Durchgesickert: Schwache Ideen für die neuen EU-Agrarpolitik
Ende November will die Europäische Kommission ihre Vorschläge zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) nach 2020 vorstellen. Im Sommer 2018 sollen dann die Gesetzesentwürfe folgen – zur Verhandlung zwischen EU-Regierungen und Europäischen Parlament. Jetzt ist ein erster Entwurf bekannt geworden – der aus Umweltsicht weitgehend enttäuscht.
Mit Spannung warten nicht nur Landwirte und NGOs, die sich mit Natur, Tierwohl, Gesundheit, Ernährung und Entwicklung beschäftigen, sondern auch über 320.000 Bürgerinnen und Bürger, die an der Konsultation der EU-Kommission teilgenommen haben. Von diesen haben sich 80 Prozent für einen grundlegenden Wandel in der Agrar- und Ernährungspolitik ausgesprochen. Im Sinne der LivingLand-Vision muss diese endlich fair, ökologisch nachhaltig, gesund und global verantwortungsvoll werden muss.
Leak der EU-Kommission: Untauglich zur Rechtfertigung eines großen Budgets
Es ist nicht erstaunlich, dass nun eine erste Fassung der Vorschläge bereits in die Öffentlichkeit gelangt ist. Gelegentlich passiert dies sogar absichtlich, um die Reaktion der Öffentlichkeit zu „testen“ – dann kann der verantwortliche EU-Landwirtschaftskommissar Phil Hogan auf den letzten Metern noch Änderungen vornehmen. Dies wäre auch bitter nötig. Umweltverbände wie der NABU glauben nicht, dass der vorgelegte Entwurf es vermag, weiterhin einen großen Teil des EU-Budgets für die GAP zu rechtfertigen. EU-Haushaltskommissar Günter Oettinger sagte vor wenigen Tagen in Berlin, dass Kürzungen für die GAP unvermeidbar seien. Wenn es bei den Vorschlägen von Hogan bleibt, dürften diese Kürzungen noch stärker ausfallen als berfürchtet.
Die Kritikpunkte des NABU
Naturschutzfinanzierung: Fehlanzeige
Obwohl die katastrophale Umweltbilanz der GAP in aller Munde ist, bleibt das Papier aus Umweltsicht vage und unkonkret. Weder der Verlust der Artenvielfalt mit dem dramatischen Insektensterben, noch die Notwendigkeit, über die Agrarpolitik eine gezielte Förderung für die Umsetzung der beiden EU-Naturschutzrichtlinien bereitzustellen, wird wirklich thematisiert. Diese für das Natura 2000-Netzwerk maßgeblichen Richtlinien haben, im Gegensatz zur GAP, kürzlich einen grundlegenden Fitness-Check der EU-Kommission bestanden. Ihr großes Finanzierungsdefizit, auch vom Europäischen Rechnungshof angemahnt, scheint die Kommission im Kontext der GAP jedoch nicht zu interessieren. Dabei liegt hier eine wesentliche Chance gesellschaftlicher Akzeptanz für die Aufwendung von Steuermitteln. Der NABU fordert einen eigenen Naturschutzfonds in Höhe von 15 Milliarden Euro für die einkommenswirksame Honorierung von freiwilligen Maßnahmen gerade von Landwirten.
Blankoschecks an Mitgliedsstaaten?
Besonders kritisch sieht der NABU die Renationalisierungspläne der EU-Kommission. Mit der Übertragung von Zuständigkeiten bei der Mittelvergabe an die Mitgliedsstaaten will der Kommissar Phil Hogan politisch Punkte sammeln und eine Vereinfachung erreichen. Es bleibt aber völlig unklar, wie dabei der europäische Mehrwert sichergestellt würde. Es droht ein „Selbstbedienungsladen“ für Mitgliedsstaaten und Regionen, der schon allein aus finanzpolitischer Sicht nicht im Interesse des Nettozahlerstaats Deutschland sein kann. Außerdem befürchtet der NABU einen EU-internen Wettbewerb um die niedrigsten Standards – und den werden die deutschen Landwirte kaum gewinnen können angesichts der berechtigten Ansprüche der hiesigen Gesellschaft an naturverträglich und tierfreundlich produzierte Lebensmittel. Passgenaue Förderung und Anreize in den Regionen der EU sind wichtig, aber diese müssen über klar definierte und gut kontrollierte operationelle Programme mit nationaler Kofinanzierung erfolgen, bei starker Mitsprache der Umweltbehörden auf allen Ebenen.
Anachronistische Pauschalzahlungen
Insbesondere kritisiert der NABU, dass die Autoren am anachronistischen Zwei-Säulen-System festgehalten wollen. Damit würden für ein weiteres Jahrzehnt riesige Mengen an Steuergeld für pauschale Flächenprämien ausgegeben werden, die neben extremer Ineffizienz auch negative Auswirkungen auf die Umwelt wie die Zukunft vieler Betriebe haben – in dem sie nämlich weiter den Anreiz zur Intensivierung geben. Dies ist weder für die Ernährungssicherung nötig, noch für Umwelt und Klima verantwortbar. Der NABU fordert die Gießkannensubventionierung durch gezielte Investitionen zu ersetzen, die den Betrieben helfen sollen, eine Qualitätsstrategie einzuschlagen, bei Produktion wie auch in der Vermarktung. Dadurch bestünde viel mehr Potenzial, um gerade Betriebe in benachteiligten Regionen zu unterstützen.
Jetzt ist die Zeit für verantwortungsvolle EU-Kommissare
Als Fazit bleibt festzuhalten: Man kann nur hoffen, dass diese „geleakte“ Version nicht der Version entspricht, die Kommissar Phil Hogan in den Kreis seiner Kommissionskollegen zur Verabschiedung einbringen will. Und wenn doch, dann müssen die anderen Kommissare, wie etwa der Umweltkommissar Karmenu Vella, der Haushaltskommissar Günther Oettinger oder der Gesundheitskommissar Andriukaitis spätestens jetzt darauf bestehen, dass die wichtigen Anliegen ihrer Ressorts berücksichtigt werden.
Der NABU erwartet dabei:
- Gezielte Investitionshilfen, um ein nachhaltiges Agrar- und Ernährungssystem aufzubauen, das sich langfristig selbst über faire Preise trägt.
- Einen EU-Naturschutzfonds, der konkrete Naturschutzmaßnahmen als verlässliches Zusatzeinkommen honoriert.
- Eine „Space for Nature“ – Prämie, die zusätzliche Förderung von naturnahen produktionsfreien Betriebsflächen ermöglicht.
- Eine gleichberechtigte Mitentscheidung aller relevanten Ressorts von der lokalen bis zur EU-Ebene, Ernährungspolitik und Landnutzung kann nicht allein von Agrarpolitikern bestimmt werden.
Mehr zu den NABU-Forderungen unter www.NABU.de/agrarreform2021.
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