und die Zeit Neues zu lernen. Diese Liste lässt sich beliebig weiterspinnen und das meiste wird mir vermutlich erst bewusst werden, wenn ich es nicht mehr habe. Aber eigentlich will ich sowieso vor allem vermitteln, dass die kleinen Momente des „Vermissens“ durch ganz viele unglaubliche Momente des „Erlebens“ aufgewogen werden und dass die Eingangsfrage daher eigentlich anders lauten müsste.

Ihre Vogelwartin 2023