European Green Deal in Zeiten von Corona (II)

Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Foto: Europäische Union 2016.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lobby-Wettlauf gegen EU-Umweltpolitik

Liebe Umweltschützer*innen und Interessierte der EU-Politik. Dies ist der zweite Teil einer dreiteiligen Beitragsreihe, in der ich über die aktuelle Situation des sich mit dem European Green Deal befassenden Brüsseler Politikbetriebs informiere. Im ersten Teil habe ich allgemein über die derzeitige Lage in Brüssel und meine Erfahrungen mit virtueller Verbandsarbeit berichtet (siehe diesen Naturschätze.Retten-Blog). In dieser zweiten Folge geht es nun etwas ausführlicher darum, dass verschiedene Interessensgruppen die aktuelle Krise gerade schamlos ausnutzen, um gegen Umweltpolitik herzuziehen. Im dritten Beitrag werde ich begründen, warum die EU beim Thema European Green Deal in Zeiten von Corona erst Recht Kurs halten muss. Viel Spaß beim Lesen!

 

Missbrauch der aktuellen Krise für Partikularinteressen

Selbstverständlich verdient die Corona-Krise im Moment höchste Aufmerksamkeit. Leider können wir in Brüssel derzeit aber beobachten, dass die aktuelle Situation auch dafür missbraucht wird, gegen das EU-Vorzeigeprojekt des „European Green Deals“ vorzugehen. Akteure sind vor allem Lobbygruppen und politische Kräfte, denen der Kurs der neuen EU-Kommission schon von Beginn an nicht passte, und die mit Umweltschutz traditionell wenig am Hut haben. Deren Argumente überzeugen nicht, wie die folgende Analyse zeigt.

Beispiel 1: Agrarlobby gegen „Farm to Fork“ Strategie

COPA-Aktion vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Foto: R. Weyland 2019.

Sowohl der Europäische Bauernverband (COPA-COGECA) als auch die konservative Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP) fordern von der EU-Kommission, die Veröffentlichung der „Farm to Fork“-Strategie zu verschieben. Die Argumentation: Landwirt*innen müssten sich nun auf die Lebensmittelerzeugung konzentrieren und dürften nicht mit neuen Regeln belastet werden (siehe diesen ARC2020-Bericht und die Pressemitteilung der EVP). Diese Argumentation missbraucht die aktuelle Krise. Auch COPA-COGECA und der EVP sind bekannt, dass die mehrfach verschobene und nun für den 29.04.2020 angekündigte Strategie selbst keine neuen Regeln für Landwirt*innen mit sich bringt. Außerdem ist die Sichtweise, dass die Strategie Landwirte „belastet“, verfehlt, denn der „Farm to Fork“-Ansatz soll ja gerade für eine nachhaltige Landwirtschaft sorgen, die Landwirt*inne auch in der Zukunft ein Einkommen sichert. Darüber hinaus ist das Agieren auch deswegen nicht ehrlich, weil die Akteur*innen gleichzeitig bei anderen politischen Prozessen wie etwa der Abstimmung zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine schnelle Entscheidungsfindung fordern (siehe diesen Euractiv-Bericht).

Beispiel 2: Automobillobby gegen CO2-Grenzwerte

Der ehemalige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Foto: Europäische Union 2016.

Ähnlich irreführend und missbräuchlich sind die Lobbybemühungen der Automobilindustrie. Der Europäische Automobilherstellerverband (ACEA) beispielsweise rief in einem an sechs EU-Kommissare adressierten Schreiben dazu auf, die Arbeit an CO2-Grenzwerten für den Automobilsektor auszusetzen (siehe diesen Euractiv-Bericht). Ausgerechnet der frühere EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger unterstützte das Vorgehen der fossilen Autobranche (siehe diesen Automobilwochen-Beitrag). Auch hier geht die Argumentation fehl, denn es besteht kein unmittelbarer Zusammenhang der Grenzwertsetzung mit der Corona-Krise. Die Grenzwerte für den Sektor sind außerdem schon seit langer Zeit hinreichend bekannt, so dass die Unternehmen sich darauf längst hätten einstellen können. Zudem ist derzeit unklar, ob Corona-bedingte Änderungen des Kaufverhaltens nicht sogar den Automobilherstellern bei der Berechnung ihrer Flottenwerte zu Gute kommen.

Beispiel 3: Luftfahrtlobby gegen Umweltschutzbedingungen

Flugzeug-Kondensstreifen. Foto: Free-Photos/Pixabay.

Ähnlich wie die Automobilbranche wendet sich aktuell auch die Luftfahrtindustrie an die EU-Kommission. Hierbei geht es weniger um die Beeinflussung von schon im Rahmen des European Green Deals geplanten Initiativen. Die Lobby möchte vielmehr vorsorglich anbringen, dass etwaige staatliche Unterstützungen für die Branche nicht an Umweltkriterien gebunden werden (siehe diesen DESMOG-Beitrag). Wurden vor der Corona-Krise gar Maßnahmen wie eine Kerosinbesteuerung diskutiert, wäre es inkohärent, jetzt der Luftfahrtindustrie finanzielle Mittel ohne jegliche Steuerungswirkung auszuschütten (vergleiche auch diese Pressemitteilung des NABU-Dachverbands Transport+Environment).

Beispiel 4: Deutschland für weiteren Aufschub bei Umsetzung der Nitrat-Richtlinie

Gülle-Ausbringung. Foto: Zilles/Pixabay.

Für im Hinblick auf den EU-Umweltschutz wenig hilfreich halte ich im Übrigen auch das Agieren der deutschen Landwirtschafts- und Umweltministerinnen Julia Klöckner und Svenja Schulze. Beide wandten sich gemeinsam an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und baten um Aufschub bei konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der novellierten Düngeverordnung, die sie mit der EU-Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens wegen Verstoßes gegen die EU-Nitratrichtlinie vereinbart hatten.

Die EU-Kommissionspräsidentin hat dem Begehren Presseäußerungen nach stattgegeben (siehe diese Pressemitteilung von MdEP Marlene Mortler). Problematisch ist neben dem Gesundheitsschutz vor allem auch der Aspekt der Rechtsstaatlichkeit. Schließlich hat der seit Jahrzehnten bekannte Umsetzungsmangel Deutschlands bezüglich der Nitratrichtlinie wenig zu tun mit anderen Corona-bedingten Herausforderungen der Landwirtschaft wie fehlender Erntehelfer. Außerdem hat es auch ein gewisses „Geschmäckle“, wenn eine deutsche Kommissionspräsidentin Deutschland derartige Maßnahmen durchgehen lässt, anderen Mitgliedstaaten im Zweifel aber nicht. Bleibt zu hoffen, dass diese Fristverlängerung keinen Dammbruch bezüglich der Rechtsdurchsetzung durch die EU-Kommission insgesamt auslöst.

Diesen Beispielen lassen sich im Übrigen noch zahlreiche weitere anfügen. So hat sich etwa der mächtige EU-Wirtschaftslobbyverband „Business Europe“ an die EU-Institutionen gewandt, konkrete Wirtschaftshilfe eingefordert und darauf gedrängt, alle EU-Arbeit zu Gunsten der Wirtschaft neu auszurichten. In einem seiner Briefe fordert er Frans Timmermans auf, alle „nicht-essentielle“ Umwelt- und Klimaschutzgesetzgebung zurückzustellen (siehe diesen Business Europe – Tweet). Stellt sich nur die Frage, was der Verband mit „nicht-essentiell“ meint, schließlich haben wir doch bisher zu wenig Ambition beim Umwelt- und Klimaschutz, bedenkt man die Aussagen der verschiedenen Umweltzustandsberichte (etwa von IPCC, IPBES oder auch der Europäischen Umweltagentur).

 

Europäische Kommission hält bisher am European Green Deal fest

Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans auf Twitter, 24.03.2020.

Auch wenn der Druck groß ist: In den wenigen hierzu erfolgten Äußerungen hält die EU-Kommission bisher am European Green Deal fest. Der Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski beispielsweise bestätigte kürzlich in einem Interview, dass der European Green Deal eines der Aushängeschilder der EU-Kommission bleiben soll (siehe diesen Euractiv-Beitrag). Auch Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans betonte als Reaktion auf den tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš, dass es kurzfristige und längerfristige Herausforderungen gebe, und die EU beide adressieren könne (so sein Tweet mit Bezug auf The Guardian). Selbst die EU-Mitgliedstaaten konnten sich in einem (virtuellen) Ratstreffen auf Schlussfolgerungen einigen, die eine „grüne Transformation“ zumindest benennen (siehe diesen Euractiv-Beitrag).

Dennoch zeigen die entsprechenden Berichte, dass momentan die Stunde all derjenigen schlägt, die schon immer gegen Umweltschutz waren. Und auch innerhalb des aus den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammengesetzten Kollegiums der EU-Kommissare gibt es Stimmen, die den Umweltschutz hintenanstellen möchten. Wir können nur hoffen, dass die EU-Kommission standhaft bleibt. Neben diesen Lager-Debatten drohen nämlich auch von höherer Ebene Gefahren für die Europäische Union und ihr Vorzeigeprojekt „European Green Deal“. Wenn zu oft geltende Grundprinzipien wie Rechtstaatlichkeit, Freizügigkeit oder die Durchsetzung von Unionsrecht missachtet werden, und wenn Bürgerinnen und Bürger sich zu pauschal über fehlende Solidarität beklagen, dann könnte sich dies als Damoklesschwert für die Zukunft der EU erweisen.

Raphael Weyland
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