Weißer Rauch für neue EU-Kommission

Europäisches Parlament in Straßburg. Foto: Udo Pohlmann, Pixabay

Hearings verdeutlichen politische Gemengelage in Brüssel

Vorletzte Woche wurden die designierten Kommissar*innen vom Europäischen Parlament befragt. Anfang letzter Woche war es dann Showtime für die designierten Vize-Präsident*innen der EU-Kommission. Verlief die erste Woche mit den „normalen“ Kommissar*innen eher vorhersehbar und meist auf fachlicher Ebene, krachte es letzte Woche dann politisch. Auslöser war die Kritik progressiver Kräfte an der weiten Kompetenz, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem italienischen Rechtsaußen-Mann Raffaele Fitto zugewiesen hat. Sozialdemokraten (S+D) und Liberale (RENEW) wollten Fitto zwar nicht gänzlich blockieren, ihn aber von einem Vizepräsidenten „downgraden“ zu einem normalen Kommissar. Dies wiederum wollte Manfred Weber’s Europäische Volkspartei (EVP) nicht akzeptieren, und blockierte daraufhin die sozialdemokratische Kandidatin Teresa Ribera aus Spanien, unabhängig von ihrer Performance in den Anhörungen. Gestern Abend gab es nun einen politischen Deal zwischen dem Fraktionschefs der EVP sowie S+D und RENEW. Dieser macht den Start für die zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen und ihrem Kollegium frei.

Geschacher zwischen Weber und progressiveren Kräften im Europäischen Parlament

Das politische Geschacher zeigt zum einen die schwierige politische Gemengelage. Manfred Weber hatte schon vor der Wahl versucht, die EVP weiter nach Rechtsaußen zu rücken, und Koalitionen zum Beispiel mit der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) einzugehen. Die EVP-Kandidatin für die Kommissionsspitze, Ursula von der Leyen, war aber nicht von der EKR gewählt worden, sondern von einer Mitte-Koalition aus EVP, S+D, RENEW und den Grünen. Zu Recht setzen S+D, RENEW und Grüne nun darauf, mit dieser „von der Leyen – Koalition“ auch inhaltlich Politik zu machen. Die Blockade von Ribera durch die EVP war ein Affront, zumal sich Ribera meinem Eindruck nach gut geschlagen hat. Und dies, obwohl die EVP die Anhörung von Ribera „missbrauchte“, um die spanischen Konservativen in ihrem Wahlkampf zu unterstützen. Offensichtlich an den Haaren herbeigezogen wirkten all die Fragen, die Ribera für die Flut in Valencia verantwortlich machen wollten. Schließlich sind das zunächst Fragen der rein nationalstaatlichen Politik. Zudem regiert in Valencia ein konservativer Bürgermeister, und Ribera ist die Erste, die über das „Nature Restoration Law“ und einer Klima-Anpassung Extremwetterereignissen wie den Fluten in Valencia oder Malaga entgegenwirken möchte.

Tweet von MEP Cavazzini zur EUDR

In diese Zeit der politischen Blockade fiel auch die von der EVP vorangetriebene Abstimmung über die Entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR). Zur Erinnerung: die EUDR war von den EU-Gesetzgebern schon komplett beschlossen. Auf Druck verschiedener Akteure hatte die EU-Kommission dann zugesichert, das Inkrafttreten um ein Jahr zu verschieben. Nun hatte die EVP aber erneut inhaltliche Änderungsanträge eingebracht, die darauf abzielten, die Anwendbarkeit des Gesetzes in EU-Mitgliedstaaten einzuschränken. In einer chaotischen Abstimmung setzte die EVP diese Änderungsanträge gemeinsam mit Rechtsaußen-Abgeordneten durch. Die progressiven Kräfte stimmten weitestgehend geeint gegen dieses Anliegen. Auch wenn die EVP dieses Anliegen wohl nicht gegen den Ko-Gesetzgeber Rat durchsetzen kann, und insofern scheiterte: Dieses Vorgehen hat nicht geholfen, das Vertrauen der „Von der Leyen – Koalition“ in die Verlässlichkeit der EVP und das Vertrauen der Bürger in bereits beschlossene Gesetze des Green Deals zu stärken (auch im Spiegel fand sich beispielsweise ein Appell mit dem Titel, Markus Söder und Friedrich Merz sollten ihren EVP-Mann in Brüssel bremsen).

Teil des gestrigen Deals ist deshalb eine Art inhaltliche Koalitions-Vereinbarung zwischen der EVP, S+D und RENEW, die ein solches Kooperieren mit Rechtsaußen ausschließen soll. Allerdings ist diese nicht einklagbar, und bezieht offenbar die EKR-Fraktion nicht mit ein. Laut dem Grünen-Frontmann Bas Eickhout ist sie deshalb auch nicht viel wert. In jedem Fall aber stehen nun die Personalien für das Kollegium von Ursula von der Leyen (die formal noch in der nächsten Plenarsitzung bestätigt werden), ohne dass es hier große Änderung gegeben hätte. Der von der italienischen Regierungs-Chefin Meloni geschickte Raffaele Fitto bleibt Vizepräsident der EU-Kommission, zuständig für regionalpolitische Fragen (und hierbei auch für den Landwirtschafts- und Fischereikommissar). Teresa Ribera wird Vize-Präsidentin für die saubere und gerechte Transformation (sowie für Wettbewerbsrecht). Auch der ungarische Gesundheits-Kommissar Várhelyi wurde bestätigt, genauso wie die übrigen Personalien. Verloren durch das Geschacher hat vor allem die EU-Demokratie. Anstatt eines Parlaments, das geschlossen inhaltliche Nachbesserungen von der EU-Kommission einfordert, z.B. das fraktionsübergreifend geltende Gesetzesinitiativrecht, hat es Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit gesät. Bleibt nur zu hoffen, dass sich das Geschacher zwischen Manfred Weber und den anderen Fraktionen und das Blockieren von Gesetzesvorschlägen der konservativen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen durch eine Rechts-Außen-Koalition nicht allzu oft wiederholen. Zukünftige Mehrheiten dürften trotz der getroffenen Vereinbarung wenig verlässlich sein, das Europäische Parlament deswegen auch weniger progressiv in Umweltfragen.

Die großen inhaltlichen Linien der neuen EU-Kommission

https://www.politico.eu/article/eu-power-structure-ursula-von-der-leyen-team/

Power structure der neuen EU-Kommission nach Politico

Nachdem die Anhörungen vorbei sind, lassen sich die inhaltlichen Linien der EU-Kommission etwas klarer erkennen. Eckpfeiler für die nächste Legislatur sind gesetzt, selbst wenn noch offen ist, wie die einzelnen Politiken und Rechtsakte im Detail aussehen. Vorweg: Der Europäische Green Deal ist nicht komplett abgeschossen, nimmt aber wie erwartet keinen prioritären Raum in der Kommissions-Agenda mehr ein. Vermehrt findet sich stattdessen zum Beispiel das Narrativ der Wettbewerbsfähigkeit. Und spätestens mit der Wahl des amerikanischen Präsidenten dürfte auch das Thema Verteidigung wieder stärker auf der Tagesordnung stehen. Ein paar weitere für den Natur- und Umweltschutz wichtige Aspekte:

  • Der Begriff Wettbewerbsfähigkeit taucht mehrfach auf, z.B. beim Vize-Präsidenten der EU-Kommission Stéphane Séjourné (der für Frankreich auf Thierry Breton folgt), oder beim für Vereinfachung zuständigen Kommissar Valdis Dombrovskis. Aus Umweltverbandssicht gefährlich ist, wenn Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau mit Deregulierung für die Umwelt einhergehen. Zwar hatten mehrere Kandidaten, neben Dombrovskis auch die Umweltkommissarin Jessika Roswall, betont, dass es keinen Standard-Abbau im Umweltbereich geben soll. Gleichzeitig haben die verschiedenen Generaldirektionen aber den starren Auftrag bekommen, 25% Belastung für Unternehmen abzubauen. Mitarbeiter der Generaldirektion Umwelt fragen sich schon, wo sie ansetzen sollen, sind einige der Gesetze doch druckfrisch aus dem Europäischen Green Deal stammend, und können schon politischnicht unmittelbar wieder angefasst werden. Auch gibt es bereits jetzt immer wieder Angriffe auf bestehende Umweltgesetze, etwa auf die Fauna-Flora-Habitat- (FFH-) Richtlinie (im Kontext der Wolf-Debatte, siehe hier, oder im Zusammenhang mit der Erneuerbaren-Beschleunigung, siehe hier). Auch vor dem Hintergrund der aufgezeigten Mehrheiten im Europäischen Parlament sind solche Deregulierungsansätze nicht weise.
  • Eine zweite Säule dürfte das Thema Investitionen bilden, also Fragen der Finanzierung von Aufgaben durch die EU. Dieses Thema ist schon deswegen wichtig, weil in den nächsten Jahren über den neuen EU-Haushalt (MFR) entschieden wird. Hier spielen unter anderem der oben genannte Raffaele Fitto eine Rolle, ist er für den weiten Bereich der Kohäsionspolitik zuständig und auch für den Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen. Entscheidender noch dürfte EU-Haushaltskommissar Piotr Serafin aus Polen werden. Dieser ist direkt Ursula von der Leyen unterstellt. In seinem „Hearing“ hatte er deutlich gemacht, dass er an den seit einiger Zeit „geleakten“ Plänen der EU-Kommission, den MFR grundlegend umzubauen und stärker an Zielen und Erfolgen auszurichten, festhalten möchte. Inwieweit dies auch für das Agrar-Budget gilt, ist noch unklar. Christophe Hansen hat diesen Plänen in seinem Hearing im Agrarausschuss beispielsweise widersprochen.
  • Der eigentliche Umweltbereich läuft vor allem unter der Überschrift eines sauberen Deals und der Umsetzung der Ziele des Europäischen Green Deals. Hier ist zunächst Vize-Präsidentin Teresa Ribera zuständig. Fraglich ist, wie viel Energie sie dieser Aufgabe widmen kann, muss sie sich gleichzeitig noch um das von der EU traditionell stark nach vorne gestellte Thema Wettbewerbsrecht kümmern. Für die Fachpolitiken sind dann die einzelnen ihr unterstellten Kommissar*innen zuständig, also für den Umweltbereich die Schwedin Jessika Roswall und für den Klimabereich der Niederländer Wopke Hoekstra. Der Fischerei- und Meereskommissar Costas Kadis ist wiederum, genauso wie der Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen, mit dem Gedanken der Regionalentwicklung Raffaele Fitto unterstellt. Neue Gesetze sind im Umweltbereich nur vereinzelt angekündigt. Die effektivere Umsetzung bestehender Vereinbarungen soll mittels neuer Umsetzungs-Dialoge mit den Mitgliedstaaten, aber auch mittels Vertragsverletzungsverfahren erfolgen. Eine Entpolitisierung oder strukturelle Stärkung haben Vertragsverletzungsverfahren allerdings bisher nicht erfahren. Zur Erinnerung: der NABU macht sich mit seinen Dachverbänden BirdLife und EEB aus Transparenz- und Effektivitätsgründen unter anderem stark für eine generelle Veröffentlichung aller Schreiben in Vertragsverletzungsverfahren (siehe diese Naturschätze.Retten-Beiträge zu unserem Forderungspapier und zu den Verfahrens-Missständen).

Einzelkritik der Umweltkommissarin Jessika Roswall

Grundsätzlich wurde deutlich, dass die aus der EVP-Familie stammende Kandidatin aus Schweden sich noch nicht tiefergehend mit den Umweltthemen beschäftigt hat. In ihrer Anhörung konnte sie meist keine Details nennen, sondern hielt sich an die auch aus dem Mandatsbrief bekannten Schlagworte. Zugutezuhalten ist ihr, dass sie den Europäischen Green Deal verteidigte, auch die Biodiversität und das Thema Wasser ansprach, sowie allgemein auch auf Vertragsverletzungsverfahren als Durchsetzungsinstrument verwies.

  • Zum Wolf erwähnte sie mehrfach, dass die EU-Kommission die Entscheidung des Treffens der Berner Konvention abwarte, und dann plane, den Schutzstatus in der FFH-Richtlinie anzupassen. Der Sorge vor Deregulierung trat Roswall entgegen. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission diesbezüglich dann standhaft bleibt.
  • Beim Thema Wälder wandte sie sich einerseits entschieden gegen die Forderung schwedischer Abgeordneter, eine intensivere Abholzung zuzulassen, und betonte, dass gesunde Wälder und die biologische Vielfalt ebenfalls wichtig seien. Auf der anderen Seite verwies sie mehrmals auf die Bedeutung der Bioökonomie und deutete eine weitere Intensivierung an (wobei sie allerdings auf das Kaskadenprinzip hinwies, als der österreichische EVP-Abgeordnete Alexander Bernhuber sie befragte).
  • Beim Thema Wasser zeigte sie, dass sie sich der Probleme der Knappheit und von Überschwemmungen bewusst ist. Sie legte allerdings nicht dar, mit welchen Instrumenten sie dann in der im Mandatsbrief erwähnten „Water Resilience Strategy“ dagegen vorgehen möchte.
  • Bezüglich Naturschutzfinanzierung traf sie leider keine Aussagen über öffentliche Mittel, obwohl sie dazu (beispielsweise vom deutschen S+D Abgeordneten Tiemo Wölken) ordentlich „gegrillt“ wurde. Auch wenn Ursula von der Leyen die Parole ausgegeben haben mag, den EU-Haushalt nicht vorwegzunehmen: Landwirtschaftskommissar Hansen verteidigte ein eigenständiges EU-Budget für die Landwirtschaft. Jessika Roswall verwies stattdessen auf Ursula von der Leyen’s Idee von Biodiversitätskrediten, sowie auf neue Finanzierungsmöglichkeiten der Europäischen Investitionsbank.
  • Auf die Fragen (beispielsweise der Grünen-Abgeordneten Jutta Paulus) nach der auch aus dem Montrealer Weltnaturschutzabkommen geschuldeten Reduktion von Pestiziden oder zu strengen Schutzgebieten blieb sie in ihren Antworten zu vage. Zu beachten ist, dass das Thema Pestizide formal beim Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi aus Ungarn liegt. Auch dieser hatte in seiner Anhörung aber nicht offenbart, inwieweit er nach dem Scheitern der SUR (hierzu z.B. dieser Beitrag) einen neuen Anlauf für verbindliche Pestizidreduktion nehmen möchte.
  • Darüber hinaus konzentrierten sich die Fragen und Antworten stark auf das Thema Kreislaufwirtschaft sowie auf die Chemikalienpolitik (u.a. REACH).

Insgesamt dürfte sich die Juristin noch in ihre Themen einfinden, und hierbei auch auf neue Kabinettsmitarbeiter*innen zurückgreifen. Außerdem steht ihr die personell weitgehend unveränderte Generaldirektion Umwelt zur Seite. Zu beobachten ist aber, wie dicht der Austausch von Jessica Roswall mit der (auch schwedischen) Industrie sein wird.

Einzelkritik des Landwirtschaftskommissars Christophe Hansen

Christophe Hansen konnte im Hearing mit persönlichen Erfahrungen und Bezügen zur Landwirtschaft insbesondere in seiner eigenen konservativen Parteifamilie EVP punkten. Und auch die Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und die rechte EKR im Agrarausschuss schienen sich mehr oder weniger zufrieden zu geben mit seinen Antworten.  

  • Inhaltlich war Hansen besonders stark, als es um Handel und konkrete landwirtschaftliche Aspekte ging. Weniger überzeugend war er bei Fragen rund um das Ernährungssystem als solches.  Er argumentierte für faire Erzeugerpreise, einen Erhalt des Agrarhaushaltes inklusive einer Neuausrichtung der Direktzahlungen und Anreize für junge Landwirte. 
  • Deutlich wurde auch, dass er das Mercosur-Abkommen unterstützt, sich aber für eine Gegenseitigkeits-Klausel bei landwirtschaftlichen Produkten einsetzt und einen starken Einsatz gegen unfaire Handelspraktiken fordert.  
  • Was Natur- und Klimaschutz angeht, waren seine Antworten eher dürftig und konzentrierten sich vor allem auf Klimaanpassung. Zum Teil dürfte es auch an den Fragen eines nach der Europawahl noch konservativeren Agrar-Ausschusses gelegen haben. Aber dass Natur- und Klimaschutz weder sein Herzensthema noch seine Hauptexpertise sind, wurde deutlich.  
  • Trotzdem sprach sich Hansen aktiv für die Orientierung an Empfehlungen des EU-Strategiedialoges aus, und verteidigte beispielweise die Verordnung für Entwaldungsfreie Lieferketten EUDR. Auch für mehr Anbau pflanzenbasierter Proteine sprach er sich aus, wohl aber vor allem, um unabhängiger von Importen zu werden. Im Hinblick auf den klimatischen Fußabdruck der Tierindustrie bestätigte er zwar, dass das Problem angegangen werden müsse, betonte jedoch vor allem, dass die Tierbestände auch ohne Zutun der EU zurückgingen.  

Eng verknüpft ist die GAP mit dem EU-Haushalt. Der polnische Haushalts-Kommissar Piotr Serafin konnte im „Grilling“ durchaus Expertise vorweisen. Auch er stammt aus der Parteienfamilie der EVP.  Die wenigen Fragen, die Serafin zum Klima- und Naturschutz gestellt wurden, beantwortet er nur vage.

  • Er versprach eine Überprüfung des Trackings zu den Ausgaben für Klima- und Naturschutz in der GAP. Zum kleinen aber wichtigen LIFE-Programm und insgesamt einer Erhöhung der EU-Ausgaben für Klima- und Naturschutz stellte Serafin nichts Konkretes in Aussicht.  
  • Ein Großteil der Fragen an Serafin konzentrierte sich darauf, wie der neue EU-Haushalt strukturiert sein wird. Hier wurde er relativ deutlich: Die Kohäsions- und Agrarpolitik werden als Prioritäten nicht verschwinden, und zumindest das GAP-Budget auch nicht schrumpfen. Trotzdem soll eine deutliche Vereinfachung des Haushalts und eine Reduzierung der Fonds stattfinden und Gelder an die Umsetzungen von Reformen geknüpft werden. 

Diese Fragen der Agrar- und EU-Haushaltspolitik sind höchst politisch, und werden von verschiedenen Akteuren, etwa den EU-Mitgliedstaaten, auch kontrovers diskutiert. In welche Richtung sich die Debatte bewegt, ist daher offen und spannend. Zu lernen aus Unzulänglichkeiten für die Natur und Umwelt und auch Fehlern in der Umsetzung gibt es unserer Meinung nach viel.

Einzelkritik des Klimakommissars Wopke Hoekstra

Insgesamt war der Niederländer Hoekstra bei seiner Anhörung recht überzeugend. Er trat selbstbewusst auf und war in der Lage, auf die meisten Fragen zu antworten, wobei er der S+D und den Grünen Zusicherungen bei mehreren Themen machte (z.B. zum Auslaufen der Subventionen für fossile Brennstoffe oder zur Besteuerung des Luftfahrtsektors).

  • Bezüglich Klimaanpassung verpflichtete er sich nicht zu neuer Gesetzgebung (obwohl er erwähnte, dass er dafür offen sei) und betonte, dass er plane, die Themen durch mehr Mittel im zukünftigen EU-Haushalt angehen zu wollen.
  • Zu CCS räumte er ein, dass wir uns bei der Emissionsreduzierung nicht auf die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) verlassen können und ihren Einsatz auf Sektoren beschränken sollten, in denen die Dekarbonisierung besonders schwierig ist. Auf die Frage der S+D – Abgeordneten Annalisa Corrado, die ihn aufforderte, sich nicht zu sehr auf künstliche kohlenstoffabsorbierende Technologien zu verlassen, antwortete er, dass „unsere Böden und Wälder eine große Rolle spielen“.
  • Auf die Frage, was er mit den Emissionen aus der Land- und Forstwirtschaft zu tun gedenke, gab er eine recht schwammige Antwort und sagte, dass die beiden Herausforderungen der strategischen Versorgung mit Nahrungsmitteln und des Einkommens unserer Landwirte während der Amtszeit angegangen würden.
  • Zu Biokraftstoffen antwortete Hoekstra, dass sie „nicht Teil“ des Kraftstoffmixes für Autos sein könnten, da es „übermäßig schwierig“ wäre, sie völlig kohlenstofffrei zu machen.
  • Zu den nationalen Energie- und Klimaplänen (NECP) argumentierte er, dass diese das Bindeglied zwischen den verschiedenen Säulen seien. Auf eine Frage zur mangelnden Umsetzung durch die Mitgliedstaaten antwortete er, er sei sich bewusst, dass viele Mitgliedstaaten nicht auf richtigem Weg seien und werde nicht zögern, durch die europäischen Hauptstädte zu reisen, um sie zu drängen.
  • Zum 2040-Ziel bekräftigte er, dass dieses zur EU-Klimaagenda dazugehöre, und ein Legislativvorschlag folge, in dem 90% Emissionsreduktion bis 2040 verankert werde. 

Zugute kommt Hoekstra sicherlich, dass er das Amt des Klimakommissars bereits seit dem Ausscheiden von Frans Timmermanns aus der EU-Kommission innehat. Auch wenn Hoekstra nicht aus dem progressiven Parteienlager stammt, dürfte der ehemalige Shell-Angestellte daran weiterarbeiten, die im Klimabereich völkerrechtlich vorgeprägten Verpflichtungen auch für die EU umzusetzen.

Nächste Schritte

Die sich nach den Anhörungen offenbarende Gemengelage zeigt, dass auch auf EU-Ebene die bisherige Rollenverteilung durcheinandergewirbelt wird. Das Europäische Parlament, das Kommissionsvorschläge bisher in Punkto Umweltschutz oft nachbesserte, dürfte hierfür nun weitestgehend ausfallen. Entscheidend sein wird sicherlich, ob sich einzelne EVP-Abgeordnete von dem oft ideologisch getriebenen Kampf gegen den Natur- und Klimaschutz loslösen können, um konstruktiven Vorschlägen gegen die großen Menschheitskrisen zu einer Mehrheit zu verhelfen. Auch der Rat, der schon aufgrund seiner Arbeitsweise der Kompromissfindung zwischen 27 Mitgliedstaaten zu einem „Race to the Bottom“ tendiert, dürfte Kommissionsvorschlägen auch zukünftig keinen Ambitionsschub verpassen. Bedeutsam wird sein, inwieweit der Rat – wie etwa aktuell beim EUDR-Vorschlag – auch in Zukunft rote Linien aufzeigt. Gerade wegen anstehenden Wahlen, etwa am 23. Februar in Deutschland, gibt es aber auch hier Fragezeichen. Bleibt schließlich die EU-Kommission als Hüterin der Verträge. Ursula von der Leyen ist dabei daran zu erinnern, dass sie die Errungenschaften des Green Deals ihrer ersten Legislatur verteidigen muss.  Nach der formellen Bestätigung des Kollegiums, vermutlich am 27. November in Straßburg, können dann die Kommissar*innen offiziell starten. Mit neuen Kabinetten geht es daran, das Arbeitsprogramm zu konkretisieren, und die ersten politischen Akte vorzulegen. Hierzu zählt sicherlich die „Agrar-Vision“ von Christophe Hansen, die er binnen 100 Tagen präsentieren möchte. Oder auch die angekündigte „Water Resilience Initiative“ und der „Climate Adaptation Plan“. Die verbindlichen EU-Politiken wie EU-Haushalt MFR und neue GAP haben sowieso ihren eigenen Zeitplan. Wir werden also weiter berichten. Meine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam für effektiven Natur-, Umwelt- und Klimaschutz kämpfen, für unser eigenes Überleben!

Raphael Weyland

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