European Green Deal in Zeiten von Corona (III)

Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Foto: Europäische Union 2016.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ambitionierte Umweltpolitik ist jetzt erst recht nötig

Liebe Umweltschützer*innen und Interessierte der EU-Politik. Dies ist der dritte und zunächst letzte Teil meiner Beitragsreihe, in der ich über die aktuelle Situation des Brüsseler Politikbetriebs rund um das Thema European Green Deal informiere. Im ersten Teil (siehe diesen Naturschätze.Retten-Blog) habe ich allgemein über die derzeitige Lage in Brüssel und meine Erfahrungen mit virtueller Verbandsarbeit berichtet. In der zweiten Folge (siehe diesen Naturschätze.Retten-Blog) ging es darum, dass verschiedene Interessensgruppen die aktuelle Krise gerade schamlos ausnutzen, um gegen Umweltpolitik herzuziehen. Hier werde ich nun aufzeigen, warum die EU beim Thema European Green Deal in Zeiten von Corona erst Recht Kurs halten muss. Viel Spaß beim Lesen!

 

Biodiversitätskollaps und Klimakatastrophe pausieren nicht

Graphik zu den direkten/indirekten Treibern des Biodiversitätsverlusts. Landwirtschaft zählt zu „Landuse Change“. Quelle: IPBES, Global Assessment.

Zunächst gilt hier festzuhalten: ungeachtet der enormen gesundheitlichen Herausforderungen dieser Tage pausiert die schon zuvor bestehende Zwillingskrise nicht. Der Biodiversitätskollaps und die Klimakatastrophe gehen ungeachtet weiter. Selbst wenn sich bisweilen ein kurzfristiger Erholungseffekt der Natur beobachten lassen sollte (die Delphine in Venedig stellten sich allerdings als Falschmeldung heraus, und auch das klarere Wasser dort sagt erst einmal nichts über die Wasserqualität aus, sondern ist auf die weniger Aufwirbelung durch reduzierten Schiffsverkehr zurückzuführen): eine grundlegende Änderung nicht-nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensformen ist bisher nicht erfolgt, und bei vielen Umweltgütern wird das kurzfristige Aufatmen durch sogenannte „Reboundeffekte“ wettgemacht, sobald die Menschen ihre Bewegungsfreiheit wieder voll ausleben können. Eine große Zahl von Wissenschaftler*innen verweist auch auf die Zusammenhänge von Krankheiten wie dem Corona-Virus und menschlichen Eingriffen in die Natur wie Abholzung, Zunahme der landwirtschaftlich genutzten Fläche oder Wildtierhandel (siehe The Club of Rome, Open Letter to Global Leaders). Diese Wissenschaftler*innen fordern gerade jetzt, ambitioniert gegen die Biodiversitäts- und Klimakrise vorzugehen.

 

Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft sowieso erforderlich

Der SOER-2020-Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) zeigt auf, dass die Transformation z.B. des Lebensmittelsystems noch diese Dekade nötig ist.

Unsere heutige Wirtschafts- und Lebensform ist nicht nachhaltig, denn sie ist weder global noch intergenerationell fortsetzbar, ohne dass unser Planet zugrunde geht. Wir brauchen daher eine Wende in den verschiedenen Sektoren Energie, Verkehr, Transport sowie Landnutzung bzw. Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung. Dabei geht es um den Ausstieg aus fossilen Energien, um eine wirkliche Kreislaufwirtschaft, und neben Effizienz auch um Verhaltensänderungen und Suffizienz. Um einen für den Schutz der Natur maßgeblichen Sektor näher zu betrachten: im Bereich der Landwirtschaft wird aus Klima-, Naturschutz- und Gesundheitsgründen unter anderem eine Reduktion des Tierbestands erforderlich sein, neben weniger intensiv-naturschädlichen Formen der Bodennutzung.

Doch wie ist diese Transformation zu erreichen? Gerade im Landwirtschaftsbereich hat die alte EU-Kommission –auch dem Druck der Mitgliedstaaten geschuldet – die Chance vertan, das schwergewichtige Förderinstrument der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) konsequent zu nutzen. Wenn nun nach der Krise zahlreiche Notfallprogramme zur Unterstützung „der Wirtschaft“ aufgelegt werden, müssen wir diese Programme sinnvoll ausgestalten. Es kann nicht darum gehen, die Interessen einzelner mächtiger Konzerne zu bedienen oder in fossile Energien zu investieren. Staats- und Regierungschef*innen sowie die EU müssen finanzielle Hilfen für eine nachhaltige und faire Gesellschaft einsetzen. Konkret bedeutet dies etwa, bei Unterstützung der Landwirtschaft klare Umweltkriterien einzufordern, und beispielsweise in den Umbau der Tierhaltung, regionale Versorgungsstrukturen und der Förderung konkreter Renaturierungsmaßnahmen zu investieren.

 

Appell an die Politik: Kurs halten und auf Wissenschaft hören

Gemeinsam mit BirdLife protestiert der NABU 2018 in Brüssel für mehr Naturschutz.

Was können wir aus der derzeitigen Krise mitnehmen? Eine der wichtigsten Lehren lautet, auf die Wissenschaft zu hören und schnell und ambitioniert zu handeln. Der NABU ruft die EU-Kommission daher dazu auf, auch in diesen schwierigen Tagen Kurs zu halten und den European Green Deal nicht aufzuweichen.

Damit der European Green Deal die nötige Transformation einleitet, müssen die EU-Institutionen nun ambitionierte Einzelmaßnahmen verabschieden, die sich am Primat des wissenschaftlich Notwendigen orientieren. Dies betrifft beispielsweise die bereits mehrfach verschobene EU-Biodiversitätsstrategie, die für den 29.04.2020 angekündigt ist. Sie zielt auf nichts weniger ab als darauf, den Artenkollaps zu stoppen und die EU führend beim Schutz der Biodiversität zu machen. Die Mitgliedstaaten wie Deutschland müssen diesen Kurs unterstützen.

Auch zeigt die gegenwärtige Situation, dass „der Markt“ derartige Krisen freiwillig nicht hinreichend lösen kann. Die Politik darf daher auch bei der Biodiversitäts- und Klimakrise nicht vor Ver- und Geboten zurückschrecken. Nur ein starker Staat kann solch gewaltige Herausforderungen wirksam angehen. Darüber hinaus sollte die EU-Kommission sich auch nicht scheuen, grundlegendere Politiken wie etwa den Vorschlag des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU (MFR) zu überarbeiten, damit dieser auf die bestehenden (Corona- und Umwelt-)Krisen reagiert.

Ich wünsche uns allen gemeinsam viel Erfolg beim Lösen der drängenden Krisen!

PS: Die Grundaussage dieses Appells teilen auch viele andere Akteure:

  • Am Karfreitag schlossen sich die Bundesumweltministerin Svenja Schulze und ihre französische Amtskollegin einer von Dänemark gestarteten Initiative europäischer Umweltminister*Innen an, in denen sie die EU-Kommission dazu aufrufen, den European Green Deal zum Kern des Corona-Wiederaufbauprogramms zu machen (siehe diesen Tweet von Svenja Schulze).
  • Am Ostermontag veröffentlichte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina eine Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie, die auch wirtschaftliche Aspekte abdeckt. Darin fordern die Wissenschaftler*Innen, dass sich alle politischen Maßnahmen am Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren. Eine klimafreundliche Wirtschaft müsse aufgebaut und eine konsequente Mobilitäts- und Landwirtschaftswende eingeleitet werden. Das Ziel müsse ein starker Europäischer Green Deal bleiben (die Studie ist in diesem Tweet der Leopoldina verlinkt).
  • Am heutigen Dienstag ging auch die vom französischen Europaabgeordneten Pascal Canfin gestartete Initiative für eine „Green Recovery“ online. Gemeinsam fordern 180 Minister*Innen, Abgeordnete und Vertreter*Innen von Unternehmen, Umweltverbänden und Gewerkschaften, die Corona-Krise nicht gegen die verschiedenen Umweltkrisen auszuspielen, sondern einen grünen Wiederaufbau einzuleiten (siehe diesen Tweet von MdEP Pascal Canfin, in dem der offene Brief verlinkt ist).

 

Raphael Weyland
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